OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 22.06.2004 - 2 L 6129/96 - asyl.net: M5591
https://www.asyl.net/rsdb/M5591
Leitsatz:

Verweigerung der Wiedereinreise nach Syrien für staatenlose Kurden nicht asylrelevant.(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: Syrien, Türkei, Kurden, Jesiden, Staatenlose, Kurdische Demokratische Partei, KDP, Haft, Folter, Glaubwürdigkeit, Staatsangehörigkeit, Präklusion, Mitwirkungspflichten, Gruppenverfolgung, Religiös motivierte Verfolgung, Einreiseverweigerung, Gewöhnlicher Aufenthalt, Staatenlosenübereinkommen, Verfolgungsbegriff
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; GG Art. 16a; AsylVfG § 79 Abs. 1; VwGO § 128a Abs. 1
Auszüge:

Der Kläger kann nicht als Asylberechtigter anerkannt werden.

Der Staatsangehörigkeit oder dem Fehlen einer Staatsangehörigkeit (Staatenlosigkeit) eines Asylbewerbers kommt im Asylprozess besondere Bedeutung zu. Zur Prüfung der Aktivlegitimation des Asylklägers bedarf es nämlich zunächst der Feststellung, welchem Staat der Asylbewerber angehört, wessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in welchem Land (i.S. eines gewöhnlichen Aufenthalts) er sich als Staatenloser vor seiner Flucht aufgehalten hatte (vgl. BVerwG, Urt.v. 12.2.1985 - BVerwG 9 C 45.84 -, InfAuslR 1985, 145 = Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 30 = NVwZ 1985, 589); denn für die von dem Gericht für die Entscheidung über das Asylbegehren anzustellende Asylprognose ist auf die Verhältnisse des Landes abzustellen, dessen Staatsbürgerschaft der Asylsuchende besitzt oder - im Falle der Staatenlosigkeit - auf die Verhältnisse des Landes des letzten gewöhnlichen Aufenthalts. Der Asylbewerber ist daher im Rahmen seiner Darlegungs- und Mitwirkungspflichten gehalten, nicht nur über sein Asylschicksal, sondern auch über seine sonstigen persönlichen Verhältnisse (erschöpfend) Auskunft zu geben, wozu insbesondere seine Staatsbürgerschaft oder im Falle der Staatenlosigkeit das Land seines letzten gewöhnlichen Aufenthalts (und der Hinweis auf seine Staatenlosigkeit) gehört. Diese Rechtsbeziehung - die Staatsbürgerschaft eines bestimmten Landes oder die Staatenlosigkeit - stellt einen wesentlichen Bestandteil der persönlichen Verhältnisse des Asylsuchenden dar, bezüglich derer er eine Schilderung geben muss, die den geltend gemachten Anspruch auf Gewährung von Asyl lückenlos zu tragen imstande ist (BVerwG, Urt. v. 24.4.1990 - BVerwG 9 C 4.89 -, Buchholz, aaO, Nr. 125 = InfAuslR 1990, 2387 NVwZ 1990, 876, 877). Falsche oder unzureichende Angaben des Asylsuchenden über seine Staatsbürgerschaft können daher u. U. dazu führen, dass der Asylsuchende nicht als Asylberechtigter anerkannt werden kann, weil sich das Verwaltungsgericht nicht die notwendige Überzeugungsgewissheit (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 16.4.1985 - BVerwG 9 C 109.94 -, BVerwGE 71, 180) darüber verschaffen konnte, der Asylsuchende stamme aus dem von ihm behaupteten Herkunftsstaat (und werde dort bei einer Rückkehr in diesen Staat verfolgt werden) oder sei überhaupt Staatsbürger irgendeines Staates, für den eine Asylprognose gestellt werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.4.1990, aaO). Der Asylsuchende ist daher nach den ihm obliegenden Darlegungs- und Mitwirkungspflichten gehalten, sich substantiiert und erschöpfend zu seiner Staatsangehörigkeit (oder seiner Staatenlosigkeit) zu erklären, zumindest trifft ihn diese Verpflichtung dann, wenn in dem - seinen Asylantrag ablehnenden - Bescheid des Bundesamtes eine bestimmte Staatsbürgerschaft (oder eine Staatenlosigkeit des Asylsuchenden) angenommen und hierauf eine Verfolgungsprognose (für einen bestimmten Staat) gestützt worden ist, der Asylsuchende aber der Meinung ist, diese Prämisse treffe in Bezug auf seine Staatsbürgerschaft nicht zu. Unterlässt es der Asylsuchende in dieser Situation, sich zu seiner Staatsbürgerschaft substantiiert zu erklären, so kann er später, d.h. nach Ablauf der Klagefrist gegen den Bescheid des Bundesamtes, nicht mehr damit gehört werden, er besitze in Wahrheit eine andere Staatsbürgerschaft als in dem angefochtenen Bescheid angenommen, sofern der Asylsuchende vor der Erhebung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes nach § 74 Abs. 2 AsylVfG ordnungsgemäß belehrt worden ist und nach der Ermessensentscheidung des Verwaltungsgerichts (s. dazu Berlit, in: GK-AsylVfG, Stand: Oktober 2003, RdNr. 89 zu § 79) die Ermittlung der nunmehr behaupteten Staatsbürgerschaft die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und der verspätete Vortrag auch nicht genügend entschuldigt ist. Vielmehr ist der Asylkläger in diesem Fall mit seinem Vorbringen zu einer anderen Staatsbürgerschaft nach § 74 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG i. V. m. § 87 b Abs. 3 VwGO im Klageverfahren bzw. nach § 79 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG i. V. m. § 128 a Abs. 1 VwGO im Berufungsverfahren präkludiert (ausgeschlossen).

