VG Darmstadt

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Zitieren als:
VG Darmstadt, Urteil vom 30.06.2004 - 4 E 72/04.A(3) - asyl.net: M5403
https://www.asyl.net/rsdb/M5403
Leitsatz:

§ 51 Abs. 1 AuslG für Deserteur aus Eritrea, der wegen kritischer Meinungsäußerungen beim Militärdienst aufgefallen und verfolgt worden war.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Eritrea, Tigrina, G 15, Sympathisanten, Regimekritik, Wehrdienst, Haft, Misshandlungen, Spionageverdacht, Vorverfolgung, Wehrdienstentziehung, Desertion, Politmalus, Glaubwürdigkeit, Bundesamt, Anhörung, Dolmetscher, Übersetzungsschwierigkeiten
Normen: AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte in seiner Person das Abschiebeverbot des § 51 Abs. 1 S. 1 AuslG hinsichtlich Eritreas feststellt.

Für diese Überzeugung des Gerichts sind folgende Gründe leitend gewesen:

Der Kläger hat sein Heimatland wegen erlittener politisch motivierter Verfolgung verlassen, und im Fall der Rückkehr nach Eritrea ist es nicht auszuschließen, dass er erneut wegen politischer Betätigung sowohl vor der Ausreise als auch während seines Aufenthalts im Ausland mit politischer Verfolgung im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG konfrontiert werden wird. Wie der Kläger bei seinen umfangreichen Schilderungen und Beschreibungen in der mündlichen Verhandlung letztendlich glaubhaft darlegen konnte, fiel er während der Zeit seiner Angehörigkeit zur eritreischen Armee wegen missliebiger politischer Einstellung auf. Er trug anlässlich einer Zusammenkunft aller Soldaten seiner Botoloni Kritik an dem Krieg gegen Äthiopien vor. Er äußerte sich damals dahingehend, dass dieser Kontlikt nicht mit Waffen, sondern auf friedlichem Wege gelöst werden solle. Diese kritische politische Meinungsäußerung führte dazu, dass der Kiäger mit dem Vorwurf der Spionage für den Feind überzogen wurde, was wohl zu den schlimmsten Vorwürfen rechnen dürfte, die einem Soldaten gegenüber gemacht werden können, zumal in Kriegszeiten. Dementsprechend hat das Militär hart, ja brutal und menschenverachtend hierauf reagiert. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger ausführlich, von sich aus flüssig, detailreich und auch auf Nachfragen schlüssig und insgesamt glaubhaft geschildert, wie es ihm im Anschluss an diese politische Meinungsäußerung ergangen ist. Hiernach wurde er zunächst einmal von dem Botoloni-Führer zusammengeschlagen, unter Beschimpfungen und Vorhalten, er sei ein Verräter, ein Spion. Anschließend, nachdem die dort erlittenen, bis heute nachwirkenden Verletzungen behandelt worden waren, hatte man den Kläger als Militärhäftling unter unwürdigsten Umständen (Erdloch als "Gefängnis") unter Anwendung von brutaler Gewalt verhört und wollte von ihm das Eingeständnis erringen, er sei wirklich ein Woyani. Da die militärischen SteIlen dem Kläger die vorgeworfene Spionage offenbar nicht nachweisen konnten, entließen sie ihn nach zehn Tagen aus der Militärhaft bei der übergeordneten militärischen Einheit (Division) und brachten ihn zurück zu seiner Kampftruppe.

Der mit diesem schlimmen aber unberechtigten Spionagevorwurf belastete Kläger fiel den militärischen Stellen einige Zeit danach erneut auf, als er sich zusammen mit anderen Soldaten heimlich und verdeckt traf und darüber sprach, dass in Eritrea nach so langer Zeit endlich demokratische Zustände eingeführt werden müssten, vor allem im Hinblick darauf, dass die gegenwärtige Regierung nach Belieben Leute einsperre, foltere und töte. Ganz offensichtlich wurden die militärischen Stellen irgendwann auf die subversive Einstellung und die Gespräche und Treffen der Gruppierung aufmerksam. Dabei gerieten der Kläger und ein weiterer Kamerad auch namentlich ins Visier, was der Kläger durch einen Kameraden erfuhr, der regelmäßig Botendienste von seiner Einheit zu der übergeordneten Botoloni wahrzunehmen hatte. Von diesem wurde er vor einer drohenden Festnahme gewarnt, was den Kläger und seinen Kameraden umgehend zur Flucht veranlasste.

Der Kläger ist mit diesem Vorbringen zu seiner Flucht und der vorangegangenen Verfolgung innerhalb der eritreischen Streitkräfte nach Überzeugung des Gerichts glaubwürdig.

Als Grund für die deutliche Diskrepanz zwischen den Einlassungen des Klägers, wie sie die Niederschrift über seine Anhörung im Rahmen der Vorprüfung festhält, und seinen Schilderungen in der mündlichen Verhandlung sieht das Gericht die offenbar erheblichen Schwierigkeiten, die bei der Übersetzung der militärischen Begriffe aus der tigrinischen in die deutsche Sprache und anschließend bei der Rückübersetzung aufgetreten sein dürften. Ganz offensichtlich waren dem militärisch möglicherweise nicht bewanderten Dolmetscher beim Bundesamt die eritreischen und/oder die deutschen Fachbegriffe nicht geläufig, so dass er bei der Übersetzung ins Deutscne völlig unpräzise Begriffe verwandte, bei der Rückübersetzung aber wieder die von dem Kläger bezeichneten Angaben machte. Dadurch konnte, ja musste bei dem Kläger der Eindruck entstehen, dass seine diesbezüglichen Angaben korrekt aufgefasst und vom Dolmetscher auch wiedergegeben worden sind, was - im Nachhinein betrachtet - nicht der Fall war.

Der nach Verfolgung wegen einer unliebsamen politischen Meinungsäußerung vom Militär geflohene, desertierte Kläger ist im Falle seiner Rückkehr nach Eritrea vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher. Es ist nicht nur nicht auszuschließen, sondern sogar eher höchst wahrscheinlich, dass er in seinem Heimatland nach Rückkehr erneut wegen seiner politischen Auffassung in Verbindung mit der verfolgungsbedingten Desertion nach den einschlägigen militärischen Bestimmungen belangt werden dürfte. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um die Verfolgung bloßen militärischen Kriminalstrafrechts, sondern den Kläger würde ein so genannter Polit-Malus treffen, der von seiner unliebsamen Meinungsäußerung und dem darauf folgenden Spionageverdacht herrührt.