OLG Köln

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Zitieren als:
OLG Köln, Beschluss vom 01.10.2004 - 16 Wx 195/04 - asyl.net: M5717
https://www.asyl.net/rsdb/M5717
Leitsatz:

Es gibt keine Regel, dass ein Ausländer, der freiwillig bei der Ausländerbehörde vorspricht, keine Entziehungsabsicht hat; die Ausländerbehörde kann einen Ausländer ohne legalen Aufenthalt oder Duldung bis zur richterlichen Entscheidung über die Sicherungshaft vorläufig in Gewahrsam nehmen gem. § 24 OBG NW i.V.m. § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Abgelehnte Asylbewerber, unerlaubter Aufenthalt, Abschiebungshaft, Haftgründe, Untertauchen, Abschiebungsvereitelung, Ingewahrsamnahme, Ausländerbehörde, Feststellungsantrag, Rechtsschutzinteresse, Sofortige weitere Beschwerde
Normen: AuslG § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 2; AuslG § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 5; FEVG § 13 Abs. 2; GG Art. 19 Abs. 4; OBG NW § 24; OBG NW § 14 Abs. 2; PolG NW § 35 Abs. 1 Nr. 2
Auszüge:

Es kann offen bleiben, ob die Voraussetzungen des Haftgrundes des § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AuslG vorliegen, was deshalb zweifelhaft ist, weil der Betroffene bereits während der bis zum 28.07.2004 laufenden Ausreisefrist untergetaucht und für die Ausländerbehörden nicht mehr erreichbar war. Ob auch dieser Fall von der Norm erfasst wird, oder ob der Haftgrund sich nur auf einen Aufenthaltswechsel nach Ablauf der Ausreisefrist bezieht wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.01.1994 - 3 Wx 1/94 <Juris-Dokument Nr. KOR462089400>: auch vorher; OLG Dresden InfAuslR 1995, 162 und OLG Karlsruhe NVwZ 1993, 813: nur nach Ablauf der Frist; offengelassen von BayObLG InfAuslR 1998, 65 = BayObLGReport 1997, 86).

Diese Frage kann indes letztlich dahinstehen; denn die vornehmlich auf tatrichterlichem Gebiet liegende Feststellung des Landgerichts, dass Fluchtgefahr bestehe und deshalb auch der Haftgrund des § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 vorliege, hält rechtlicher Überprüfung gem. § 27 Abs. 1 FGG i. V. m. § 546 ZPO stand. Insbesondere hat das Landgericht im Rahmen seiner Prognose auch die Tatsache gewürdigt, dass der Betroffene am 03.08.2004 freiwillig die Räume des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge aufgesucht hat. Eine Regel dahingehend, dass bei einem Ausländer, der freiwillig vorspricht, keine Entziehungsabsicht i. S. d. § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 bestehe, gibt es nicht. Ein derartiges Verhalten kann den Haftgrund entfallen lassen, braucht dies aber nicht. Vielmehr sind jeweils alle Umstände des Einzelfalles zu würdigen (vgl. etwa BayObLG InfAuslR 2002; OLG Saarbrücken OLGReport 2003, 328).

Das Begehren des Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der vorläufigen Ingewahrsamnahme durch die Ausländerbehörde ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Befugnis des Antragstellers, den Betroffenen bis zur richterlichen Entscheidung über seinen Antrag auf Anordnung von Sicherungshaft gem. § 57 AuslG vorläufig in Gewahrsam zu nehmen, folgt aus § 24 OBG NW i. V. m. § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NW.

In der Rechtsprechung und Literatur ist es umstritten, ob die Ausländer- oder eine sonstige Ordnungsbehörde, etwa die Polizei befugt ist, einen Ausländer bis zur richterlichen Entscheidung über einen Antrag nach § 57 AuslG festzunehmen.

Nach Auffassung des Senats haben die Ausländerbehörden aufgrund nordrhein-westfälischen Landesrechts die Befugnis, einen Ausländer, der sich illegal im Bundesgebiet aufhält, vorläufig in Gewahrsam zu nehmen. Gem. § 24 OBG NW gelten für die Ordnungsbehörden, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist, bestimmte Vorschriften des PolG NW entsprechend. Zu diesen Vorschriften gehören - mit einer vorliegend nicht relevanten Ausnahme - auch diejenigen der §§ 35 ff. PolG NW über den Gewahrsam. So kann gem. § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NW eine Person dann in Gewahrsam genommen werden, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Vorliegend beging der Betroffene dadurch, dass er sich auch noch nach Ablauf der Ausreisefrist unerlaubt und ohne Pass bzw. Passersatz im Bundesgebiet aufhielt, eine Straftat nach 92 Abs. 1 Nrn. 1 u. 2 AuslG. Ferner musste er sich - jedenfalls von dem Zeitpunkt an, zu dem er erfuhr, dass die ursprünglich angestrebte Legalisierung seines Aufenthaltes nicht möglich sein werde - der Rechtswidrigkeit des weiteren Aufenthaltes im Bundesgebiet bewusst sein. Auch sollte mit dem Eingreifen der Mitarbeiter des Antragstellers ein erneutes Untertauchen des Betroffenen und damit die Fortsetzung seiner Straftat verhindert werden. Wegen der bestehenden Entziehungsabsicht standen ihnen andere Mittel nicht zur Verfügung. Das Merkmal der "erheblichen Bedeutung für die Allgemeinheit" schließlich, bezieht sich nur auf Fälle ordnungswidrigen Handeins, während es bei Straftaten nicht auf deren Gewicht ankommt (vgl. BayObLG NVwZ 1999, 106; OLG Schleswig a.a.O.).

All dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Inhaftierung letztlich auf die Durchsetzung der Abschiebung und nicht auf strafprozessuale Maßnahmen, etwa auf die Ermöglichung eines Haftbefehls gerichtet gewesen sei (so aber OLG Braunschweig a.a.O.). § 35 Abs. 1 PolG NW ist eine Regelung, die der Gefahrenabwehr und nicht strafprozessualen Mitteln dient. Für strafprozessuale Zwecke bestände ohnehin die Möglichkeit zur vorläufigen Festnahme gem. § 127 StPO. Auch ist in § 14 Abs. 2 OBG NW bestimmt, dass in den Fällen, in denen Ordnungsbehörden ihre Aufgaben nach besonderen Gesetzen durchführen - hier nach dem AuslG - und das Gesetz Befugnisse nicht enthält, die Behörden die ihnen nach dem OBG zustehenden Befugnisse haben, also auch das Recht zur Ingewahrsamnahme unter den in § 35 PolG NW geregelten Voraussetzungen. Deshalb kann - jedenfalls in Nordrhein-Westfalen - das weitere Argument der Gegenmeinung nicht durchgreifen, bei einem Tätigwerden der Behörde aufgrund Bundesgesetzes sei vor einem Festhalten ein Antrag an das Gericht nach § 13 Abs. 1 FEVG notwendig (so OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Hamburg a.a.O.). Nach nordrhein-westfälischem Landesrecht wiederum braucht die richterliche Entscheidung nicht bereits bei der Ingewahrsamnahme vorzuliegen. Vielmehr ist die richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung nur unverzüglich nachzuholen, wobei sich das Verfahren ebenfalls nach dem FEVG richtet (§ 36 PolG NW). Dass letzteres geschehen ist, und zwar unter Beachtung der vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 15.05.2002 aufgestellten Grundsätze, hat das Landgericht unter Würdigung aller relevanten Tatsachen zutreffend festgestellt.