OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 25.03.2004 - 11 LB 327/03 - asyl.net: M5262
https://www.asyl.net/rsdb/M5262
Leitsatz:

1. Die Vorschrift des § 82 Abs. 1 AuslG, dass Ausländer die Kosten, die durch Abschiebung entstehen, zu tragen haben, gilt auch für minderjährige Ausländer.

2. Eine allgemeine Haftung der gesetzlichen Vertreter ergibt sich weder aus § 82 AuslG noch aus § 1664 Abs. 2 BGB noch aus allgemeinem Kostenrecht.

3. Die gesetzlichen Vertreter haften aber für Abschiebungskosten nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG, wenn sie die illegale Einreise ihrer Kinder jedenfalls (mit-)veranlasst haben.

4. Für Kosten einer Abschiebungshaft, die nach § 8 Abs. 2 des Freiheitsentziehungsgesetzes im Wege der Amtshilfe in Justizvollzugsanstalten vollzogen wird, kann nur der Haftkostenbeitrag nach § 50 des Strafvollzugsgesetzes erhoben werden.(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Minderjährige, Abschiebungskosten, Kostenerstattung, Abschiebungshaft, Haftkostenbeitrag, Eltern, gesetzliche Vertreter, Kostenhaftung, Illegale Einreise, Zurechenbarkeit, Handlungsfähigkeit
Normen: AuslG § 82 Abs. 1; BGB § 1664 Abs. 2; VwKostG § 13 Abs. 1 Nr. 1; StVZG § 50; AuslG § 83b Abs. 1 Nr. 2; FreihEntzG § 8 Abs. 2
Auszüge:

1. Die Vorschrift des § 82 Abs. 1 AuslG, dass Ausländer die Kosten, die durch Abschiebung entstehen, zu tragen haben, gilt auch für minderjährige Ausländer.

Eine Heranziehung des Klägers zu 2) zu den fraglichen Kosten ist aber - was das Verwaltungsgericht nicht erörtert hat - dem Grunde nach durch § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG gedeckt. Er ist nach den Umständen des Falles als (Mit-)Veranlasser des illegalen Aufenthalts seiner Tochter im Bundesgebiet und der deswegen erfolgten Aufenthaltsbeendigung anzusehen.

Im Zeitpunkt ihrer Einreise in das Bundesgebiet (Juli 2000) war die Tochter noch 15-jährig und mithin noch nicht handlungsfähig im Sinne des § 68 Abs. 1 AuslG. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob und unter welchen Voraussetzungen bei minderjährigen, aber bereits handlungsfähigen Ausländern davon ausgegangen werden kann, ihre Einreise beruhe auf eigenem Entschluss, der den gesetzlichen Vertretern auch kostenrechtlich nicht zugerechnet werden kann. Von einer entsprechenden eigenverantwortlichen Entscheidung ohne Beteiligung der gesetzlichen Vertreter kann jedenfalls bei noch nicht 16-jährigen Minderjährigen im Allgemeinen nicht ausgegangen werden. Schon wegen des Reife- und Entwicklungsstandes noch nicht handlungsfähiger Jugendlicher sowie mit Blick darauf, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht wesentlicher Bestandteil des elterlichen Sorgerechts ist (vgl. zu Letzterem für das albanische Recht Stoppel, a.a.O., S. 33), streitet nach aller Lebenserfahrung eine Regelvermutung dafür, dass die Einreise zumindest auch vom Willen der sorgeberechtigten Eltern mitgetragen wird. Das liegt auf der Hand, soweit Jugendliche in Begleitung ihrer Eltern einreisen, gilt aber grundsätzlich auch für die Fälle unbegleiteter Einreise, es sei denn, ein bestimmender Einfluss der sorgeberechtigten Elternteile ist auszuschließen, weil der noch nicht handlungsfähige Minderjährige zu ihnen nachweislich keinen Kontakt mehr hatte. Eine solche Ausnahmesituation, die die genannte Regelvermutung widerlegt oder wenigstens die Beklagte zum Zwecke der Kostenheranziehung verpflichtete, den tatsächlichen Willen der Beteiligten - soweit möglich - zuvor zu ermitteln, war hier nicht gegeben. Denn die unbegleitete Einreise der Tochter der Kläger im Juli 2000 zu ihrer bereits seit März 1996 im Bundesgebiet lebenden Mutter, der Klägerin zu 1), war - wie die Nachreise des Klägers zu 2) im April 2001 nahe legt - offenbar Teil des Gesamtplans einer Art Familienzusammenführung im Bundesgebiet, der wesentlich (auch) vom Willen der Kläger getragen war. Auch die Tatsache, dass die Tochter - ebenso wie zuvor die Klägerin zu 1) - mit einem gefälschten griechischen Reisepass eingereist ist, legt jedenfalls die Vermutung nahe, dass die Kläger ihr hierbei - auch finanziell - wesentliche Hilfe geleistet haben.

Bei dieser Sachlage ist der Kläger zu 2) entsprechend der vorbezeichneten Regelvermutung mangels entgegenstehender aussagekräftiger Anhaltspunkte als (Mit-)Veranlasser der Einreise und der späteren Beendigung des Aufenthalts seiner Tochter anzusehen und erfüllt die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 VwKostG. Fraglich bleibt hiernach allein, ob § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG als Haftungstatbestand neben den speziellen Haftungsregelungen des § 82 Abs. 1 bis 4 AuslG, die wie dargelegt auf den Kläger zu 2) nicht zutreffen, herangezogen werden kann. Das wäre nicht der Fall, wenn § 82 AuslG die Kostenschuldner in Bezug auf Abschiebungskosten abschließend benennen würde. Nach Auffassung des Senats ist dies zu verneinen. Denn bei anderer Betrachtung ginge eine Kostenhaftung in den praktisch wichtigen Fällen der Abschiebung minderjähriger Ausländer, die selbst im Allgemeinen nicht mit Erfolg auf Kostenerstattung in Anspruch genommen werden können, faktisch ins Leere. Dem Gesetzgeber ging es aber bei der Normierung des § 82 AuslG durch die Erweiterung der Kostentragungspflichten des bisherigen § 24 Abs. 6 AuslG 1965 auch ausweislich der Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucks. 11/6321, S. 83 f.) gerade wesentlich darum, bestehende Haftungslücken zu schließen (vgl. hierzu etwa auch BVerwG, InfAuslR 2000, 433, 435). Nichts spricht dafür, dass er einen ergänzenden Rückgriff auf § 13 Abs. 1 VwKostG, soweit dessen Voraussetzungen vorliegen, ausschließen wollte. Das mag hinsichtlich der Vorschriften des § 83 AuslG über die zu erstattenden Kosten anders liegen. Hierzu wird im Schrifttum mit beachtlichen Argumenten die Auffassung vertreten, § 83 AuslG bestimme abschließend den Umfang der zu erstattenden Kosten, ein Rückgriff auf allgemeine kostenrechtliche Regelungen über Auslagenersätze sei nicht zulässig (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AuslR, Rdnr. 2 zu § 83 AuslG m.w.N.). Für einen dahingehenden Regelungswillen des Gesetzgebers lässt sich dagegen § 82 AuslG hinsichtlich der Kostenhaftung als solcher nichts entnehmen.

Dem Grunde nach ist es nach alledem mit Blick auf § 13 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 VwKostG nicht zu beanstanden, dass die Beklagte den Kläger zu 2) auch auf Erstattung der durch die Abschiebung seiner Tochter entstandenen Kosten in Anspruch genommen hat.