VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Urteil vom 07.05.2004 - 14 K 2231/01.A - asyl.net: M5292
https://www.asyl.net/rsdb/M5292
Leitsatz:

HIV-infizierte oder bereits an AIDS erkrankte Ausländer sind in Kamerun einer allgemeinen Gefahrenlage im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG ausgesetzt.

Einzelfall eines im Stadium B 3 (nach CDC) erkrankten HIV-positiven Asylbewerbers, der infolge seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit absehbar nicht in eine extreme Gefahrenlage kommt.(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Kamerun, SDF, Sympathisanten, Demonstrationen, Festnahme, Misshandlungen, Glaubwürdigkeit, Krankheit, HIV/AIDS, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Allgemeine Gefahr, Extreme Gefahrenlage
Normen: GG Art. 16a; AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) noch auf die Feststellung, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes (AuslG) vorliegen, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Auch der hilfsweise gestellte Antrag, festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen, bleibt ohne Erfolg.

Dem Kläger war nämlich nicht zu glauben, dass er tatsächlich wie behauptet Mitglied des SDF war noch, dass er tatsächlich an der Demonstration (...) teilgenommen hat und infolgedessen in polizeilichen Gewahrsam geraten ist.

Zum einen fällt auf, das der Kläger erstmalig in der mündlichen Verhandlung behauptet hat, nicht nur Sympathisant, sondern sogar Mitglied des SDF gewesen zu sein. Dieser gesteigerte Vortrag ist nicht glaubhaft, denn er war bei Befragung nach der Parteistruktur und - organisation nicht in der Lage, mehr als oberflächliche und teilweise falsche Antworten zu geben.

Dass der Kläger nicht an der Demonstration in Yaoundé am (...) teilgenommen hat, ist im Rückschluss aus der gesondert eingeführten Auskunft des Instituts für Afrika-Kunde vom 22. Juli 2003 an das Verwaltungsgericht Potsdam ersichtlich. So wusste der Kläger nicht, dass der Vorsitzende der SDF, John Fru Ndi, ebenfalls an der Demonstration teilgenommen hat und konnte nicht den Anlass für die Demonstration benennen.

Konnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung in zwei zentralen Punkten seines angeblichen Fluchtschicksal nicht überzeugen, waren auch die für den nachfolgenden Zeitraum angegebenen Folterungen im polizeilichen Gewahrsam nicht glaubhaft.

Auch der hilfsweise gestellte Antrag auf Feststellung der Voraussetzungen des § 53 AuslG in der Person des Klägers bleibt erfolglos.

Das Gericht geht angesichts der vorliegenden Informationen zu der Verbreitung von HIV und AIDS von einer allgemein gegebenen Erkrankungs- und Lebensgefahr bezüglich HIV und AIDS in Kamerun aus, denn nach verschiedenen Schätzungen liegt die Quote der mit HIV-infizierten erwachsenen Bevölkerung in Kamerun zwischen 4 bis 8 % (Missionsärztliches Institut Würzburg vom 4. November 1999; nach dem Bericht der WHO vom September 2003 "HIV/AIDS-Epidemiological Surveillance Update for the African Region 2002" - Country Profiles, S. 105 ff. ist nach Personengruppen und Regionen zu differenzieren, wobei im Rahmen der UN AIDS-Studie für den Zeitraum 1997/1998 festgestellt werden konnte, dass 8,4 % der Frauen und 4,4 % der Männer zwischen 15 und 49 in Yaoundé HIV-positiv waren). Auch nach neueren Schätzungen für das Jahr 2001 ist von 920.000 mit dem HIV-Virus infizierten Personen und einer geschätzten Zahl von 53.000 an AIDS verstorbenen Personen auszugehen (Bundesamt vom 22. Januar 2003 an das VG Potsdam "Kamerun-Gesundheitswesen", S. 18 m.w.N.).

