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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 16.06.2004 - 1 C 27.03 - asyl.net: M5426
https://www.asyl.net/rsdb/M5426
Leitsatz:

Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG kann nur bei Gefahren gewährt werden, die dem Ausländer selbst im Abschiebezielstaat drohen. Das Schutzbedürfnis eines nahen Familienangehörigen (hier: Tochter) führt nicht zu einer eigenen Rechtsposition des Ausländers nach § 53 Abs. 6 AuslG.(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Nigeria, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Kinder, Extreme Gefahrenlage, Familienangehörige, Eltern, Familienasyl, Analogie
Normen: AuslG § 53 Abs. 6; AsylVfG § 26
Auszüge:

Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Abschiebungsschutz deshalb versagt, weil nicht zu befürchten sei, dass sie persönlich bei einer Rückkehr nach Nigeria einer individuellen konkreten Gefahr im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG oder einer extremen allgemeinen Gefahrensituation ausgesetzt sein würde, die geeignet wäre, die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG zu überwinden.

Mit Recht ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG nicht wegen Gefährdungen erlangen kann, die ihre Tochter betreffen. Der Anspruch auf Schutzgewährung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG begründet eine individuelle Rechtsposition, die nur auf Gefahren gestützt werden kann, die dem Ausländer selbst drohen. Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass schon nach dem Wortlaut des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG Abschiebungsschutz nur gewährt werden kann, wenn eine Gefahr "für diesen Ausländer" besteht. Auch der Zweck der gesetzlichen Regelungen zielt auf den Schutz vor individuell-konkreten Gefahren, die dem betroffenen Ausländer selbst im Zielland seiner Abschiebung drohen (vgl. Gesetzesbegründung der Bundesregierung zu § 53 Abs. 6 AuslG, BTDrucks 11/6321 S. 75; Urteil vom 11. November 1997 - BVerwG 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322 325>). Deshalb vermag - auch schon nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - eine Gefährdung von Kindern kein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG für die Eltern zu begründen (Urteil vom 8. November 1999 - BVerwG 9 C 13.99 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 26; Beschluss vom 27. April 2000 - BVerwG 9 B 153.00 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 35).

Eine lediglich vom Recht eines nahen Familienangehörigen auf Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG abgeleitete Berechtigung, ebenfalls Abschiebungsschutz nach dieser Vorschrift zu erhalten, gibt es nicht. Sie lässt sich namentlich nicht aus einer entsprechenden Anwendung der Regelung des Familienasyls in § 26 AsylVfG herleiten (so zum Abschiebungsschutz nach § 51 AuslG: Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 1.94 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 173 S. 20; allgemein zu § 53: Treiber, in: GK-AuslR § 53 Rn. 121.1). Denn es besteht - anders als die Revision meint - keine verfassungswidrige Schutzlücke. Liegt bei einem Kind ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG vor, so kann und muss dies in einem gesonderten Verfahren für das Kind geltend gemacht werden. Würde ein solches Abschiebungshindernis hier für die Tochter der Klägerin festgestellt - was bisher nicht der Fall ist -, wäre dies von der Ausländerbehörde bei ihrer Entscheidung über den Vollzug der Abschiebung der Klägerin zu berücksichtigen (vgl. Urteil vom 8. November 1999, a.a.O., S. 34; Urteil vom 9. Dezember 1997 - BVerwG 1 C 19.96 - BVerwGE 106, 13 16 f.>).