VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Urteil vom 27.08.2004 - 10 K 1328/00.A - asyl.net: M5722
https://www.asyl.net/rsdb/M5722
Leitsatz:

Keine extreme allgemeine Gefahrenlage wegen schlechter medizinischer und allgemeiner Versorgungslage für gemeinsam mit Eltern in die Demokratische Republik Kongo zurückkehrendes Kind; keine extreme Gefährdungslage wegen Gefahr der Erkrankung an Malaria.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Demokratische Republik Kongo, Minderjährige, Kinder, in Deutschland geborene Kinder, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Versorgungslage, Existenzminimum, Allgemeine Gefahr, Extreme Gefahrenlage, Malaria, Infektionsrisiko, Semi-Immunität, Medizinische Versorgung, Soziale Bindungen, Hilfsorganisationen
Normen: AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

Die Klägerin kann schließlich auch die begehrte Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG nicht verlangen. Ein Abschiebungsschutz nach der hier allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 53Abs. 6 Satz 1 AuslG (erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Abschiebungszielstaat) steht ihr weder wegen einer erheblichen individuell-konkreten Gefahr in unmittelbarer Anwendung dieser Vorschrift noch wegen einer extremen allgemeinen Gefahrenlage in verfassungskonformer Auslegung des § 53 Abs. 6 AuslG zu.

Zwar gehört die Klägerin mit einem Alter von vier Jahren und sechs Monaten im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - gerade noch - zu der Gruppe der Kinder bis zum Alter von fünf Jahren, für die möglicherweise besondere Risiken bestehen (vgl. insoweit Dr. Ochel vom Missionsärztlichen Institut Würzburg vor dem VG Frankfurt am 27. Juni 2002, wonach ab dem Alter von ungefähr fünf Jahren die Sterbewahrscheinlichkeit absinkt sowie Kinder bis zum Alter von fünf Jahren ungefähr an zwanzig lebensbedrohlichen Durchfallinfektionen erkranken und der Krankheitsverlauf im Falle einer Infektion in den ersten fünf Lebensjahren komplizierter als bei älteren Kindern oder Erwachsenen ist; Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg vom 13. November 2002 - A 6 S 967/01 -, Seite 32 des amtlichen Umdrucks).

Im vorliegenden Einzelfall ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Klägerin angesichts der in der Demokratischen Republik Kongo derzeit gegebenen desolaten wirtschaftlichen Situation und der allgemein schlechten Versorgungslage bald nach ihrer Rückkehr in die Demokratische Republik Kongo dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde.

Die dem Gericht vorliegenden Auskünfte belegen nicht, dass ein in den Großraum Kinshasa zurückkehrender Asylbewerber mangels jeglicher Lebensgrundlage in eine extreme Gefahrenlage geriete und dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre (ebenso OVG NRW, Urteil vom 18. April 2002 - 4 A 3113/95.A -, Seite 41 ff. des amtlichen Umdrucks; OVG des Saarlandes, Urteil vom 14. Januar 2002 - 3 R 1/01 -, Seite 68 ff. des amtlichen Umdrucks; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13. November 2002 - A 6 S 967/01 - Seite 38 ff. des amtlichen Umdrucks).

Eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in den Großraum Kinshasa dort verhungern oder schwersten Gesundheitsverletzungen ausgesetzt sein würde, ist vorliegend nicht anzunehmen. Dies gilt auch mit Blick auf das Alter der Klägerin von vier Jahren und sechs Monaten. Denn die Klägerin wird nach der Überzeugung des Gerichts nicht unbegleitet in die Demokratische Republik Kongo zurückkehren. Sie wird bei lebensnaher Betrachtung in Begleitung ihrer Eltem sein, deren Asylanträge bereits unanfechtbar abgelehnt wurden, und die sie somit werden versorgen können. Zudem wird die Klägerin vermutlich Unterstützung durch offenbar noch in Kinshasa und der Umgebung lebende Familienangehörige erhalten können.

Aber auch die in Kinshasa bestehende medizinische Versorgungslage und das im Kongo bestehende Risiko, an Malaria zu erkranken, rechtfertigen vorliegend nicht die Annahme einer extremen Gefährdungslage. Das Gesundheitswesen in der Demokratischen Republik Kongo befindet sich allerdings in einem katastrophalen Zustand. Die meisten Krankheiten wie Diabetes mellitus mit Bluthochdruck, Malaria, Asthma und Bronchialerkrankungen, Tuberkulose, die in Zentralafrika verbreitete Sichelzellenanämie, Epilepsie, Geschlechtskrankheiten, Pneumopathie, Typhus und auch Röteln sind in Kinshasa behandelbar. Nach den Erkenntnissen ist grundsätzlich auch die Versorgung mit Medikamenten gesichert. Auch wenn Mangel an gewissen Basisprodukten besteht, so sind Medikamente gegen Malaria, Tuberkulose-, Rheuma-, Husten- und Durchfallerkrankungen und auch Anämiepräparate sowie Antibiotika aber einfach zu erhalten (vgI. Schweizerisches Bundesamt für Flüchtlinge, Bericht über die medizinische Infrastruktur und Behandlung in Kinshasa vom 5. Oktober 2001, Seite 6 ff.; AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Republik Kongo vom 28. Mai 2004, Seite 32 f.).

Die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung wird wesentlich von so genannten Nicht- Regierungsorganisationen, u.a. den Kirchen, getragen.

Das Risiko, an Malaria tropica zu erkranken, die eine der häufigsten und tödlichsten Krankheiten im Kongo ist, ist zwar auch in Kinshasa hoch. Rückkehrer können nach langem Aufenthalt im nicht von Malaria bedrohten Ausland die durch ihr Aufwachsen im Kongo erworbene Semi-Immunität, die einen gewissen Schutz gegen einen schweren, gegebenenfalls zum Tode ruhrenden Verlauf der Malaria bewirkt, verloren haben, bzw. hier geborene und aufgewachsene Kinder können diesen Schutz erst gar nicht erworben haben (vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. April 2002 - 4 A 3113/95.A -,Seite 47 ff.).

Bei einer Malaria-Erkrankung gibt es aber jedenfalls in Kinshasa hinreichende Möglichkeiten ärztlicher Hilfe und in ausreichender Menge Medikamente (vgl. insoweit bereits die obigen Ausführungen zur medizinischen Versorgungslage in Kinshasa und Prof. Dr. Dietrich vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, Stellungnahme gegenüber dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2. April 2002, Seite 3; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Kinshasa, Auskünfte an das OVG Lüneburg vom 20. April 2001 und an den VGH Baden-Württemberg vom 18. Mai 2001 sowie Dr. Ochel vom Missionsärztlichen Institut Würzburg vor dem VG Frankfurt am 27. Juni 2002).

Bei rechtzeitigem Erkennen der Krankheit und Behandlung mit den entsprechenden Medikamenten tendiert die Sterblichkeitsrate gegen Null.