So liegen die Verhältnisse hier.

Allerdings hatte der Kläger in seiner Anhörung vor dem Bundesamt nicht nur auf seine Registrierung in Syrien als Staatenloser hingewiesen, sondern auch erklärt, seine Vorfahren stammten aus der Türkei - er selbst sei aber in Syrien geboren. Dieser vage Hinweis im Verwaltungsverfahren auf aus der Türkei stammende Vorfahren war aber nicht geeignet, auch nur einen Anhaltspunkt für Ermittlungen in Richtung auf eine etwaige türkische Staatsbürgerschaft zu liefern. Denn die Herkunft der Vorfahren des Klägers aus der Türkei besagte für sich genommen nicht das Geringste darüber, dass bestimmte (männliche) Vorfahren des Klägers die türkische Staatsbürgerschaft besessen haben und diese dem Kläger möglicherweise hätten vermitteln können. Insoweit wäre vielmehr ein detaillierter - erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgter (s. u.) - Vortrag zu einer durch Großvater und Vater vermittelte türkische Staatsbürgerschaft - auch und gerade im Hinblick auf die einer türkischen Staatsbürgerschaft widersprechende Registrierung in Syrien als Staatenloser - erforderlich gewesen. Dieser Vortrag ist aber erst im Laufe des Berufungsverfahrens und dazu noch nach bereits fünfjähriger Dauer des Berufungsverfahrens erfolgt. Der Kläger hätte auch deshalb Veranlassung gehabt, sich zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt zu seiner (angeblichen) türkischen Staatsbürgerschaft zu erklären, weil er in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 27. Juli 1994 nicht etwa als türkischer Staatsangehöriger, sondern als Asylsuchender mit "ungeklärter Staatsangehörigkeit" angesehen und eine auf den Staat Syrien bezogene Asylprognose gestellt worden ist.

Der Kläger kann auch nicht damit gehört werden, bei seinem Vorbringen zu seiner türkischen Staatsbürgerschaft handele es sich angesichts seiner Äußerungen in der Anhörung vor dem Bundesamt zu dem Herkommen seiner Vorfahren lediglich um eine - zulässige (vgl, dazu Schenk, in: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: März 2004, RdNr, 1 zu § 79 AsylVfG u. Berlit, aaO, RdNr. 30) - Ergänzung und Konkretisierung seines ursprünglichen Vortrages, auch habe er vor der erst im Frühjahr 2001 erfolgten Herausbildung der Rechtsprechung des Senats zu der asylrechtlichen Behandlung staatenloser Kurden aus Syrien keine Veranlassung gehabt, zu seiner türkischen Staatsbürgerschaft vorzutragen.

Der Senat übt das ihm bei Anwendung der Präklusionsvorschrift des § 79 Abs. 1 AsylVfG , i.V.m. § 128 a VwGO zustehende Ermessen in der Hinsicht aus, dass er den Vortrag des Klägers zu dessen (angeblicher) türkischer Staatsangehörigkeit im Berufungsverfahren nicht zulässt. Zur Feststellung, ob der Kläger die von ihm behauptete türkische Staatsangehörigkeit besitzt, wären nämlich umfangreiche und zeitaufwendige Ermittlungen, insbesondere bei türkischen Dienststellen etwa zum Wahrheitsgehalt der von dem Kläger zum Beweis seiner türkischen Staatsbürgerschaft nunmehr vorgelegten Dokumente erforderlich, die für sich genommen bereits zu einer erheblichen zeitlichen Verzögerung der Entscheidung in diesem Berufungsverfahren führen würden.

