1. § 30 Abs. 3 AuslG verlangt das Vorliegen eines nicht zu vertretenden Abschiebungshindernisses und eines nicht zu vertretenden Ausreisehindernisses. Beide Merkmale sind getrennt zu prüfen. Es kommt dabei darauf an, ob der Eintritt oder die Beseitigung des jeweiligen Abschiebungshindernisses bzw. ob die freiwillige Ausreise tatsächlich und rechtlich möglich und zumutbar ist .
2. Während der Wirksamkeit einer Statusfeststellung des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG darf der Ausländer aus Rechtsgründen nicht auf die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise in den betreffenden Zielstaat verwiesen werden. Eine Parallelprüfung der Ausländerbehörde ist unzulässig. Dies gebietet die Kompetenzverteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörden und die dieses Kompetenzsystem absichernde Bindungswirkung nach § 42 Satz 1 AsylVfG.(Amtliche Leitsätze)
Das Konzept der ausschließlichen und verbindlichen Kompetenz des Bundesamts für Statusfeststellungen nach § 53 AuslG bezieht sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts und der Beklagten nicht nur auf die Erteilung/Versagung von Duldungen an abgelehnte Asylbewerber nach § 55 Abs. 2 AuslG. § 42 Satz 1 AsylVfG bindet die Ausländerbehörden vielmehr auch im Rahmen des § 30 Abs. 3 AuslG. Solange das zuständige Bundesamt zugunsten eines Ausländers festgestellt hat, dass bei ihm in einem bestimmten Staat die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorliegen - d.h., dass in diesem Staat für ihn eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht - mutet ihm die Rechtsordnung die freiwillige Ausreise nicht zu (positive Bindungswirkung); umgekehrt kann der Ausländer die Unzumutbarkeit der freiwilligen Ausreise aber auch nicht auf eine Gefahrensituation nach § 53 AuslG stützen, wenn und solange das zuständige Bundesamt die Feststellung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG abgelehnt oder darüber noch nicht entschieden hat (negative Bindungswirkung).
Auf die Gründe für die Statusfeststellung (Lebenssachverhalt) kommt es dabei nicht an.
Die Ausländerbehörde darf diese Gründe nicht von sich aus überprüfen und von der Entscheidung des Bundesamts abweichen, indem sie als Ergebnis einer eigenen - neuen - Prüfung der Verhältnisse im Zielstaat von einer freiwilligen Ausreisemöglichkeit des Ausländers nach § 30 Abs. 3 AuslG ausgeht. Denn dies liefe auf eine unzulässige Parallelkompetenz der Ausländerbehörde mit sich möglicherweise widersprechenden Entscheidungen hinaus. Die strikte Bindungswirkung des § 42 Satz 1 AsylVfG würde dadurch bezüglich einer tatbestandlichen Vorfrage des § 30 Abs. 3 AuslG ausgehöhlt (ebenso VG Freiburg a.a.O sowie - für einen Fall einer negativen Bindungswirkung - VG Karlsruhe, Urteil vom 4.9.2003 - 9 K 4682/02 - <VENSA> und VG Stuttgart, Urteil vom 22.5.2003, - 4 K 891/02 - <VENSA>).
Eine andere Auslegung des § 30 Abs. 3 AuslG wäre im Übrigen schwerlich mit dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung vereinbar. Es stellte einen Widerspruch in sich dar, wenn der Gesetzgeber auf der einen Seite der Ausländerbehörde Bindung an die Feststellung vorschreibt, dass für den betreffenden Ausländer im Zielstaat ein humanitäres Abschiebungshindernis wegen "konkrete(r) Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit" besteht, auf der anderen Seite dem Ausländer den humanitären Aufenthaltstitel der Aufenthaltsbefugnis unter Hinweis darauf vorenthalten würde, er könne freiwillig in einen solchen Staat ausreisen.
