VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Urteil vom 07.09.2004 - 4 A 4184/01 - asyl.net: M5714
https://www.asyl.net/rsdb/M5714
Leitsatz:

1. Ein "Vertretenmüssen" der Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe setzt schuldhaftes Verhalten nicht voraus; das Ergebnis muss lediglich auf Umständen beruhen, die dem Verantwortungsbereich der handelnden Person zuzurechnen sind.

2. Der in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht zur Frage zumutbar hoher Gebühren für die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit gewählte Maßstab erscheint angemessen.

Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Jugoslawen, Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Lebensunterhalt, Arbeitslosenhilfe, Vertretenmüssen, Integration, Aufgabe der Staatsangehörigkeit, Kosten, Entlassungsgebühren, Mehrstaatigkeit
Normen: AuslG § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; AuslG § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; AuslG § 87 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

Die Kläger haben gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Einbürgerung.

Die Kläger sind nicht in der Lage, den Lebensunterhalt für sich und ihre unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe zu bestreiten (§ 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AuslG).

Die Kläger können sich nicht darauf berufen, sie hätten die Inanspruchnahme von Arbeitslosenhilfe nicht zu vertreten. Der Begriff des Vertretenmüssens beschränkt sich nicht auf vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln (§ 276 Abs. 1 Satz 1 BGB); erforderlich aber auch hinreichend ist vielmehr, dass der Ausländer durch ihm zurechenbares Handeln oder Unterlassen adäquat-kausal die Ursache für den - fortdauernden - Leistungsbezug gesetzt hat. Der Begriff des zu vertretenden Grundes ist im öffentlichen Recht wertneutral auszulegen und setzt kein pflichtwidriges, schuldhaftes Verhalten voraus. Das Ergebnis muss lediglich auf Umständen beruhen, die dem Verantwortungsbereich der handelnden Person zuzurechnen sind (OVG Münster, Urt. v. 01.07.1997 - 25 A 3613/95 -, InfAuslR 1998, 34 m. w. N.).

Vorliegend liegt der Grund für das Angewiesensein auf den Bezug von Arbeitslosenhilfe im Verantwortungsbereich der Kläger.

Die langfristige Arbeitslosigkeit des erst 37-jährigen Klägers zu 1., dem durch die Arbeitsverwaltung ohne Erfolg Vermittlungsvorschläge unterbreitet worden sind, hat ihren Grund nicht in objektiven, z.B. konjunkturellen Gegebenheiten, sondern liegt in der Person des Klägers selbst begründet. Dieser hat nach den Erkenntnissen des Gerichts seit seiner Einreise in das Bundesgebiet nichts dazu getan, seine berufliche Qualifikation und somit seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Es ist nicht ersichtlich, dass er zu irgendeiner Zeit an Maßnahmen der beruflichen Bildung teilgenommen hat und auch seine Kenntnisse der deutschen Sprache sind nach wie vor verbesserungsbedürftig (wobei - wie auch bzgl. der Klägerin zu 2. - offen gelassen wird, ob die Sprachkenntnisse im Sinne von § 86 Nr. 1 AuslG ausreichend sind). Unter diesen Umständen ist er selbst dafür verantwortlich, dass die von Anfang an bestehende Schwierigkeit, Arbeit zu finden, sich infolge der langfristigen Arbeitsentwöhnung verstärkt hat. Er ist nicht wirtschaftlich integriert und seine Einbürgerung würde dem Gesetzeszweck widersprechen, wonach die (erleichterte) Einbürgerung am Ende eines gelungenen Integrationsprozesses stehen soll (vgl. BT -Drucks. 11/6321, 47 f.).

Dasselbe gilt für die Klägerin zu 2. Diese hat vorgetragen, sie habe in ihrem Heimatland eine einjährige Ausbildung zur Schneiderin absolviert. Ungeachtet dessen, dass sie derzeit wegen der Erziehung ihrer Kinder an der Erzielung von Erwerbseinkommen gehindert sein dürfte, erscheint offensichtlich, dass es ihr aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation nicht möglich wäre, den Lebensunterhalt für sich und ihre unterhaltsberechtigten Angehörigen ohne die Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe zu bestreiten. Auch sie hätte bis zur Geburt ihres ersten Kindes Gelegenheit gehabt, ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Es ist nicht ersichtlich, dass sie insoweit wie auch immer geartete Anstrengungen unternommen hat.

Die Kläger haben es zudem in der Vergangenheit und bis zur mündlichen Verhandlung abgelehnt, ihre serbisch-montenegrinische Staatsangehörigkeit aufzugeben (§ 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AuslG). Dieser Umstand steht einer Verpflichtung der Beklagten zu ihrer Einbürgerung gleichfalls entgegen.

Die Kläger können sich auch nicht darauf berufen, ihre Ablehnung, die serbisch-montenegrinische Staatsangehörigkeit aufzugeben, sei darauf zurückzuführen gewesen, dass ihnen die Aufgabe der Staatsangehörigkeit im Sinne von § 87 Abs. 1 S. 1 AuslG wegen der Höhe der zu zahlenden Gebühren unzumutbar gewesen sei. Entgegen ihrer Auffassung macht der Staat Serbien-Montenegro die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit nicht im Sinne von § 87 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AuslG von unzumutbaren Bedingungen abhängig. Gemäß Nr. 87.1.2.3.2.1 StAR-VwV liegt eine unzumutbare Bedingung im Sinne der genannten Vorschrift insbesondere vor, wenn die bei der Entlassung zu entrichtenden Gebühren (einschließlich Nebenkosten wie z. B. Beglaubigungskosten) ein durchschnittliches Bruttomonatseinkommen des Einbürgerungsbewerbers übersteigen und mindestens 2.500 DM betragen (dies entspricht 278,23 Euro für jeden Einbürgerungsbewerber). Das Gericht hält diesen in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift gewählten Maßstab, den die Verwaltungspraxis in Einbürgerungsverfahren allgemein zugrunde legt, angesichts der Bedeutung des Entlassungsverfahrens für den Einbürgerungsbewerber für angemessen. Nach Auskunft des Generalkonsulats Hamburg des Staates Serbien und Montenegro vom 04.08.2004 betragen die Gebühren für Ehepartner, die auf einer gemeinsamen Entlassungsurkunde aufgeführt sind, insgesamt 1.262,00 Euro und liegen damit weit unter den noch als angemessen anzusehenden Kosten.