VGH Bayern

Merkliste
Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 01.07.2004 - 23 B 04.30163 - asyl.net: M5680
https://www.asyl.net/rsdb/M5680
Leitsatz:

Keine Gefährdung von Angehörigen der Irakisch-Kommunistischen Partei; keine Entscheidung zu Abschiebungsschutz gem. § 53 Abs. 6 AuslG in verfassungskonformer Auslegung, da durch bayerische Erlasslage gleichwertiger Schutz gewährt wird.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Irak, Kurden, Zentralirak, Kommunistische Arbeiterpartei, Flugblätter, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Illegale Ausreise, Antragstellung als Asylgrund, Politische Entwicklung, Machtwechsel, Übergangsregierung, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Sicherheitslage, Anschläge, Übergriffe, Versorgungslage, Erlasslage, Abschiebungsstopp, Extreme Gefahrenlage
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53
Auszüge:

Dem Kläger stehen, wie von der Beklagten im angegriffenen Bescheid auch festgestellt, keine Ansprüche auf Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG zu.

Ob dem Kläger aus individuellen Gründen deshalb, weil er in (...) (Zentralirak) Flugblätter der Kommunistischen Arbeiter-Partei verteilt haben will, oder wegen ungenehmigter Ausreise, Asylantragstellung oder Verbleibens im westlichen Ausland die Gefahr einer politischen Verfolgung durch das Regime Saddam Husseins gedroht hatte, bedarf keiner abschließenden Klärung. Der Kläger hat zum gegenwärtigen Zeitpunkt und in absehbarer Zukunft (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) bei Rückkehr in den Irak infolge der inzwischen eingetretenen grundlegenden Änderung der Verhältnisse eine politische Verfolgung im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG nicht zu befürchten.

Wie den allgemein zugänglichen Medien und den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen zu entnehmen ist, hat das bisherige Regime Saddam Husseins durch die am 20. März 2003 begonnene Militäraktion unter Führung der USA seine politische und militärische Herrschaft über den Irak endgültig verloren.

Mit der Entmachtung Saddam Husseins und der Zerschlagung seiner Machtstrukturen ist eine asylrelevante Verfolgung des Klägers durch dessen Regime nicht mehr möglich. Der Ex-Diktator wird im Irak keinen Einfluss mehr auf Strafverfolgung und Strafvollzug ausüben können. Weder von den Koalitionstruppen noch der Übergangsregierung hat der Kläger nach Überzeugung des Senats Gefährdungen zu erwarten. Der Ausschluss von Verfolgungsmaßnahmen gegenüber seiner Person ist, jedenfalls für die im Zeitpunkt der Entscheidung absehbare Zukunft, als dauerhaft anzusehen, weil trotz der schwierig abzuschätzenden künftigen Verhältnisse im Irak für eine Änderung der Situation zum Nachteil des Klägers kein Anhalt besteht. Zwar finden vermehrt Anschläge statt, die aber an der grundsätzlichen Kontrolle des Staatsgebiets auch durch alliierte Kräfte nichts ändern. Der Verwaltungsgerichtshof ist davon überzeugt, dass die Kriegsalliierten im Verbund mit der Übergangsregierung in überschaubarer Zeit die Errichtung eines neuen irakischen Regimes ähnlich dem des gestürzten Machthabers Saddam Hussein, wo rechtsstaatliche Prinzipien und Menschenrechte missachtet wurden, nicht zulassen. Es ist nach Überzeugung des Senats mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen, dass sich eine Staatsgewalt neu etablieren könnte, von welcher dem Kläger in Anknüpfung an sein gegen das untergegangene Regime von Saddam Hussein angeblich gerichtetes Tun Übergriffe drohten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Kläger aufgrund seines bisherigen Verhaltens auch durch eine künftige Staatsgewalt keine politischen Verfolgungsmaßnahmen befürchten muss, zumal die Irakisch-Kommunistische Partei auch im Regierungsrat vertreten ist. Es ist dem Kläger zumutbar, eine eventuelle zu einem nicht absehbaren Zeitpunkt mögliche Veränderung der Verhältnisse zu seinem Nachteil in seinem Heimatland abzuwarten.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG.

Die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage im Irak, der der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland ausgesetzt wäre, begründet keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG. Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat im Erlasswege mit Rundschreiben vom 18. Dezember 2004 (Az. I A 2-2084.20-13) die Abschiebung irakischer Staatsangehöriger ausgesetzt und verfügt, dass auslaufende Duldungen bis auf weiteres um sechs Monate zu verlängern sind. Damit ist eine Erlasslage geschaffen worden, welche dem betroffenen Ausländer derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt, so dass dem Kläger nicht zusätzlich Schutz vor der Durchführung der Abschiebung etwa in verfassungskonformer Auslegung des § 53 Abs. 6 AuslG zu gewähren wäre (vgl. BVerwG vom 12.7.2001 NVwZ 2001, 1420 = DVBl 2001, 1531 = InfAuslR 2002, 48). Der Kläger ist auch deswegen nicht schutzlos gestellt, denn sollte der ihm infolge des Rundschreibens vom 18. Dezember 2003 zustehende Abschiebungsschutz nach Rechtskraft dieses Urteils entfallen, so kann er unter Berufung auf eine extreme Gefahrenlage jederzeit ein Wiederaufgreifen des Verfahrens vor dem Bundesamt verlangen (vgl. BVerwG vom 12.7.2001 a.a.O).