VG Stade

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Zitieren als:
VG Stade, Urteil vom 10.09.2004 - 6 A 722/04 - asyl.net: M5654
https://www.asyl.net/rsdb/M5654
Leitsatz:

Keine Gruppenverfolgung von Yeziden in Syrien; pflegerische und medizinische Versorgung von Pflegebedürftigen auf eigene Kosten erhältlich.

 

Schlagwörter: Syrien, Kurden, Jesiden, Hassake, Diskriminierung, Gruppenverfolgung, Verfolgung durch Dritte, Mittelbare Verfolgung, Verfolgungsdichte, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Illegale Ausreise, Antragstellung als Asylgrund, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Krankheit, Schlaganfall, Lähmungen, Sprachstörung, Behinderte, Betreuungsbedürftigkeit, Medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Soziale Bindungen
Normen: GG Art. 16a; AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

Keine Gruppenverfolgung von Yeziden in Syrien; pflegerische und medizinische Versorgung von Pflegebedürftigen auf eigene Kosten erhältlich.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Klägerin steht weder ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte gemäß Art. 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - zu, noch hat sie einen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungshindernissen gemäß § 51 Abs.1 AuslG.

Das Gericht ist der Überzeugung, dass der Klägerin eine politische Verfolgung vor ihrer Ausreise nicht drohte und eine solche ihr auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr bevorsteht. Es ist nicht erkennbar, dass die 74-jährige Klägerin vor ihrer Ausreise Opfer von asylerheblichen Verfolgungsmaßnahmen geworden ist. Die von der Klägerin geschilderten Belästigungen stellen nach der Intensität und Schwere keine Eingriffe in die vom Asylrecht umfassten Freiheitsgüter und Schutzrechte dar.

Entgegen der Auffassung der Klägerin war sie auch als Yezidin einer politischen Verfolgung in Form der Gruppenverfolgung nicht ausgesetzt. Angehörige der yezidischen Glaubensgemeinschaft aus dem Nordosten Syriens (Distrikt Hassake) sind in Syrien weder aktuell noch auf absehbare Zeit einer dem syrischen Staat zurechenbaren asyl- bzw. abschiebungsschutzrelevanten Gruppenverfolgung ausgesetzt. Die für eine Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte kann nämlich weiterhin nicht festgestellt werden (ständige Rechtsprechung des Nds. OVG: Urteile vom 22. Juni 1999 - 2 L 670/98 -, 14. Juli 1999 - 2 L 4943/97 -, 27. März 2001 - 2 L 5117/97 -, 22. Mai 2001 - 2 L 2644/99 - und 12. Dezember 2001 - 2 L 5428/97 -; Beschlüsse vom 6. Dezember 2002 - 2 LB 833101 - und 20. Dezember 2002 - 2 LA 2358/01 -), die mit der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (vgl. z.B. OVG Münster, Urteil vom 21. April 1998 - 9 A 6597/95.A -; OVG Bremen, Urteil vom 4. Npvember 1998 - OVG 2 BA 4/97 -; OVG Saarland, Urteil vom 28. Mai 1999 - 3 R 74/98 - und Beschluss vom 11. März 2002 - 3 Q 47/01 -; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 27. Juni 2001 - A 3 S 461/98 -, Beschluss vom 11. Februar 2002 - A 3 S 370/99 - und Urteil vom 9. Oktober 2002 - A 3 518/98 -) übereinstimmt und der auch das erkennende Gericht folgt).

Die Voraussetzungen, unter denen das Bundesverwaltungsgericht in einem konkreten Einzelfall wegen der besonders geringen Zahl der Angehörigen einer Gruppe (syrisch-orthodoxe Christen im Tur Abdin I Beschluss vom 22. Mai 1996, 9 B 136.36 <juris> "eine weitere Quantifizierung der Verfolgungsschläge" für entbehrlich gehalten hat, liegen hier ersichtlich nicht vor.

Auch in Bezug auf die Bestimmung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ist im Fall des Klägerin das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses zu verneinen.

