VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Urteil vom 03.05.2004 - 10 E 2961/03 - asyl.net: M5682
https://www.asyl.net/rsdb/M5682
Leitsatz:

1. Die aktive Mitgliedschaft in einem örtlichen Verein, der YEK-KOM und KONKURD angeschlossen ist, steht nach § 86 Nr. 2 AuslG einer Einbürgerung entgegen und rechtfertigt die Rücknahme einer Einbürgerung.

2. Für die Annahme von Aktivitäten i.S.d. § 86 Nr. 2 AuslG genügt das Vorliegen eines durch Tatsachen gestützten hinreichenden Tatverdachts.

3. Exponierte Aktivitäten oder Nachweise sind nicht erforderlich, vielmehr genügt als "Unterstützung" jede eigene Handlung, die für Bestrebungen i.S.d. § 86 Nr. 2 AuslG objektiv vorteilhaft ist.

4. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Abwendung von derartigen inkriminierten Bestrebungen angenommen werden kann.

5. Die Abgabe einer objektiv falschen Loyalitätserklärung schließt ein schützenwertes Vertrauen in den Bestand der Einbürgerung aus.(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Türken, Einbürgerung, Rücknahme, Exilpolitische Betätigung, Deutsch-kurdischer Freundschaftsverein, PKK, ERNK, KADEK, KNK, KONGRA-GEL, KONKURD, YEK-KOM, Loyalitätserklärung, Unterstützung, verfassungsfeindliche Bestrebungen, Abwendung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen, Vertrauensschutz, Fristen, Rücknahmefrist, Jahresfrist, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null
Normen: AuslG § 85; AuslG § 86 Nr. 2; VwVfG § 48; GG Art. 16 Abs. 1
Auszüge:

Die Rücknahme der durch Aushändigung der Einbürgerungsurkunde am 24.07.2002 vollzogenen Einbürgerung (vgl. § 16 Abs. 1 StAG) ist rechtsfehlerfrei von dem Beklagten verfügt worden.

Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Einbürgerung ist § 48 HVwVfG.

Die Regelungen des Staatsangehörigkeitsrechts, die den Wegfall der Staatsangehörigkeit beinhalten, schließen die Anwendbarkeit des § 48 HVwVfG nicht aus, denn es gibt im Recht der Staatsangehörigkeit keine allgemeine Vorschrift über die Rücknahme von Einbürgerungen die regelt, welche rechtlichen Konsequenzen eine von Anfang an rechtswidrige Einbürgerung nach sich zieht. Auch das Verbot der Entziehung der Staatsangehörigkeit nach Art. 16 Abs. 1 GG schließt die Möglichkeit der Rücknahme rechtswidriger Einbürgerungen nicht grundsätzlich aus. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Betroffene durch die Rücknahme der Einbürgerung möglicherweise staatenlos wird, denn die erschlichene Staatsangehörigkeit fällt nicht in den Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 GG (vgl. zu alledem Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 03.06.2003, 1 C 19/02 m.w.N. zur Rechtsprechung und Literatur).

Die nach § 85 AuslG vorgenommene Einbürgerung des Klägers war materiell rechtswidrig, da zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Verwaltungsaktes die erforderlichen Voraussetzungen für eine Einbürgerung nicht vorgelegen haben.

Der Rechtmäßigkeit der am 24.07.2002 vollzogenen Einbürgerung des Klägers steht der Ausschlussgrund des § 86 Nr. 2 AuslG entgegen.

Es liegen ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die von dem Kläger in der Bundesrepublik Deutschland an den Tag gelegten Aktivitäten, seine Mitgliedschaft im Deutsch-Kurdischen Freundschaftsverein und seine Tätigkeit als (...) in diesem Verein als gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung und gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet anzusehen sind.

