ObLG Bayern

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Zitieren als:
ObLG Bayern, Beschluss vom 15.09.2003 - 4St RR 112/03 - asyl.net: M5305
https://www.asyl.net/rsdb/M5305
Leitsatz:

Zur Strafbarkeit der Falschangabe eines Ausländers zur Beschaffung einer Aufenthaltsgenehmigung.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Strafverfahren, Moldawier, Abgelehnte Asylbewerber, Identitätstäuschung, Reisedokumente, Urkundenfälschung, Mittelbare Falschbeurkundung, Erschleichen einer Aufenthaltsgenehmigung, Deutschverheiratung, Aufenthaltserlaubnis, Straftaten, Selbstbezichtigung, Verwertungsverbot, Nemo-tenetur-Grundsatz
Normen: StGB § 271 Abs. 1; StGB § 276 Abs. 1 Nr. 2; StGB § 276a; AuslG § 92 Abs. 2 Nr. 2
Auszüge:

Die Überprüfung des angegriffenen Urteils aufgrund der Sachrüge deckt keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf, soweit diese wegen tateinheitlich zusammentreffender Vergehen nach § 271 Abs. 1, § 276 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 276 a StGB verurteilt wurde.

Gleiches gilt auch für den Schuldspruch nach § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG.

Die Rechtsauffassung der Revision, § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG komme nicht zur Anwendung, weil die Angeklagte als Ehefrau eines deutschen Staatsangehörigen unbeschadet ihrer falschen Angaben zu ihrem früheren Aufenthalt in Deutschland einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gehabt habe, findet weder im Wortlaut noch nach dem damit verfolgten Zweck dieses Straftatbestands eine Stütze.

Nach dieser Bestimmung wird unter anderem bestraft, wer unrichtige Angaben macht, um für sich eine Aufenthaltsgenehmigung, hierunter fällt auch die Aufenthaltserlaubnis gemäß §§ 15, 23 AuslG (vgl. hierzu § 5 Nr. 1 AuslG), zu beschaffen. Diese tatbestandlichen Voraussetzungen hat die Angeklagte erfüllt, weil sie am 10.1.2002 wahrheitswidrig angegeben hat, sie habe sich früher noch nie in Deutschland aufgehalten. § 92 Abs. 2 Nr. 2 erste Alternative AuslG spricht weder davon, dass das falsche Vorbringen zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung geeignet sein müsse, noch davon, dass die Strafbarkeit des Vortrags falscher Tatsachen dann entfällt, wenn dem Antragsteller ohnehin ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung zusteht (vgl. OLG Karlsruhe und Senge aaO; Hailbronner AuslR - Stand: Dezember 2000 § 92 Rn. 53; Aurnhammer Spezielles Ausländerstrafrecht S. 68; Heinrich ZAR 2003, 166, 171; Lorenz NStZ 2002, 640, 641; Westphal/Stoppa Ausländerrecht für die Polizei 2. Aufl. Rz. 27.9.3.1.2). Der hiervon abweichenden Meinung des Verwaltungsgerichts Koblenz (InfAuslR 1992, 86/87 und ihm folgend Franke in GK AuslR - Stand: Juli 2002 § 92 Rn. 31; Renner AuslR 7. Aufl. § 92 Rn. 18; Ventzke StV 1998, 425) vermag der Senat deshalb nicht beizutreten.

Einer Interpretation des § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG in diesem Sinne stünde bereits entgegen, dass die Strafvorschrift darauf ausgerichtet ist, den in der Angabe unrichtiger Tatsachen liegenden Rechtsmissbrauch bereits im Vorfeld zu pönalisieren (Aurnhammer S. 68, 146; Kloesel/Christ/Häußer AuslG - Stand: Mai 2002 § 92 Rz. 56). Zudem muss auch das Verwaltungsgericht Koblenz einräumen, dass der Wortlaut des § 92 Abs. 2 AuslG bereits die Tendenz erkennen lässt, auf die subjektiven Vorstellungen des Antragstellers abzustellen.

Darüber hinaus spricht gegen die von der Revision unter Bezugnahme auf die genannte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Koblenz vertretene Rechtsansicht auch der Zweck der Strafvorschrift. Durch sie soll nicht nur das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die materielle Rechtmäßigkeit der Aufenthaltstitel geschützt werden (BayObLGSt 2000, 65/66 = NStZ-RR 2000, 344/345; Aurnhammer S. 68; Hailbronner aaO). Sie dient vielmehr insgesamt dem Schutz des formellen ausländerrechtlichen Verfahrens mit dem Ziel, den Erlass materiell rechtmäßiger Aufenthaltstitel sicherzustellen (Heinrich aaO; Lorenz aaO). Dieser Schutzzweck wird nicht erst dann verletzt, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass durch falsches Vorbringen eine inhaltlich fehlerhafte Aufenthaltsgenehmigung erteilt wird. Er kommt vielmehr bereits dann zum Tragen, wenn durch falsche Angaben die abstrakte Gefahr hervorgerufen wird, dass eine materiell unrichtige Entscheidung zum Aufenthaltsrecht ergeht. Eine solche abstrakte Gefahr verwirklicht sich stets dann, wenn ein Ausländer falsche Angaben macht, die im Allgemeinen, wenn auch nicht in seinem besonderen Fall, geeignet sind, ihm zu Unrecht einen bestimmten Aufenthaltstitel zu verschaffen (vgl. hierzu BayObLG aaO; Aurnhammer S. 68; Hailbronner aaO).

Das trifft auf den vorliegenden Fall zu. Hierbei kann offen bleiben, ob der Angeklagten aufgrund ihrer Heirat eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen war.

Im Übrigen spricht auch die unterschiedliche Wertigkeit der nach § 5 AuslG vorgesehenen Arten der Aufenthaltsgenehmigung gegen die Richtigkeit der Auffassung, unrichtige Angaben bei der Antragstellung müssten sanktionslos bleiben, sofern überhaupt ein Anspruch auf eine Aufenthaltsgenehmigung im Sinne von § 5 AuslG besteht.

Auch das weitere Vorbringen der Revision, eine Verurteilung nach § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG hätte nicht erfolgen dürfen, weil sich die Angeklagte einer Straftat hätte bezichtigen müssen, falls sie wahrheitsgemäß angegeben hätte, früher schon einmal unter falschem Namen einen Asylantrag in Deutschland gestellt zu haben, greift nicht durch.

Soweit die Revision damit das Vorliegen eines Verwertungsverbots durch Verletzung des nemo-tenetur-Grundsatzes anspricht, wonach niemand gezwungen werden darf, durch eigenes aktives Tun an seiner strafrechtlichen Überführung mitzuwirken (vgl. hierzu Rieß in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. Einl. Abschn. I Rn. 88), kann das dahinstehen. Der Senat muss sich mit der Frage, inwieweit falsche Angaben in einem Asylverfahren in einem späteren Strafverfahren noch verwertet werden dürfen (vgl. hierzu BGHSt 36, 328, 334; OLG Hamm NStZ 1989, 187/188; OLG Düsseldorf StV 1992, 503/506) nicht befassen, weil die Angeklagte keine der Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechende Verfahrensrüge erhoben hat und zudem der festgestellte Sachverhalt ausschließlich auf ihren Angaben beruht.