BVerfG

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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 29.07.2004 - 1 BvR 737/00 - asyl.net: M5580
https://www.asyl.net/rsdb/M5580
Leitsatz:

Der Begriff der Geschäftsmäßigkeit im Rechtsberatungsgesetz ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die Tätigkeit eines erfahrenen Juristen nicht vom Verbot der geschäftsmäßigen Rechtsberatung erfasst wird.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Rechtsberatung, Rechtsberatungsgesetz, Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten, Geschäftsmäßige Rechtsberatung, Juristen, Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz, Verhältnismäßigkeit
Normen: RberG Art. 1 § 1
Auszüge:

Die Verfassungsbeschwerde eines pensionierten Richters (Beschwerdeführer; Bf), der sich gegen eine Verurteilung zu einer Geldbuße wegen unerlaubter geschäftsmäßiger Besorgung fremder

Rechtsangelegenheiten zur Wehr setzte, war erfolgreich. Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die der Verurteilung zugrunde liegenden Entscheidungen des Oberlandesgerichts (OLG) Braunschweig und des Amtsgerichts (AG) Braunschweig aufgehoben, weil sie den Bf in seinem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes verletzen. Die Sache wird an das AG zurückverwiesen.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wurde nicht hinreichend beachtet.

Die Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften des Rechtsberatungsgesetzes nicht erwogen, ob der Begriff der "Geschäftsmäßigkeit" unter Berücksichtigung der durch das Rechtsberatungsgesetz geschützten Interessen und des Grundrechts desBf auf allgemeine Handlungsfreiheit von Verfassungs wegen im konkreten Fall eine Auslegung erfordert, die die unentgeltliche Rechtsbesorgung durch einen berufserfahrenen Juristen nicht erfasst. Die Schutzzwecke des Rechtsberatungsgesetzes werden durch die rechtsbesorgende Tätigkeit des Bf möglicherweise nicht berührt. Dies legen bislang nicht beachtete konkrete Umstände nahe. So blieb ungeprüft, ob ein Verbot der einzelnen vom Bf übernommenen Rechtsbesorgungen geeignet und notwendig gewesen ist, um die durch das Rechtsberatungsgesetz geschützten Rechtsgüter zuwahren, und ob weniger belastende Maßnahmen dazu ausgereicht hätten.

Die Auslegung des Begriffs der Geschäftsmäßigkeit im Sinne der ständigen Rechtsprechung der Fachgerichte wird den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalls nicht gerecht. Angesichts der beruflichenVorbildung des Bf, seiner langjährigen Erfahrung in verschiedenen juristischen Tätigkeitsfeldern sowie der konkreten Umstände, unter denen er jeweils rechtsbesorgend tätig geworden ist, ist fraglich, ob die Schutzzwecke des Rechtsberatungsgesetzes überhaupt berührt sind. Weiter wäre zu prüfen, ob in Anbetracht der Zulassung des Bf als Verteidiger und seiner juristischen Qualifikation den durch das Rechtsberatungsgesetz geschützten Rechtsgütern nicht bereits hinreichend Rechnung getragen worden ist. Ungeprüft blieb bislang weiter, ob in der Zwischenzeit eine Veränderung der Lebenswirklichkeit eingetreten ist, die das Rechtsberatungsgesetz ergänzungsbedürftig und zugleich ergänzungsfähig hat werden lassen.

Der Wortlaut der Regelung des Rechtsberatungsgesetzes über den Erlaubnisvorbehalt könnte im konkreten Fall über den Sinn und Zweck des Gesetzes hinausgehen, so dass von Verfassungs wegen eine einschränkende Auslegung geboten ist.