Aufgrund der beigezogenen Ausländervereinsakte sowie der von dem Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Lichtbildmappe des Polizeipräsidiums betreffend das Durchsuchungsergebnis vom (..), ist das Gericht überzeugt, dass der Deutsch-Kurdische Freundschaftsverein Gießen Bestrebungen und Aktivitäten entfaltet, die der Unterstützung der PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen zu dienen bestimmt sind. Danach weist der Deutsch-Kurdische Freundschaftsverein eine derartige Nähe zur PKK bzw. deren Führungsstrukturen auf, dass der Verein als von der PKK beeinflusst und gesteuert anzusehen und seine Aktivitäten als PKK-Aktivitäten zu qualifizieren sind.

Schließlich liegen auch hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger derartige, die Sicherheit des Bundes und eine Gefährdung der auswärtigen Belange Deutschlands gefährdende Bestrebung der PKK jedenfalls in der Vergangenheit unterstützt hat. Nach § 86 Nr. 2 AuslG muss ein durch tatsächliche Anhaltspunkte gestützter Verdacht vorliegen, der die Annahme sicherheitsrelevanter Aktivitäten rechtfertigt. Derartige Anhaltspunkte ergeben sich aus der aktiven Mitgliedschaft des Klägers im Deutsch-Kurdischen Freundschaftsverein e.V. (...). Wie zuvor ausgeführt, verfolgt dieser Verein die in § 86 Nr. 2 AuslG inkriminierten Bestrebungen. Diese verfassungsfeindlichen Bestrebungen hat der Kläger durch seine Mitgliedschaft und (...) im Deutsch-Kurdischen Freundschaftsverein sowie zur Überzeugung des Gerichts auch durch die Teilnahme an einer Vielzahl von Veranstaltungen unterstützt.

Ausreichend für Unterstützungshandlungen im Sinne des § 86 Nr. 2 AuslG sind auch Aktivitäten in untergeordneter Position (VG Gießen, Urteil vom 10.10.2003,10 E 5130/02) und Feststellungen über die tatsächliche innere Einstellung des Einbürgerungsbewerbers sind in der Regel nicht erforderlich (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.03.2000, 13 S 858/98). Als "Unterstützung" ist bereits jede eigene Handlung anzusehen, die für Bestrebungen im Sinne des § 86 Nr. 2 AuslG objektiv vorteilhaft ist (Bayerischer VGH, Urteil vom 27.05.2003, 5 B 01.1805). Dazu zählen die öffentliche oder nichtöffentliche Befürwortung von Bestrebungen im Sinne von § 86 Nr. 2 AuslG, die Gewährung finanzieller Unterstützung oder die Teilnahme an Aktivitäten zur Verfolgung oder Durchsetzung der inkriminierten Ziele bzw. das aktive Eintreten für eine Organisation, die mit der Verfassungsordnung widerstreitende Zielsetzungen verfolgt (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.05.2001, 13 S 961/00). Erforderlich, aber auch ausreichend ist insoweit ein durch Tatsachen gestützter hinreichender Tatverdacht (Bayerischer VGH, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.07.2002, 13 S 1111/01). Die konkreten Tatsachen, dass der Kläger Mitglied und Kassenprüfer im Deutsch-Kurdischen Freundschaftsverein - gewesen - ist und an zahlreichen Veranstaltungen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland teilgenommen hat, denen ein PKK-Bezug zugrunde gelegen hat, belegen die Annahme, dass der Kläger die PKK, deren Nebenorganisation ERNK bzw. die Nachfolgeorganisationen in Strukturen, Zielen und Ideologie unterstützt - hat -. Ob der Kläger, wie vorgetragen, nur "einfaches Mitglied" im Deutsch-Kurdischen Freundschaftsverein e.V. (...) gewesen ist und nur in untergeordneter Position an Demonstrationen und Veranstaltungen in Deutschland teilgenommen hat, kann insoweit dahinstehen, als sich der Kläger zum einen durch die Verbundenheit des Vereins und seiner Aktivitäten mit der PKK, deren Neben- und Nachfolgeorganisationen und deren Zielen, Zwecken und Ideologie die durch diese Vereinigungen und Organisationen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen dieser Personenvereinigungen zurechnen lassen muss (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 16.07.2003, 20 BV 02.2747 u.a.). Zum anderen hat der Kläger die inkriminierten Bestrebungen der streitgegenständlichen Personenvereinigungen dadurch unterstützt, dass er aktive Vereinsarbeit geleistet hat, indem er im Deutsch-Kurdischen Freundschaftsverein e.V. (...) (...) war. Selbst wenn der Kläger grundsätzlich nur einfaches Mitglied dieses Vereins gewesen sein sollte, belegt die Tatsache, dass man ihn zum (...) gewählt hat, dass er dem Verein gegenüber loyal eingestellt war und diese Einstellung auch bekannt war.

