VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 13.08.2004 - 8 K 3488/03.A - asyl.net: M5551
https://www.asyl.net/rsdb/M5551
Leitsatz:

Mitgliedern und Sympathisanten von kurdischen Organisationen drohen nach wie vor Misshandlungen im Gewahrsam der türkischen Polizei; Asylanerkennung für Kurden, dem aufgrund von Denunziationen die Mitgliedschaft in der PKK vorgeworfen wird.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Türkei, Kurden, PKK, Verdacht der Mitgliedschaft, Denunziation, Glaubwürdigkeit, Vorverfolgung, Familienangehörige, Bruder, Haft
Normen: GG Art. 16a Abs. 1
Auszüge:

Der Kläger hat Anspruch darauf, gem. Artikel 16 a Abs.1 GG als Asylberechtigter anerkannt zu werden.

Soweit das Bundesamt in seinem Bescheid noch die Angaben des Klägers für unglaubhaft und die vorgelegten Unterlagen für Fälschungen gehalten hat, ist diese Einschätzung durch die Auskunft des Auswärtigen Amtes von 24.05.2004 überholt. Hiernach ist davon auszugehen, dass Brüder des Klägers in der Vergangenheit wegen Zugehörigkeit zur PKK verurteilt und langfristig inhaftiert worden sind. Der Kläger selbst ist zur Fahndung ausgeschrieben. Im Personenstandsregister ist ein Suchvermerk eingetragen. Grund hierfür ist die Tatsache, dass anlässlich polizeilicher Einsätze gegen die PKK im Raum Bursa verschiedene Festgenommene bei der Polizei ausgesagt haben, dass der Kläger als Mitglied der PKK mehrere Aktionen geplant habe. Die Ermittlungsakten der Polizei sind sodann an die Oberstaatsanwaltschaft des Staatssicherheitsgerichts in Istanbul weitergeleitet worden. Die Fahndung nach dem Kläger ist in der Folgezeit auch nicht eingestellt worden. Seinem Bruder ist noch in letzter Zeit von Polizisten mitgeteilt worden, dass sich der Kläger den Behörden stellen solle, um von dem Wiedereingliederungsgesetz vom 06.08.2003 zu profitieren.

Von daher steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass nach dem Kläger auch heute noch wegen Zugehörigkeit zur PKK und Beteiligung an Anschlägen gefahndet wird, wobei in diesem Zusammenhang dahinstehen kann, ob der dem Kläger dabei gemachte Vorwurf zutreffend ist oder nicht. Von daher muss der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten, bei einer Rückkehr in die Türkei wegen Unterstützung der PKK verhaftet und inhaftiert zu werden. Dabei läuft er konkret Gefahr, gefoltert und misshandelt zu werden. Denn es ist bekannt, dass Sicherheitskräfte in der Türkei vor allem in den ersten Tagen des Polizeigewahrsams die Inhaftierten erheblich körperlich misshandeln bis hin zu Folter. Trotz einiger Verbesserungen der Rechtslage und Menschenrechtspraxis, z.B. Zuziehung eines Rechtanwalts in den ersten Tagen, besteht die Gefahr asylerheblicher Misshandlung im Polizeigewahrsam fort. Eine Abwendung der türkischen Sicherheitsbehörden von ihrer bisherigen Praxis ist noch nicht ausreichend gewährleistet (so OVG NRW, Urteil vom 13.08. 2003 - 8 A 5583/99.A).

Hierzu führt auch der Sachverständige Serafettin Kaya in seinem Gutachten vom 02.05.2004 an das VG Frankfurt/Oder aus, dass sich trotz der im Hinblick auf die angestrebte EU-Mitgliedschaft der Türkei durchgeführten gesetzlichen Änderungen und gegebenen Zusagen der Regierung bei der strafrechtlichen Verfolgung von Organisationen und Personen, die im Zusammenhang mit der kurdischen Frage stehen, keine Verbesserung feststellen lässt. Die Sicherheitskräfte verfolgen die Organisationen, die Mitglieder der Organisation und Sympathisanten, die sich an den Aktivitäten der Organisationen beteiligen und diese unterstützen auf dieselbe Art und Weise wie bereits früher. Unter Anwendungen von psychischer und physischer Folter während der Verhöre wird weiter versucht, Beschuldigte zu Geständnissen oder zur Preisgabe von Informationen zu zwingen. Die von den Sicherheitskräften angewandte Gewalt bei Demonstrationen, Kundgebung und anderen Protestaktionen hat allerdings teilweise abgenommen.

Die danach mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Misshandlung des Klägers im Polizeigewahrsam stellt eine politische Verfolgung dar.