VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 09.08.2004 - 9 TG 1179/04 - asyl.net: M5526
https://www.asyl.net/rsdb/M5526
Leitsatz:

Eine eheliche Lebensgemeinschaft kann durch die Vorlage einer Heiratsurkunde und den Nachweis einer gemeinsamen Wohnung nachgewiesen werden, ohne dass es regelmäßig weiterer Nachforschungen oder Nachweise bedarf; je stärker die Lebensgemeinschaft von diesem Normbild abweicht - etwa durch getrennte Wohnungen -, desto mehr obliegt es den Eheleuten, weitere Nachweise für die eheliche Lebensgemeinschaft zu erbringen.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Nachträgliche Befristung, Familienzusammenführung, Ehegattennachzug, Eheliche Lebensgemeinschaft, Erwerbtätigkeit, Schutz von Ehe und Familie
Normen: AuslG § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

Eine Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft hat von folgenden, die neuere Rechtsprechung zu diesem Problemkreis tragenden Grundsätzen auszugehen (vgl. hierzu etwa die Senatsbeschlüsse vom 21. März 2003 - 9 TG 2001/02 - und vom 16. Januar 2004 - 9 TG 3438/03 -; Hess. VGH, Beschluss vom 14. Januar 2002 - 12 TG 724/01 -, InfAuslR 2002, 426 = EZAR 023 Nr. 25; ByerfG, 2. Senat 1. Kammer, Beschluss vom 5. Mai 2003 - 2 BvR 2042/02 -, a.a.O.; OVG Mecklenburg-Vorpommem, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 3 M 35/00 -, NVwZ-RR 2001, 192 = InfAuslR 2001, 128 = EZAR 023 Nr. 21 = AuAS 2001, 52; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 18.November 2000 - 4 M 80/00 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. August 2002 - 18 B 1063/00 -, ZAR 2003, 23 = AuAS 023 Nr. 27):

Die Schutzwirkung des Art 6 Abs. 1 GG und der auf das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft abstellenden ausländerrechtlichen Vorschriften greift nicht schon dann ein, wenn sich der um staatlichen Schutz Nachsuchende auf den bloßen Bestand einer formal ordnungsgemäß eingegangenen Ehe, also auf die schlichte Tatsache seines Verheiratetseins, berufen kann. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, ob die durch das Institut der Ehe miteinander verbundenen Personen auch der Sache nach in einer ehelichen Lebensgemeinschaft im Sinne einer die persönliche Verbundenheit der Eheleute zum Ausdruck bringenden Beistandsgemeinschaft leben. Diese eheliche Lebensgemeinschaft, die sich nach außen im Regelfall in einer gemeinsamen Lebensführung, also in dem erkennbaren Bemühen dokumentiert, die alltäglichen Dinge des Lebens miteinander in organisatorischer, emotionaler und geistiger Verbundenheit zu bewältigen, dreht sich im Idealfall um einen gemeinsamen Lebensmittelpunkt und wird daher regelmäßig in einer von den Eheleuten gemeinsam bewohnten Wohnung gelebt. Allerdings ist es nicht Sache des Staates, Eheleuten die Art und Weise des persönlichen Umgangs miteinander sowie die organisatorische Gestaltung der zu bewältigenden Arbeitsabläufe vorzuschreiben oder die Zubilligung staatlichen Schutzes von der Einhaltung eines bestimmten Idealzustandes abhängig zu machen. Vielmehr steht es grundsätzlich im Belieben des Einzelnen, eine eigenverantwortliche Entscheidung darüber zu treffen, wie er das gemeinsame Leben mit seinem Ehegatten im Einzelnen gestaltet, so dass der Staat seiner Schutz- und Gewährleistungsfunktion auch dann nachzukommen hat, wenn sich Eheleute etwa dazu entschließen, aus bestimmten sachlichen oder persönlichen Gründen, also z.B. wegen Berufstätigkeit an verschiedenen Orten, ihre Lebensgemeinschaften nicht ständig in einer gemeinsamen Wohnung zu leben, sondern einen Teil ihrer Zeit an verschiedenen Orten verbringen. Voraussetzung ist aber, dass hierdurch die persönliche und emotionale Verbundenheit der Eheleute, ihr "Füreinander-Dasein", nicht in einer so nachhaltigen Weise aufgegeben wird, dass nicht mehr von einer Beistandsgemeinschaft, sondern allenfalls noch von einer bloßen Begegnungsgemeinschaft gesprochen werden kann, im Rahmen derer selbst regelmäßige Treffen oder Freizeitaktivitäten nur noch den Charakter gegenseitiger Besuche miteinander befreundeter Personen haben.

