VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Urteil vom 10.06.2004 - 2 A 382/03 - asyl.net: M5232
https://www.asyl.net/rsdb/M5232
Leitsatz:

In Vietnam gibt es kein kostenfreies Gesundheitssystem; § 53 Abs. 6 AuslG bei Diabetes Mellitus I, da der Betroffene die notwendige Behandlung nicht finanzieren kann.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Vietnam, Folgeantrag, Wiederaufgreifen des Verfahrens, Drei-Monats-Frist, Änderung der Sachlage, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null, Krankheit, Diabetes mellitus, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51; AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

Das Gericht nach dem entscheidungserheblichen Vorbringen der Klägerin die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach §§ 71 AsylVfG, 51 Abs. 1 - 3 VwVfG nicht für gegeben. Zwar hat sich der Gesundheitszustand der Klägerin seit Abschluss des Asylerstverfahrens ausweislich der vorgelegten Unterlagen nennenswert verschlechtert, dies hat sie jedoch nicht innerhalb der 3-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG gegenüber dem Bundesamt vorgebracht.

Unabhängig von dem Vorstehenden hat die Klage aber deshalb Erfolg, weil die Versorgungslage mit Medikamenten in Vietnam für Menschen mit unzureichendem Einkommen, die an einer insulinpflichtigen Diabetes Mellitus I - Erkrankung leiden, so ungünstig ist, dass eine Abschiebung der Klägerin nach Vietnam bei ihr zu schwersten gesundheitlichen Beeinträchtigungen, wenn nicht sogar zum baldigen Tod führen würde. Das hätte das Bundesamt bei der nach § 49 Abs. 1 VwVfG zu treffenden Ermessensentscheidung berücksichtigen müssen. Da das Ermessen hier wegen der Folgen für die Klägerin auf Null reduziert ist, vermag das Gericht den begehrten Verpflichtungsausspruch zu erlassen.

Nach dem aktuellen Lagebericht Vietnam des Auswärtigen Amtes vom 04.03.2004 (S. 10f.), der die Erkenntnisse des Lageberichts aus dem Jahre 2003 fortschreibt, steht nach wie vor den Vietnamesen (bis auf hier nicht interessierende Ausnahmen) kein staatliches - kostenfreies - Gesundheitssystem zur Verfügung. Zwar sind die meisten Krankheitsbilder, so auch Diabetes Mellitus I in Vietnam grundsätzlich behandelbar. Die Qualität der Behandlung und die Möglichkeit, sich mit Medikamenten zu versorgen, ist aber unmittelbar abhängig von den finanziellen Möglichkeiten des Einzelnen. Anders gewendet: Wer wie die Klägerin das nötige Geld in Vietnam für Insulin nicht hat, ist nach Rückkehr in die Heimat dem baldigen Tode geweiht.

Soweit sich das Bundesamt im streitbefangenen Bescheid unter Hinweis auf eine Entscheidung des BayVGH vom 13.01.2003 - 1 ZB 0032552 - darauf beruft, dass finanzielle Schwierigkeiten eines Asylbewerbers kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis begründen könnten, vermag das erkennende Gericht - in dieser Allgemeinheit - dem nicht zu folgen.