VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 06.08.2004 - 15 ZB 04.30565 - asyl.net: M5741
https://www.asyl.net/rsdb/M5741
Leitsatz:

Schutz des Landes im Sinn des Art. 1 C Nr. 5 der Genfer Flüchtlingskonvention ist der Schutz vor politischer Verfolgung, nicht auch der Schutz vor allgemeinen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit.(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Asylanerkennung, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Genfer Flüchtlingskonvention, Flüchtlingsbegriff, Verfolgungsbegriff, Auslegung, Existenzminimum, Berufungszulassungsantrag, Grundsätzliche Bedeutung
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53; AuslG § 54; GK Art. 1 C Nr. 5; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
Auszüge:

Die Berufung ist auch dann nicht zuzulassen, wenn man die im Zulassungsantrag aufgeworfene Frage modifizieren und ohne den Hinweis auf Art. 1 C Nr. 5 Satz 2 GK, also dahingehend stellen würde, ob ein Flüchtling seinen Flüchtlingsschutz auch dann verliert, wenn der Heimatstaat noch überhaupt nicht in der Lage sei, "Schutz" zu gewähren. Der Kläger scheint davon auszugehen, dass ein "Schutz" in diesem Sinn nicht nur den Schutz vor Verfolgung, sondern auch den Schutz vor allgemeinen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit umfasst. Eine solche Auffassung vertritt der UNHCR in seinen "Richtlinien zum internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinn des Art. 1 C Nr. 5 und 6 des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" vom 10. Februar 2003. Dort wird - noch weitergehend - auch vorausgesetzt, dass der Heimatstaat über eine funktionierende Regierung, grundlegende Verwaltungsstrukturen, wie sie beispielsweise in einem funktionierenden Rechtsstaat vorliegen, sowie über eine angemessene Infrastruktur verfüge, innerhalb derer die Einwohner ihre Rechte ausüben könnten, einschließlich ihres Rechts auf eine Existenzgrundlage.

Auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen lässt sich ohne weiteres feststellen, dass eine solche Auffassung unzutreffend ist. Sie gibt ein politisches Ziel, nicht aber die geltende Rechtslage wieder. Die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, ist zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen (§ 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Politische Verfolgung nach § 51 Abs. 1 AuslG setzt grundsätzlich staatliche Verfolgung voraus (BVerwG vom 18.1.1994 BVerwGE 95, 42). Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass diese Voraussetzung nach dem Ende des Regimes von Saddam Hussein nicht mehr vorliegt; insoweit sind Gründe für die Zulassung der Berufung nicht genannt. Weitere tatbestandliche Voraussetzungen hat § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht (wegen Satz 3 s. bereits a).

Mit dieser gesetzlichen Regelung hat die Bundesrepublik Deutschland - ohne dass es darauf noch entscheidend ankäme - auch nicht ihre völkervertraglichen Pflichten aus der Genfer Flüchtlingskonvention verletzt. Die Worte "Schutz des Landes" haben in Art. 1 C, der den Wegfall der Flüchtlingseigenschaft anspricht, keine andere Bedeutung als in Art. 1 A Nr. 2 GK, der die Flüchtlingseigenschaft definiert. "Schutz des Staates" meint also den Schutz des Staates vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung. Darauf verweist auch die für das Konventionsrecht zentrale Norm des Art. 33 Abs. 1 GK. Die Frage staatlicher Schutzgewährleistung stellt sich in diesem Kontext also nur, wenn dem Ausländer eine Verfolgung im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG droht. Dafür gibt es jedoch keine Anhaltspunkte.

Den Schutz wegen der allgemeinen Verhältnisse im Heimatland gewährleisten die in § 53 Abs. 6 Satz 2, § 54 AuslG getroffenen Regelungen. In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist bereits geklärt, dass derzeit eine Abschiebung in den Irak nicht stattfindet (Urteil vom 2.12.2003 Az. 15 B 01.30489; vom 1.7.2004 Az. 23 B 04.30163).