Zusammenfassend ist daher der von der Beklagten und vom Verwaltungsgericht in Frage gestellte "rechtliche Automatismus" zwischen der Statusfeststellung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG und der Nichtvertretbarkeit der freiwilligen Rückkehr im Tatbestand des § 30 Abs. 3 AuslG zu bejahen. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht diese Sicht nicht im Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 25.9.1997 (1 C 3.97, BVerwGE 105, 232 = InfAuslR 1998, 12). Darin stellt das Bundesverwaltungsgericht lediglich heraus, dass es für die Erteilung einer Duldung - also eines bloßen Vollstreckungshindernisses (vgl. §§ 55 Abs. 1, 56 Abs. 1 AuslG) - anders als bei einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG - eines Aufenthaltsrechts (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 4 AuslG) - nicht darauf ankommt, ob der Ausländer freiwillig ausreisen könne. § 30 Abs. 3 AuslG bestimme nicht zugleich auch die Voraussetzungen einer Duldung, sondern enthalte darüber hinausgehende Anforderungen. Von dieser Stufenfolge zwischen Duldung und Aufenthaltsbefugnis geht auch der Senat aus, sie steht nicht im Streit. Entscheidungserheblich ist allein die - sich daran anschließende - Frage, unter welchen (rechtlichen) Voraussetzungen die Rechtsordnung es zulässt, den Ausländer auf die freiwillige Ausreise zu verweisen. Dies ist während der Dauer einer verbindlichen Statusfeststellung des Bundesamts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AuslG zu verneinen. Mit dieser Frage setzt sich das Bundesverwaltungsgericht in der zitierten Entscheidung nicht auseinander und brauchte es auch nicht. Denn nach dem Sachverhalt bestand beim dortigen Kläger "nur" ein tatsächliches Abschiebungshindernis (fehlende Bereitschaft der Sozialistischen Republik Vietnam zur Rücknahme zwangsweise abgeschobener Staatsangehöriger), dessen Beseitigung dem Kläger durch freiwillige Ausreise möglich und zumutbar war (keine generelle Sperre gegenüber freiwilligen Rückkehrern).
Schließlich verfängt auch der von der Beklagten gegen die hier vertretene Auffassung ins Feld geführte Hinweis auf § 70 AsylVfG nicht, aus dem sich im Umkehrschluss ergebe, dass der Gesetzgeber Statusinhabern nach § 53 AuslG im Gegensatz zu Inhabern des Flüchtlingsstatus nicht "automatisch" eine Aufenthaltsbefugnis zugestehen wolle. Denn schon diese Prämisse trifft nicht zu. § 30 AuslG gewährt nicht "automatisch" eine Aufenthaltsbefugnis, sondern stellt - im Gegensatz zu § 70 AsylVfG - die Entscheidung hierüber grundsätzlich ins behördliche Ermessen und macht sie zudem vom Anspruch auf Duldung und von der Möglichkeit und Zumutbarkeit der freiwilligen Ausreise abhängig. Auf diese freiwillige Ausreisemöglichkeit muss sich der Ausländer im Einzelfall verweisen lassen; der Rückgriff hierauf ist nur im Sonderfall des - wie hier - festgestellten Status nach § 53 AuslG unzulässig.
Nach all dem sind beim Kläger die Tatbestandsvoraussetzungen des § 30 Abs. 3 AuslG erfüllt.
Die Beklagte ist angesichts der wirksam fortbestehenden und bindenden positiven Statusfeststellung des Bundesamts, dass dem Kläger in Jugoslawien (heute: Serbien-Montenegro) eine konkrete Gefahr für Leib, Leben und Gesundheit droht, rechtlich gehindert, den Kläger auf die freiwillige Ausreise in diesen Herkunftsstaat zu verweisen. Der Beklagten war es verwehrt, die Frage der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG in Bezug auf Serbien-Montenegro eigenständig und abweichend vom Bundesamt anhand der neueren Erkenntnisse (Auskunft des Deutschen Verbindungsbüros in Pristina) zu überprüfen und als Folge davon von der tatsächlichen Zumutbarkeit einer Rückkehr des Klägers nach Serbien-Montenegro auszugehen. § 67 Abs. 1 AuslG, der eine Entscheidung der Ausländerbehörden auf der Grundlage solcher "im Bundesgebiet zugängliche(r) Erkenntnisse" vorsieht, ist auf Fälle abgelehnter Asylbewerber nicht uneingeschränkt anwendbar. Darauf, ob die von der Beklagten verwertete Auskunft hinreichend aussagekräftig ist, um annehmen zu können, dass dem Kläger die Gesundheitsgefahr - wegen Verbesserung der medizinischen Versorgung - gegenwärtig nicht mehr droht, kommt es nicht an. Für diese Entscheidung ist allein das Bundesamt mittels einer Widerrufsentscheidung zuständig, die Parallelprüfung der Beklagten war unzulässig und ging rechtlich ins Leere.