Insgesamt liegen in der Person des Klägers damit Bestrebungen und Aktivitäten vor, die den Einbürgerungsausschluss des § 86 Nr. 2 AuslG erfüllen. Eine Einbürgerung käme daher nur dann in Betracht, wenn der Kläger sich von derartigen Aktivitäten nach § 86 Nr. 2 AuslG glaubhaft abgewandt hätte. Selbst wenn der Kläger seine Unterstützungshandlungen und seine Aktivitäten eingestellt haben sollte, hat er dies nicht glaubhaft im Sinne des § 86 Nr. 2 AuslG gemacht. Ein Abwenden im Sinne des § 86 Nr. 2 AuslG erfordert mehr als ein bloß äußeres - zeitweiliges oder situationsbedingtes - Unterlassen der früheren Unterstützungshandlungen (Bayerischer VGH, Urteil vom 27.05.2003, 5 B 01.1805; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.07.2002, 13 S 1111/01 und ähnlich Beschluss vom 29.03.2000, 13 S 858/98). Die Abwendung von den inkriminierten Bestrebungen setzt grundsätzlich einen individuellen und von innerer Akzeptanz mitgetragenen kollektiven oder individuellen Lernprozess voraus. Es muss ein innerer Vorgang stattgefunden haben, der sich auf die inneren Gründe für die Handlung bezieht und aufgrund dessen angenommen werden kann, dass mit hinreichender Gewissheit zukünftig die Verfolgung oder Unterstützung der inkriminierten Bestrebungen auszuschließen ist. Ein reines Zweckverhalten angesichts eines laufenden Einbürgerungsverfahrens genügt nicht (Bayerischer VGH, Urteil vom 27.05.2003, 5 B 01.1805; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.07.2002, 13 S 1111/01; OVG NRW, Urteil vom 27.06.2000,8 A 609/00). Zwar hat der Kläger im Laufe des Verfahrens vorgetragen, er sei geschäftlich stark in Anspruch genommen und habe seit mehreren Jahren praktisch nicht mehr an Veranstaltungen teilgenommen und habe auch keine konkreten Kenntnisse hinsichtlich der ihm vom Beklagten vorgeworfenen Veranstaltungsteilnahmen. Allein dies belegt aber nicht, dass der Kläger sich von den Zielen und Bestrebungen des Deutsch-Kurdischen Freundschaftsvereins bzw. denen der PKK, deren Neben- und Nachfolgeorganisationen glaubhaft losgesagt hat. Einer derartigen Wertung steht zum einen entgegen, dass der Kläger wohl nach wie vor Mitglied des Vereins in (...) ist, auch wenn dieser nunmehr einen anderen Namen trägt. Zum anderen genügen eine starke geschäftliche Inanspruchnahme und Zeitmangel nicht aus, um die Annahme zu tragen, es habe eine Abkehr von den inkriminierten Bestrebungen stattgefunden, die auf einem kollektiven oder individuellen Lernprozess beruhe. Darüber hinaus mag das Verhalten des Klägers in letzter Zeit auch durchaus verfahrenstaktische Erwägungen beinhalten. Insoweit ist nämlich zu berücksichtigen, dass die Veranstaltung des Vereins vom(...), wie in der mündlichen Verhandlung angesprochen, von einer seiner Töchter angemeldet wurde. Dies belegt eine starke innere Verbundenheit des Klägers und seiner gesamten Familie zur PKK, deren Führer und deren Neben- und Nachfolgeorganisationen einschließlich deren Zwecke, Ziele und Ideologie.

