VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 23.09.2004 - 4 K 2506/01.A - asyl.net: M5807
https://www.asyl.net/rsdb/M5807
Leitsatz:

Ein ärztliches Gutachten zum Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung genügt nur dann wissenschaftlichen Grundsätzen, wenn der Arzt sich bemüht hat, die Angaben des Patienten zu seinen traumatischen Erlebnissen auf ihre Glaubhaftigkeit hin zu überprüfen.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Irak, Kurden, Schiiten, Traumatisierte Flüchtlinge, Posttraumatische Belastungsstörung, Psychische Erkrankung, Fachärztliche Stellungnahmen, Glaubwürdigkeit, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Anschläge, Übergriffe, Sicherheitslage, Versorgungslage, Allgemeine Gefahr, Extreme Gefahrenlage
Normen: AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

Die Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Absatz 6 Satz 1 AuslG sind ebenfalls nicht gegeben, denn von einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers kann nicht ausgegangen werden.

Zwar ist die allgemeine Kriminalität im Irak seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein stark angestiegen und ereignen sich nahezu täglich Terrorakte mit Toten und Verletzten. Es kann jedoch nicht außer Betracht bleiben, dass sich diese Anschläge in erster Linie gegen Soldaten der Besatzungsstreitkräfte und gegen Angehörige anderer ausländischer Staaten oder Organisationen richten sowie gegen Iraker, die mit diesen Stellen zusammenarbeiten.

Für andere Bevölkerungsgruppen kann vor diesem Hintergrund von einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben nicht ausgegangen werden. Im übrigen ist von der problematischen Sicherheitslage ebenso wie von der unzureichenden Versorgungslage und der mangelhaften medizinischen Versorgung (vgl. zu alledem Auswärtiges Amt, ad-hoc-Berichte vom 7. August und vom 6. November 2003; UNHCR, Stellungnahme zur Rückkehrgefährdung irakischer Schutzsuchender vom November 2003; Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme an das OVG Schleswig- Holstein vom 1. Oktober 2003, die Bevölkerung des Irak in ihrer Gesamtheit betroffen, so dass die daraus erwachsenden Gefahren nur bei einer Entscheidung der obersten Landesbehörde nach § 54 AuslG berücksichtigt werden könnten.

Auf Grund einer verfassungsgemäßen Interpretation fielen sie allenfalls dann unter § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, wenn eine derart extreme Gefahrenlage vorläge, dass der Ausländer bei einer Rückkehr gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen überantwortet wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 -, NVwZ 1996, S. 199).

Hierfür sind im vorliegenden Fall Anhaltspunkte nicht gegeben. Solche lassen sich nicht aus dem Vortrag des Klägers herleiten, er leide unter einer durch Erlebnisse im Irak hervorgerufenen posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Der ärztliche psychotherapeutische Bericht des Dr. med. B 1. aus (...) legt das Vorliegen dieser Erkrankung beim Kläger nicht substanziiert und schlüssig dar. Auch die mündlichen Ausführungen dieses in der mündlichen Verhandlung als sachverständigen Zeugen gehörten Arztes lassen keine Feststellung zu, dass der Kläger objektiv an PTBS erkrankt sein könnte. Die Angaben über traumatisierende Erlebnisse im Irak, die der Kläger nunmehr im gerichtlichen Verfahren und insbesondere gegenüber dem sachverständigen Zeugen gemacht hat, stehen in einem nicht auflösbaren Widerspruch zu seinem früheren Vortrag vor dem Bundesamt, aber auch noch nach Klageerhebung in der zunächst erfolgten Klagebegründung. Die widersprüchlichen Angaben des Klägers und die extreme Divergenz seiner geistig, seelischen Verfassung einschließlich seines Erinnerungsvermögens zwischen damals (nach der Ausreise) und heute schließen die Objektivierbarkeit einer PTBS wegen behaupteter Erlebnisse im Irak aus.

Der vom Kläger vorgelegte ärztliche psychotherapeutische Bericht von Dr. B 1. genügt den wissenschaftlichen Anforderungen, die an ein eine posttraumatische Belastungsstörung feststellendes ärztliches Gutachten zu stellen sind (vgl. dazu u. a.: Marx, InfAuslR 2000, 357, 362 f.; vgl. auch: BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98 -, (zu den wissenschaftlichen Anforderungen an aussagepsychologische Begutachtungen), in: NJW 1999, 2746, dazu Offe, NJW 2000, 929) nicht. Der ärztlichen Stellungnahme ist nicht zu entnehmen, dass sich der Arzt bemüht hat, die Bekundungen des Klägers zu seinen traumatisierenden Erlebnissen auf ihre Glaubhaftigkeit hin zu überprüfen. Sowohl die schriftliche Stellungnahme wie auch die Äußerungen des sachverständigen Zeugen in der mündlichen Verhandlung weisen vielmehr darauf hin, dass der Arzt die zumal sehr dürftigen Schilderungen des Klägers zu seinen Traumaerlebnissen übernommen hat, ohne sie kritisch auf ihren Wahrheitsgehalt zu hinterfragen. Mit diesen Feststellungen, das sei ausdrücklich angemerkt, zieht das Gericht nicht etwa die fachliche Kompetenz des sachverständigen Zeugen in Zweifel, der seinem Patienten als behandelnder Arzt wahrscheinlich nur auf der Grundlage eines Vertrauensverhältnisses helfen kann und sich deshalb auf dessen Angaben verlässt. Ein bedingungsloses Vertrauen in die Angaben des Patienten und zugleich Klägers bis zur Feststellung des Gegenteils kann es hingegen für das Gericht und überhaupt denjenigen, der das Vorhandensein einer psychischen Krankheit, soweit dies möglich ist, objektiv festzustellen hat, nicht geben. Dies erklärt sich schon daraus, dass ein Asylkläger im Regelfall ein besonderes Interesse an der Feststellung des Krankheitsbildes hat, das geeignet ist, seine Abschiebung zu verhindern. Um zu der objektiven Diagnose PTBS gelangen zu können, sind deshalb die Angaben über traumatisierende Erlebnisse einer kritischen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen. Im vorliegenden Fall des Klägers hätte dazu besondere Veranlassung bestanden. Er hat nämlich in seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 14. August 2001 kurz nach seiner Ausreise aus dem Irak die heute behaupteten Geschehnisse im Irak (Ermordung seiner Eltern, einer Schwester und eines Bruders in seinem Alter von ungefähr fünf Jahren und anschließender Gefängnisaufenthalt), obwohl ausdrücklich zu neben der vorgetragenen. Militärdienstentziehung bei den(...) bestehenden sonstigen Ausreisegründen befragt, nicht nur nicht, auch nicht andeutungsweise erwähnt, sondern Tatsachen geschildert, die diesen Geschehnissen konträr entgegenstehen.