OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.09.2004 - 18 B 2661/03 - asyl.net: M5721
https://www.asyl.net/rsdb/M5721
Leitsatz:

Nicht bereits allein traumatische Erlebnisse oder eine Erkrankung wie eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) begründen für sich genommen Abschiebungsschutz. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Duldung, Psychische Erkrankung, Traumatisierte Flüchtlinge, Posttraumatische Belastungsstörung, Situation bei Rückkehr, medizinische Versorgung, Fachärztliche Stellungnahmen, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: VwGO § 80 Abs. 7; AuslG § 55 Abs. 2
Auszüge:

Der Antragsteller vermochte weiterhin nicht glaubhaft zu machen, dass die von ihm geltend gemachte psychische Erkrankung auf einen Duldungsanspruch nach § 55 Abs. 2 AuslG führt.

Soweit der Antragsteller weiterhin geltend macht, dass seine Erkrankung in seiner Heimat wegen der mangelhaften Leistungsfähigkeit des dortigen Gesundheitssystems nicht hinreichend behandelt

werden kann, belegen weder das im Beschwerdeverfahren eingereichte Attest des Dr. I. vom 1. Januar 2004 noch der Inhalt des zur Glaubhaftmachung schon mangels eigenhändiger Unterschrift des Antragstellers ungeeigneten Lebenslaufs vom 29. Dezember 2003, der überdies wegen der zur Feststellung einer Gesundheitsgefährdung erforderlichen Fachkunde eine ärztliche Bescheinigung nicht ersetzen oder wirksam ergänzen kann, nur annähernd die zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs im Sinne des § 123 VwGO erforderliche Ermessensverdichtung auf Null zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG.

Der Antragsteller verkennt vor allem, dass nicht bereits allein traumatische Erlebnisse in der von ihm in seinem Lebenslauf in anschaulicher und nachvollziehbarer Weise geschilderten Art, die hier nicht bezweifelt werden sollen, oder eine Erkrankung wie eine - von ihm geltend gemachte - posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) für sich genommen auf Abschiebungsschutz führen.

Nach der vorgenannten Regelung kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat nur abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer (etwa wegen seiner Erkrankung) eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Damit ist nicht jede Gefahr für die in Abs. 6 Satz 1 abschließend aufgezählten Rechtsgüter ausreichend. So wird bei einer PTBS wie bei allen anderen Gesundheitsstörungen vorausgesetzt, dass sich ein Ausländer grundsätzlich auf den in medizinischer und therapeutischer Hinsicht allgemein üblichen Standard in seinem Heimatland verweisen lassen muss und selbstverständlich auch die Erbringung zumutbarer familiärer Unterstützungsmaßnahmen jedenfalls im Rahmen der im Heimatland hierzu üblichen Gepflogenheiten zu erwarten ist (vgl. hierzu nur Senatsbeschluss vom 28. März 2003 - 18 B35/03 -).

Ein Abschiebungshindernis im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG durch unzureichende Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland wird nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteile vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 -, BVerwGE 105, 383 = NVwZ 1998, 524 = DVBI. 1998, 284 = InfAuslR 1998, 189 vom 27. April 1998 - 9 C 13.97-, InfAuslR 1998, 409 = NVwZ 1998, 973 und vom 29. Juli 1999 - 9 C 2.99 -, JURIS Nr. WBRE410006003 - und des erkennenden Gerichts - vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 20. Oktober 2000 - 18 B 1520/00 -, vom 24. Oktober 2000- , 19 B 555/00 -, vom 21. Dezember 2000 - 18 B 1904/00 -, vom 14. November 2001 - 18 B 1. 367/00 - und vom 24. Juni 2002 - 18 B 965/02 -) erst dann begründet, wenn die konkrete erhebliche Gefahr besteht, dass sich die Krankheit des ausreisepflichtigen Ausländers alsbald nach seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern wird. Danach kommt für eine das Ermessen verdichtende und die Ausländerbehörde zur Gewährung von Abschiebungsschutz verpflichtende gravierende Beeinträchtigung nur eine solche PTBS in Betracht, die im Abschiebezielstaat infolge fehlender natürlicher, zeitabhängiger Eigenheilkraft und unzureichender Behandlungsmöglichkeit zu außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen führen wird (vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 23. Januar 2001 - 13 A 5340/00.A -).

Sofern eine derartige Erkrankung - wie hier vorgetragen - erst mehrere Jahre nach den geschilderten Erlebnissen gegenüber der Ausländerbehörde geltend gemacht wird und jahrelang keine ärztliche bzw. psychologische Hilfe beansprucht worden ist, bedarf es zusätzlich einer aussagekräftigen, nachvollziehbaren, im Regelfall durch eine ärztliche/psychologische Bescheinigung zu belegende Darstellung, warum um eine entsprechende Hilfe nicht frühzeitiger nachgesucht wurde und welche beachtenswerte Umstände gerade jetzt den Ausschlag für ihre Inanspruchnahme gaben (vgl. Senatsbeschluss vom 24. Juni 2002 - 18 B 965/02 -).

Dabei gilt es zu beachten, dass nach fachärztlicher Erfahrung eine PTBS regelmäßig innerhalb von sechs Monaten nach dem traumatischen Ereignis eintritt (vgl. hierzu die Nachweise bei Middeke, "Posttraumatisierte Flüchtlinge im Asyl-und Abschiebungsprpzess", DVBl. 2004,150,151).

Der Senat hat weder nach dem Vorbringen des darlegungs- und beweispflichtigen Antragstellers in der Beschwerdebegründung noch in Würdigung der eingereichten Atteste hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass bei ihm eine psychische Erkrankung vorliegt, auf die die vorgenannten Voraussetzungen zutreffen könnten und dass die insoweit erfolgte Würdigung durch das Verwaltungsgericht unrichtig ist. Abgesehen davon, dass in den vorgelegten Attesten sowohl eine substantiierte Beschreibung der traumatisch bedingten Gesundheitsstörung - Befunde/messbare Angaben/Diagnosemethode - als auch Angaben zum spezifischen Therapieplan - Therapieform/ Therapiemaßnahmen, zeitlicher Behandlungsrahmen, Medikation - (vgl. zu diesen Erfordernissen Senatsbeschluss vom 24. November 2000 - 18 B 1759/00 -; OVG NRW, Beschluss vom 23. Juli 2002 - 15 A 590/02.A -; Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Erlass vom 13. Dezember 2000 - 1 B 3/44.386, B2/II4-Kosovo; Middeke, a.a.O., 152 ff.) nahezu vollständig fehlen

- im wesentlichen wird unter dem 1. Januar 2004 von Dr. I. nur attestiert, dass "es sich bei dem Patienten eindeutig um ein posttraumatisches Syndrom mit sämtlichen Beschwerden wie Angst, Schlafstörung, Depression, Hoffnungslosigkeit" handelt - und der Antragsteller sich erst rund sechs Jahre nach den von ihm geschilderten Ereignissen in fachärztliche Behandlung begeben hat, ist es - worauf bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen hat - bei dem behaupteten Krankheitsbild insbesondere nicht nachvollziehbar, dass der Antragsteller im April 2000 unter Inanspruchnahme finanzieller Anreize freiwillig in seine Heimat zurückgekehrt ist und sich dort etwa 1 1/2 Jahre aufgehalten hat.