Die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter, der mit seinem Vorbringen zu einer angeblichen türkischen Staatsbürgerschaft präkludiert ist, scheitert bereits daran, dass der Kläger nach der Überzeugung des Senats als Staatenloser anzusehen ist, dem die Wiedereinreise nach Syrien, seinen Herkunftsstaat, vom syrischen Staat aus asylrechtlich nicht relevanten Gründen verweigert wird, so dass es unter asylrechtlichen Gesichtspunkten unerheblich ist, ob dem Kläger als Staatenlosen in seinem früheren Aufenthaltsland Syrien heute noch (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) und auf absehbare Zeit politische Verfolgung droht; vielmehr kommt es für den Kläger als Staatenlosen auf die Verhältnisse im Land des gewöhnlichen Aufenthalts, also die Bundesrepublik Deutschland, an (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.10.1995 - BVerwG 9 C 3.95 -, DVBI. 1996, 205 = Buchholz, aaO, Nr. 180 = NVwZ-RR 1996, 602, 603 u. Urt. v. 24.10.1995 - BVerwG 9 C 75.95 -, Buchholz, aaO, Nr. 181 = NVwZ-RR 1996, 471, 472). Dies hat aber zur Folge, dass der Kläger nicht asylberechtigt ist, sein Status sich vielmehr nach dem Übereinkommen vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen (Gesetz zu dem Übereinkommen vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen, v. 12.4.1976, BGBI. 1I S. 473) richtet. Bei dem Kläger handelt es sich nach der Überzeugung des Senats nicht um einen syrischen Staatsangehörigen, sondern um einen aus Syrien stammenden staatenlosen Kurden, dessen Vorfahren bei der Volkszählung des Jahres 1962 nicht als syrische Staatsbürger registriert worden sind.

Demgegenüber kann der Kläger nicht mit Erfolg geltend machen, die Verweigerung der Einreise stelle eine politische Verfolgung i.S. des Art. 16 a Abs. 1 GG dar, weil hiervon die Minderheit der Yeziden betroffen sei, die ohnehin verfolgt werde.

Nach diesen Maßstäben lässt sich nicht feststellen, dass die Weigerung des syrischen Staats, staatenlose Kurden, die illegal Syrien verlassen haben - mag es sich bei ihnen auch um Yeziden handeln -, wieder einreisen zu lassen, auf asylrelevanten Gründen beruht (so aber VG Magdeburg, Urt. v. 30.1.2003 - 9 A 155/02 -, Asylmagazin Nr. 6/2003, S. 21 mit nicht überzeugender Begründung), also eine asylerhebliche Gerichtetheit aufweist (ebenso Sächs. OVG, aaO, S. 175).

Auch der Einwand des Klägers, dem Wiedereinreiseverbot komme entgegen der Ansicht des Senats asylrechtliche Bedeutung zu, weil mit dem gerade gegenüber staatenlosen Kurden yezidischer Religionszugehörigkeit praktizierten Verbot der Wiedereinreise eine politische Verfolgung dieser Minderheit betrieben werde, vermag nicht zu überzeugen.

Der Kläger könnte aber selbst dann - auch dies stellt eine selbständig tragende Erwägung dieses Berufungsurteils dar - seine Anerkennung als Asylberechtigter nicht beanspruchen, wenn man ihn entgegen den soeben angestellten Überlegungen nicht als staatenlos ansehen, sondern von einer Rückkehrmöglichkeit nach Syrien ausgehen wollte. Der Kläger hat eine Vorverfolgung nicht glaubhaft machen können. Der Senat teilt die Einschätzung des angefochtenen Bescheides vom 27. Juli 1994, dass dem Kläger weder die von ihm behauptete Inhaftierung (mit schweren Folterungen) noch die Verfolgung wegen seiner Zugehörigkeit zur Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) geglaubt werden kann. Vielmehr müssen die Angaben des Klägers zu den Folterungen und den Umständen seiner Inhaftierung als derart vage und substanzlos betrachtet werden, dass sie nur als unglaubhaft angesehen werden können.

Eine dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Falle der Rückkehr nach Syrien drohende politische Verfolgung kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt der gruppengerichteten Verfolgung angenommen werden.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (s. etwa die Urt. v. 22.5.2001 - 2 L 3644/99 -, v. 27.3. 2001 - 2 L 5117/97 - und - 2 L 2505/98-; Urt. v. 12.12.2001 - 2 L 5428/97 - sowie Beschl. v. 17.7.2002 - 2 LA 141/02 -) und der anderer Obergerichte (s. z.B. OVG NRW, Urt. v. 21.4.1998 - 9 A 6587/95.A -; Bremisches OVG, Urt. v. 4.11.1998 - OVG 2 BA 4/97 -; Saarländisches OVG, Urt. v. 28.5.1999 - 3 R 74/98 -; OVG LSA, Urt. v. 27.6.2001 - A 3 S 461/98 -, Urt. v. 9.10.2002 - A 3 S 518/98 -; Urt. v. 29.1.2003 - A 3 S 398/99 -), dass die Angehörigen der yezidischen Religionsgemeinschaft in Syrien nicht (mehr) verfolgt werden; dies gilt auch für den Nordosten Syriens und damit den Bezirk Hassake, aus dem der Kläger stammt.