Die Glaubhaftmachung einer Abwendung von der Unterstützung inkriminierter Bestrebungen setzt zudem weiter voraus, dass der Einbürgerungsbewerber einräumt oder zumindest nicht bestreitet, früher eine durch § 86 Nr. 2 normierte Bestrebung unterstützt zu haben (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.07.2002, 13 S 1111/01). Wenn dagegen - wie beim Kläger - das frühere Verhalten in unglaubhafter Weise bagatellisiert wird, ist eine Glaubhaftmachung der Abwendung nur möglich, wenn sie aufgrund objektiver Gegebenheiten überwiegend wahrscheinlich ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.07.2002, a.a.O.), was im Falle des Klägers nicht festgestellt werden kann.

Nach vorstehenden Ausführungen haben der Einbürgerung des Klägers im Zeitpunkt der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde am 24.07.2002 die Ausschlussgründe des § 86 Nr. 2 AuslG entgegen gestanden und damit war der Vollzug der Einbürgerung rechtswidrig.

Ist danach die am 24.07.2002 erfolgte Einbürgerung des Klägers als rechtswidrig zu qualifizieren, so begegnet auch die Rücknahme der Einbürgerung keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Der Kläger kann sich gemäß § 48 Abs. 3 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 HVwVfG nicht auf Vertrauen berufen. Ob er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 HVwVfG erwirkt hat, kann insoweit dahinstehen, als er den Verwaltungsakt jedenfalls gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 HVwVfG durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren. Der Kläger hat es in seiner Loyalitätserklärung vom 07.07.2000 bewusst unterlassen, Angaben über seine Mitgliedschaft im Deutsch-Kurdischen Freundschaftsverein und seine weiteren Aktivitäten zu machen.

Schließlich kann der Kläger sich nicht darauf berufen, der Beklagte habe bei der Rücknahme der Einbürgerung die maßgebliche Jahresfrist nicht eingehalten. Entgegen der Auffassung des Klägers waren seine Aktivitäten und seine Veranstaltungsteilnahmen zwar möglicherweise dem Hessischen Landesamt für Verfassungsschutz bekannt, keineswegs aber der für die Einbürgerung zuständigen Behörde.

Der Beklagte hat das ihm bei der Rücknahme der Einbürgerung zustehende Ermessen auch fehlerfrei ausgeübt.

Aufgrund der weitreichenden Konsequenzen einer Einbürgerung in Bezug auf staatsbürgerliche Rechte und Pflichten begegnet es keinen Bedenken, wenn eine rechtswidrige Einbürgerung durch die zuständige Behörde zurückgenommen wird. Das Gericht ist überzeugt, dass in derartigen Fällen das Rücknahmeermessen der Behörde im Regelfall darauf reduziert ist, die Einbürgerung rückgängig zu machen. Es kann kein staatliches Interesse daran bestehen, eine Einbürgerung, die sich aufgrund der Voraussetzungen des § 86 Nr. 2 AuslG als rechtswidrig erweist, auf Dauer aufrecht zu erhalten. Es muss jedem Staat unbenommen bleiben darauf zu achten, dass nur ihm gegenüber loyal eingestellte Ausländer eingebürgert werden. Erweist sich eine gleichwohl erfolgte Einbürgerung wegen Vorliegen eines Einbürgerungsausschlussgrundes als rechtswidrig, so ist regelmäßig die Einbürgerung zurückzunehmen.