Es kann nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin alsbald nach Rückkehr nach Syrien wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Vielmehr spricht Überwiegendes dafür, dass eine Fortführung der in Deutschland begonnenen medizinischen und medikamentösen Behandlung der Kläqerin wie auch die Pflege der Klägerin auch in Syrien sichergestellt ist. Die Klägerin leidet an den Folgen eines vor etwa vier Jahren erlittenen Schlaganfalls mit der Lähmung der rechten Körperseite und Sprachstörungen. Nach Angaben ihres Sohnes in der mündlichen Verhandlung ist die Klägerin einmal in der Woche in ärztlicher Behandlung. Die Klägerin erhalte sechs bis sieben verschiedene Medikamente. Nach dem vom Gericht beigezogenen amtsärztlichen Bericht des Landkreises E. vom 24. Mai 2004 benötigt die Klägerin im Bereich der Körperpflege, der Mobilität sowie der Ernährung mehrmals am Tag Hilfe. Des weiteren ist sie auf Hilfe bei der gesamten hauswirtschaftlichen Versorgung angewiesen. Insgesamt liegt aus amtsärztlicher Sicht bei der Klägerin eine erhebliche Pflegebedürftigkeit (Pflegestufe 1) vor. Die Pflege der Klägerin sowie die komplette hauswirtschaftliche Versorgung erfolgt durch den Sohn der Klägerin. Diese vom Sohn der Klägerin übernommene Betreuung und Pflege könnten nach Überzeugung des Gerichts auch die drei in Syrien verbliebenen Töchter der Klägerin übernehmen. Dafür spricht neben dem traditionellen großen Zusammenhalt innerhalb yezidischer Familien, dass die Klägerin in der Zeit nach ihrem Schlaganfall bis zur Ausreise nach Deutschland über einen Zeitraum von drei Jahren offenbar von ihren Angehörigen in Syrien versorgt worden ist, ohne dass vom Sohn der Klägerin vorgetragen wurde, dass sich in dieser Zeit der Gesundheitszustand der Klägerin erheblich verschlechtert hat.

Auch wenn die Angehörigen nach Angaben des Sohnes der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht bereit oder in der Lage gewesen seien, die Betreuung und Pflege ihrer Mutter durch Aufnahme bei sich weiter zu gewährleisten, folgt daraus noch nicht, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Syrien konkret gefährdet wäre. Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes kann eine dauerhafte Fremdhilfe bei der Körperpflege, beim An- und Auskleiden und den täglichen Verrichtungen auch in Syrien geleistet werden. Geschultes Personal sei vorhanden (Auswärtiges Amt an VG Stade vom 22. April 2003). Die Kosten der Pflege müssten allerdings von dem Kranken bzw. von seiner Familie getragen werden. Heime oder andere Einrichtungen, in denen die Betroffene dauerhaft untergebracht werden könnte, gibt es nicht. Die monatlichen Kosten für die permanente Betreuung in der eigenen Wohnung durch medizinisch geschultes Personal liegen bei etwa 4000 syrischen Pfund (beim Kurs von 1 Euro = 63, 30 S.P. im Juli 2003 etwa 63,20 Euro) (Auswärtiges Amt an Bundesamt vom 4. Juli 2003). Es ist nicht ersichtlich, dass die Pflegekosten in dieser Höhe von der Familie nicht aufgebracht werden können. Die Klägerin hat sieben Kinder, von denen sich drei in Deutschland aufhalten, die die Pflegekosten übernehmen könnten.

Ebenso ist nach Überzeugung des Gerichts die ärztliche bzw. medikamentöse Versorgung der KIägerin in Syrien gewährleistet. Die Medikamentenversorgung in Syrien ist grundsätzlich sichergestellt, muss jedoch häufig vom Patienten gezahlt werden. Neben der öffentlichen kostenfreien Gesundheitsversorgung hat sich ein umfangreicher Markt kompetenter privater Versorgung gebildet. Darüber hinaus ist eine gezielte Einfuhr von Medikamenten aus Deutschland für bestimmte Personen möglich (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Syrien vom 1. April 2004). Mit Hilfe ihrer Angehörigen dürfte es für die Klägerin weder ein organisatorisches noch ein finanzielles Problem darstellen, die nötigen Medikamente auch in Syrien weiterhin zu bekommen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin, wird sie bei einer Rückkehr nach Syrien auch nicht von einer ärztlichen Versorgung abgeschnitten sein. Nach Informationen des Auswärtigen Amtes erhalten Yeziden auch als sog. Maktumiin staatliche Hilfe. Sie werden in staatlichen Krankenhäusern medizinisch versorgt (Auswärtiges Amt an das Bundesamt vom 27. April 2004). Zudem hat der Sohn der Klägerin in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass eine Behandlung durch kurdische Ärzte ohne weiteres möglich sei.