Die Beklagte hätte mithin das ihr nach § 30 Abs. 3 AuslG (ebenso wie auch nach § 30 Abs. 4 AuslG) eröffnete Ermessen ausüben müssen. Dies ist im Ausgangsbescheid vom 4.4.2002 nicht geschehen.
Auch im Klag- und im Berufungsverfahren hat die Beklagte ihre Begründung nicht im Sinne einer - nunmehr - eindeutigen Ermessensbetätigung ergänzt, so dass offen bleiben kann, ob dies von der Heilungsvorschrift des § 114 Satz 2 VwGO gedeckt wäre.
Die Erwägung im Widerspruchsbescheid, dass "möglicherweise ... das Abschiebungshindernis nur von vorübergehender Dauer sein wird", würde im Übrigen für eine ordnungsgemäße Ermessensbetätigung nicht ausreichen. Bei Erlass des Widerspruchsbescheids stand ein Verfahren auf Widerruf durch das Bundesamt noch in weiter Ferne, aus den Akten ergeben sich auch keinerlei Hinweise, dass das Bundesamt ein solches Verfahren - trotz Anregung durch das Regierungspräsidium - auch nur in Erwägung zog. Zudem waren damals bereits etwa 16 Monate seit der feststellenden Entscheidung des Bundesamts vergangen. Auch gegenwärtig könnte die bloße Begründung, dass das Abschiebungshindernis "möglicherweise nur von vorübergehender Dauer sein wird" eine ablehnende Ermessensentscheidung nicht tragen. Seit der Stellungnahme des Klägers auf die Anhörung durch das Bundesamt im Widerrufsverfahren ist - nach Ablauf von mehr als neun Monaten - nichts weiteres geschehen. Daher ist auch heute, wie bereits ausgeführt, noch nicht absehbar, ob und wann eine Widerrufsverfügung ergehen und wann sie möglicherweise bestandskräftig werden wird. Diese Ungewissheit kann nicht - ebenso wenig wie eine etwaige Säumigkeit des Bundesamts im Widerrufsverfahren - zu Lasten des Klägers gehen, zumal die Feststellung des Bundesamts nunmehr schon über drei Jahren besteht.
Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung wird die Beklagte die genannten Gesichtspunkte zu berücksichtigen haben. Sie wird insbesondere zusätzlich ernsthaft erwägen müssen, ab welchem Zeitpunkt sie die Aufenthaltsbefugnis rückwirkend erteilt. An einer solchen rückwirkenden Erteilung der Aufenthaltsbefugnis - ab Antragstellung am 2.1.2002 - hat der Kläger im Hinblick auf die zeitlichen Anforderungen an eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 35 Abs. 1 AuslG ein berechtigtes Interesse, das mit einem gegebenenfalls entgegenstehenden - derzeit allerdings nicht erkennbaren - öffentlichen Interesse abzuwägen sein wird. In diesem Zusammenhang wird die Beklagte auch zu prüfen haben, ob beim Kläger möglicherweise in der Vergangenheit der Regelversagungsgrund des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG zeitweise vorlag, ob sich insofern angesichts der persönlichen Situation des Klägers (Erkrankung nach jahrelanger schwerer Arbeit) ein Ausnahmefall ergab und welche Schlüsse daraus zu ziehen sind.