Im Bereich des Ausländerrecht bedeutet dies, dass sich Eheleute im Regelfall allein durch Vorlage ihrer Heiratsurkunde und durch den Nachweis einer von beiden gemeinsam bewohnten Wohnung und Führung eines gemeinsamen Haushalts mit Erfolg auf die Schutzwirkung des Art. 6 Abs. 1 GG berufen können. Es ist in Fällen dieser Art grundsätzlich auch nicht Sache des Staates in Gestalt der Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte, nähere Erkundigungen über die Art und Weise einzuholen, in der solche Personen ihr eheliches Leben hinter den Türen ihrer gemeinsam bewohnten Wohnung gestalten, oder von derartigen Eheleuten weitere Erklärungen oder Beweise hierüber einzufordern. Je mehr sich die individuelle Gestaltung einer Ehe indes nach außen erkennbar vom zuvor beschriebenen, durch eine persönliche Beistandsgemeinschaft und einen gemeinsamen Lebensmittelpunkt gekennzeichneten Regelfall entfernt, um so mehr begründet dies die Obliegenheit der Betreffenden, ihrerseits den Nachweis dafür zu erbringen, dass ihre Beziehung dennoch den inhaltlichen Kriterien entspricht, wie sie für eine eheliche Lebensgemeinschaft typisch sind. Unterstützt wird dies im Bereich des Ausländerrechts durch die gesetzliche Regelung in § 70 Abs. 1 AuslG, wonach es dem Ausländer obliegt, seine Belange und die für ihn günstigen Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Tatsachen unverzüglich geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise über seine persönlichen Verhältnisse beizubringen, soweit er dazu in der Lage ist. Erwecken die objektiven Umstände berechtigte, weil nicht schlicht aus der Luft gegriffene Zweifel am Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft und gelingt es dem Ausländer nicht, durch substantiiertes Vorbringen und nachvollziehbare Schilderung der alltäglichen Gestaltung des gemeinsamen mit seinem Ehepartner geführten Lebens diese Zweifel zu entkräften, so trägt er die nachteiligen Folgen der Nichterweislichkeit einer die Schutzpflichten des Staates auslösenden ehelichen Lebensgemeinschaft. Insoweit obliegt es den Eheleuten nicht etwa, intime Details ihres ehelichen Zusammenlebens preiszugeben, die einen Außenstehenden nichts angehen. Vielmehr geht es vorrangig um durchaus alltägliche, aber eine familiäre Beistandsgemeinschaft wesentlich prägende Umstände, die den Schluss rechtfertigen, dass im konkreten Fall trotz einer in ihrem äußeren Ablauf untypischen Gestaltung der familiären Beziehung dennoch die spezifische Verbundenheit der Ehegatten unverkennbar vorhanden ist. Solche Umstände können zum Beispiel Zeiten gemeinsamer Freizeitbeschäftigung sein, gemeinsame Besuche bei Verwandten, Freunden und Bekannten, zusammen unternommene Reisen, gegenseitige Unterstützungshandlungen in Fällen von Krankheit oder sonstiger Not, gemeinsames Wirtschaften, Einkaufen, Essen, gemeinsame Kindererziehung oder sonstige praktisch gelebte, deckungsgleiche Interessen der Ehegatten, die einen Schluss auf eine intensive persönliche Verbundenheit der Eheleute zulassen.

Diesen Anforderungen wird das Vorbringen der Antragstellerin - auch unter Berücksichtigung ihrer Beschwerdebegründung - nicht ansatzweise gerecht.

Zunächst ist auch für den vorliegend zur Entscheidung berufenen Senat nicht hinreichend deutlich geworden, warum die Antragstellerin im August 2000 eine Arbeitsstelle in Frankfurt am Main antrat und nicht bemüht war, im Raum Kassel eine Beschäftigung zu finden, die es ihr ermöglicht hätte, weiterhin mit ihrem Ehemann in häuslicher Gemeinschaft zu leben. Sie hat weder substantiiert und glaubhaft vorgetragen, weshalb es nicht möglich gewesen sein soll, den bis 31. Dezember 2000 befristeten Arbeitsvertrag bei der Firma B. zu verlängern, noch ist glaubhaft gemacht worden, dass - und zu welchem Zeitpunkt - dieses Arbeitsverhältnis gekündigt wurde, wie sie in ihrer Beschwerdebegründung behauptet.

Auch die von der Antragstellerin vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen genügen nicht, um der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen.

Grundsätzlich sind derartige Versicherungen zwar ein geeignetes Mittel, um im Verfahren zur Gefährdung vorläufigen Rechtsschutzes das Vorbringen eines Antragstellers glaubhaft zu machen.

Wenn der Senat den von der Antragstellerin vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen dennoch keine streitentscheidende Bedeutung beimisst, so in erster Linie deshalb, weil sämtliche dieser Erklärungen von bemerkenswert reduzierter Aussagekraft sind und sich ausnahmslos in formalen und detailarmen Formulierungen erschöpfen, die in keiner Weise geeignet sind, den Bestand einer Lebensgemeinschaft, wie sie oben unter Anlegung inhaltlicher Kriterien näher umrissen wurde, zu belegen.

Die Antragstellerin und ihr Ehemann haben gegenüber der Ausländerbehörde in einer formblattmäßig vorbereiteten Erklärung vom 15. Januar 2001 versichert, weiterhin in ihrer gemeinsamen Wohnung in ehelicher Lebensgemeinschaft zu wohnen. Angesichts der Tatsache, dass die Antragstellerin zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Monate mit Nebenwohnsitz in Frankfurt am Main gemeldet war und fraglos wusste, dass ihre ausländerrechtliche Position von Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft mit Manfred B. abhing, hätte es nahe gelegen, insoweit zur Wahrung der eigenen Interessen eine nähere und die persönliche Lebensgestaltung detaillierter darstellende Erklärung - ggf. in einem ergänzenden Schreiben an die Ausländerbehörde - abzugeben.

Nichts anders gilt für die Versicherungen anderer Personen, die die Antragstellerin mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 9. Dezember 2002 zu den Akten der Ausländerbehörde gereicht hat.