VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 18.08.2004 - 5 E 1231/04.A (V) - asyl.net: M5540
https://www.asyl.net/rsdb/M5540
Leitsatz:

Dublin-Regularien gehen der Drittstaatenregelung vor.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Eritreer, Italien (A), Dubliner Übereinkommen, Drittstaatenregelung, Abschiebungsandrohung, Abschiebungsanordnung, Unbeachtlicher Asylantrag, Bundesamtsbescheid, Zustellung, Prozessbevollmächtigte, Rechtsschutzinteresse, Beschwer
Normen: AsylVfG § 34a Abs. 1 S. 1; AsylVfG § 31 Abs. 4, AsylVfG § 26a; AsylVfG § 29 Abs. 3 S. 1; AsylVfG § 35 S. 2; AsylVfG § 31 Abs. 1; VwZG § 8 Abs. 1 S. 2; DÜ; Dublin II-VO Art. 19; EG-VO Nr. 343/2003
Auszüge:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid vom 26.03.2004 ist durch Zustellung an den Bevollmächtigten wirksam geworden.

Eine zeitlich frühere Zustellung an den Kläger persönlich wurde - ungeachtet der Frage, ob durch § 31 Abs. 1 Sätze 3 und 5 AsylVfG in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise die reguläre Zustellungsvorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 2 VwZG zu Lasten des Asylbewerbes abgeändert werden kann - nicht vorgenommen; die Kenntnisnahme durch den Klägervertreter nach Akteneinsicht ersetzt weder die ordnungsgemäße Zustellung noch die Zuleitung nach § 31 Abs. 1 Satz 5 AsylVfG.

Die bereits am 12.05.2004 erhobene Klage ist daher zulässig bzw. jedenfalls nachträglich zulässig geworden.

Sie ist auch begründet. Denn der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte hat sich im vorliegenden Fall auf die falsche Rechtsgrundlage gestützt und in nicht zutreffender Weise das Asylbegehren nach § 26a Abs. 1 AsylVfG behandelt. Richtige Rechtsgrundlage wäre hier § 29 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG gewesen mit der Folge, dass die Beklagte nicht eine Feststellung nach Art. 16a Abs. 2 GG i. V.m. § 26a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG hätte treffen dürfen, sondern - unter Berufung auf Art. 16a Abs. 5 GG i. V.m. § 29 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG - den Asylantrag als unbeachtlich hätte behandeln müssen.

Wenn - wie hier - ein anderer Vertragsstaat für die Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist, kommt § 29 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG nicht zur Anwendung, und der Asylantrag ist als unbeachtlich zu behandeln (vgl. Renner, § 31 AsylVfG, Rdnr. 4).

Nach einhelliger Auffassung findet die Drittstaatenklausel gegenüber den Vertragsstaaten des Dubliner Übereinkommens keine Anwendung; in Bezug auf andere Mitgliedsstaaten, die allesamt Drittstaaten sind, hat das Dubliner Übereinkommen nach seinen Zwecksetzungen und mit Rücksicht auf einen gebotenen und aus Art. 3 Abs. 5 des Übereinkommens vom 15.06.1990 zu ziehenden Umkehrschluss Vorrang. Dies ergibt sich auch verfassungsrechtlich aus dem Vorrang von Art. 16a Abs. 5 GG gegenüber dessen Abs. 2 (vgl. dazu Funke-Kaiser in GK, § 29 AsylVfG, Rdnr. 48 m.w.N.).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der das Dubliner Übereinkommen teilweise abändernden Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 (sog. Dublin II-VO). Auch hier wird zwischen Mitgliedsstaaten und Drittstaaten unterschieden (vgl. Art. 2 und 3).

Zweifelsohne ist auch die Dublin lI-VO ein völkerrechtlicher Vertrag i.S.v. § 29 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG, denn sie behält im Wesentlichen die Regelungen des Dubliner Übereinkommens bei und modifiziert sie (vgl. die Erwägungen des Rates unter Ziff. 5 in der Präambel); das Dubliner Übereinkommen und die Dublin II-VO sind in Umsetzung des Vertrages über die Europäische Union ergangen.

Auch die auf § 34a Abs. 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung ist rechtswidrig.

Hätte nach innerstaatlichem Recht die Entscheidung, den Asylantrag nicht zu prüfen (so Art. 19 Abs. 2 Dublin II-VO) über § 29 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG erfolgen müssen, so gilt für die Durchsetzung der Verlassenspflicht § 35 Satz 2 i. V.m. § 36 AsylVfG. § 35 Satz 2 AsylVfG erwähnt auch ausdrücklich "den anderen Vertragsstaat", während § 34a AsylVfG nur auf Drittstaaten, die keine Vertragsstaaten sind, anwendbar sein kann. Gegen den Kläger hätte also keine Abschiebungsanordnung, sondern allenfalls eine Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung ergehen dürfen.

Die Entscheidung des Bundesamtes vom 26.03.2004 ist weiterhin deshalb rechtswidrig, weil sie dem Kläger weder die Verpflichtung, ihn an den zuständigen Mitgliedsstaat zu überstellen, noch die Frist für die Durchführung der Überstellung mitteilt. Der Bescheid räumt dem Kläger keine Möglichkeit ein, sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedsstaat zu begeben (wie es aber Art. 19 Abs. 1 und 2 Dublin Il-VO verlangt).

Durch die unrichtige Sachbehandlung seines Asylantrages ist der Kläger in seinen Rechten verletzt. Denn eine aufgrund einer Abschiebungsanordnung durchgeführte Abschiebung entfaltet für ihn negative Rechtswirkungen, die er nicht zu gewärtigen hätte, wenn ihm die freiwillige Ausreise oder Überstellung ermöglicht würde. Dagegen kann er sich mit der vorliegenden Klage erfolgreich wehren (vgl. Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO i.V.m. § 74 Abs. 1 AsylVfG).