Das Gericht geht hinsichtlich der Krankheitsversorgung im Allgemeinen und den Therapiemöglichkeiten von HIV-positiven Menschen in Kamerun im Besonderen von folgender Lage aus:

Die medizinische Versorgung in Kamerun entspricht ganz überwiegend nicht dem mitteleuropäischen Standard, sondern ist insbesondere in den staatlichen Krankenhäusern von Engpässen in der Versorgung mit Medikamenten, Verbands- und anderem medizinischen Verbrauchsmaterial gekennzeichnet. Die mangelhaften sanitären Einrichtungen und hygienischen Bedingungen tragen zu verschiedenen Gesundheitsproblemen bei. Die Familien der Patienten müssen überdies selbst für die Verpflegung, Medikamente und einen Teil der Pflege aufkommen. Zudem gibt es in Kamerun keine freie Heilfürsorge (Dt. Botschaft vom 1. April 2003 an das VG Stuttgart; Bundesamt vom 22. Januar 2003 an das VG Potsdam "Kamerun-Gesundheitswesen", S. 4 m. w.N.; Nina Ruemmelin, "HIV und AIDS in Kamerun 2003 - ein Bericht über die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen", verfügbar im Internet unter hiv.net/2010/news2003/n1119.htm).

Seit März 2002 hat die Regierung ein Dreijahresprogramm zur Bekämpfung von AIDS begonnen.

Indessen sind die Aussichten für eine angemessene Therapie in Kamerun, insbesondere im ländlichen Raum insgesamt betrachtet eher als schlecht einzustufen, denn ohne eigene Aufwendungen werden in der Regel kaum nennenswerte gesundheitliche Leistungen erbracht. Angesichts eines monatlichen Durchschnittseinkommens von 50 Euro pro Monat ist daher eine effektive Therapie in den meisten Fällen unerschwinglich. Hinzu kommt, dass sich eine aktive und diagnostisch anspruchsvollere Praxis von HIV-Patienten nur in den Großstädten Yaoundé und Douala in Ansätzen entwickelt hat (Nina Ruemmelin, a.a.O.; Bundesamt, a.a.O., S. 20).

Freilich ist bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen nach § 53 Abs. 6 AuslG bezüglich der HIV-Infektion vorliegen, nicht allein auf die allgemeine Lage des Gesundheitswesens, sondern in gleicher Weise auf die individuelle Situation des Ausländers in gesundheitlicher und finanzieller Hinsicht abzustellen (a.A. bezüglich der gesundheitlichen Disposition des Ausländers OVG Lüneburg, AuAS 1997, 101 ff. = NdsRpfl1997, 120 f.; ferner ablehnend gegen eine Sichtweise, welche die finanzielle Leistungsfähigkeit des Ausländers berücksichtigt VGH München, Beschluss vom 25. November 1996 - 10 CS. 2972; hierzu wiederum a.A. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2002 - DVBl. 2003, 463, 464).

Danach geht das erkennende Gericht von folgender gesundheitlichen Disposition des Klägers aus: Der HIV-spezifische Gesundheitszustand des Kläger ist nach dem von ihm im Termin der mündlichen Verhandlung vorgelegten Attest von Frau Dr. H... vom 19. April 2004 dem Krankheitsstadium B 3 nach der CDC-Klassifikation zuzuordnen.

Für den Gesundheitszustand B 3 hat die Deutsche Botschaft in Kamerun festgestellt, dass er in Kamerun grundsätzlich medizinisch versorgt werden kann, allerdings unter Berücksichtigung der vom Erkrankten selbst aufzubringenden Kosten (Dt. Botschaft Yaoundé vom 5. Februar 2003 an den Landkreis Havelland).

Das Gericht ist aufgrund der Herkunft des Klägers aus Yaoundé auch bezogen auf seine

finanzielle Leistungsfähigkeit davon überzeugt, dass er in seiner Heimatstadt ohne größere Gesundheits- oder Lebensgefahr bezüglich seiner HIV-Infektion leben kann, wenn er wie bisher seine ART fortsetzt. Dies wird ihm voraussichtlich möglich sein, denn er hat vor seiner Ausreise als Händler gearbeitet und zuletzt einen Jahresnettoverdienst von 3000,- Euro gehabt.