Keine extreme Gefährdungslage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung von § 53 Abs. 6 AuslG für Roma im Kosovo.(Leitsatz der Redaktion)
Die Kläger haben weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte noch auf Feststellung der Voraussetzung des § 51 Abs. 1 AuslG noch auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG.
Nach § 51 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung und Abänderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich, unter anderem, die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- und Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat oder wenn neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden. Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend bereits deshalb nicht erfüllt, weil die nunmehr von den Klägern geltend gemachten Erkrankungen ausweislich der vorgelegten und eingeholten ärztlichen Bescheinigungen bzw. nach eigenem Bekunden bereits zum Zeitpunkt des rechtskräftig abgeschlossenen Erstverfahrens beim Verwaltungsgericht Frankfurt an der Oder (3 D 10.107/92.A) vorlagen und die Kläger nicht dargetan haben, dass sie zu einer Geltendmachung im damaligen Verfahren außerstande gewesen seien. Dies gilt im Übrigen auch für die erst in diesem Verfahren geltend gemachte Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma.
Die Kläger haben im Klageverfahren nichts vorgetragen, was die ausführliche Begründung des Bescheides in Zweifel ziehen könnte. Hieran ändern auch die Ereignisse von Mitte März 2004 im Kosovo und dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien nichts. Denn die Verhältnisse in den betroffenen Gebieten haben sich ausweislich der aktuellen Berichterstattung nach Entsendung weiterer NATO-Truppen im Kosovo wieder beruhigt. Daneben erscheint fraglich, inwieweit sich aus den Geschehnissen eine andauernde Verfolgung von Minderheitenangehörigen im Kosovo herleiten lässt, da es sich ausweislich der Berichterstattung im Wesentlichen um Übergriffe auf serbische Minderheitenangehörige gehandelt hat. Es ergeben sich auch keine Gründe für die Annahme von Abschiebungshindernissen aus den aktuellen Auskünften.
Ohne dass es vorliegend entscheidungserheblich ist, weist das Gericht darauf hin, dass der Vortrag, der Kläger zu 1. sei psychisch bzw. psychosomatisch erkrankt, auch aus anderen Gründen nicht zur Feststellung von Abschiebungshindernissen führt. Denn die Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG mit Rücksicht auf die Nichtbehandelbarkeit einer etwaigen psychischen Erkrankung im Kosovo ist bereits deswegen ausgeschlossen, weil es sich in Anbetracht der Vielzahl traumatisierter Personen in und aus dem Kosovo - es wird davon ausgegangen, dass 20 bis 25 % der Bevölkerung des Kosovo an der Folgen traumatischer Erlebnisse leiden (vgl. Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge: Medizinische Versorgung im Kosovo S. 22 und Stellungnahme von Dr. med. Susanne Schlüter-Müller an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main vom 29.Juli 2003, in der davon ausgegangen wird, dass die vorübergehende psychiatrische Auffälligkeit weltweit ca. 14-17 % beträgt und in Nachkriegsgebieten wie dem Kosovo mit einer deutlich erhöhten Rate von 7 bis 10 % an psychiatrisch Kranken zu rechnen ist) - und den daraus resultierenden Gefahren infolge unzureichender Behandlung um eine Gefahr handelt, die einer großen Zahl der im Abschiebezielstaat wohnenden Personen bzw. dorthin zurückkehrender Personen gleichermaßen droht.
Nach § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG werden Gefahren im Abschiebezielstaat, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Entscheidungen nach § 54 AuslG berücksichtigt. Mit dieser Regelung soll nach dem Willen des Gesetzgebers erreicht werden, dass dann, wenn eine bestimmte Gefahr einer Bevölkerungsgruppe, das heißt einer großen Zahl der im Abschiebezielstaat lebenden Personen gleichermaßen droht, einheitlich durch eine politische Leitentscheidung des Innenministeriums über deren Aufnahme oder Nichtaufnahme entschieden wird und nicht im jeweiligen Einzelfall durch das Bundesamt bzw. eine Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde. Trotz bestehender konkreter erheblicher Gefahr ist die Anwendbarkeit des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG im Verfahren des einzelnen Ausländers deshalb gesperrt, wenn diese Gefahr zugleich einer Vielzahl weiterer Personen im Abschiebezielstaat droht. Die Entscheidung des Bundesgesetzgebers haben die Verwaltungsgerichte zu respektieren; sie dürfen daher im Einzelfall Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe angehören, für die ein Abschiebstopp nach § 54 AuslG nicht besteht, nur dann ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Auslegung des § 53 Abs. 6 AuslG zusprechen, wenn keine anderen Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG gegeben sind, eine Abschiebung aber Verfassungsrecht verletzen würde (vgl. Bundesverwaltungsgericht <BVerwG>, Urteil vom 27. April 1998 - 9 C 13.97 -, NVwZ 1998, 973 f. und so wie hier auch: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof <BayVGH>, Beschluss vom 9. Januar 2003 - M 17 E 02.60647 -, Asylmagazin 9/2003, 29 und Verwaltungsgericht <VG> Berlin, Urteil vom 26. September 2002 - 37 X 56.01 -).
Ein solch verfassungsrechtlich gebotenes Abschiebungshindemis liegt hier aber nicht vor.
Die vorgebrachte, mit ärztlichen Attesten bescheinigte psychische Erkrankung begründet für den Kläger zu 1. auch deshalb keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, weil die bescheinigte psychische Störung eine chronische Erkrankung ist, die nicht akut lebensbedrohlich ist. Nach § 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) und § 120 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) soll für abgelehnte Asylbewerber kein Rechtsanspruch auf Krankenhilfe zur Heilung einer solchen Erkrankung bestehen (so auch: VG Gießen, Urteil vom 7. März 2003 - Az: 9 E 3388/01 -). Dass dem Kläger zu 1. in seinem Heimatland keine ärztliche Therapie zur Heilung einer posttraumatischen Belastungsstörung oder anderer psychischer Störungen gewährt würde (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Kosovo vom 27. November 2002), kann deshalb grundsätzlich kein Abschiebungshindernis begründen. Insbesondere liegen die Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG nicht bereits dann vor, wenn die in Deutschland verfügbaren (ggf. Patienten schonenderen) medizinischen Behandlungsmaßnahmen und -methoden im Zielland nicht möglich sind, bzw. zur Verfügung stehen, die Erkrankung nach den dort üblichen medizinischen Methoden aber angemessen behandelt werden kann. Denn der in § 53 Abs. 6 AuslG geregelte Abschiebungsschutz gewährleistet nicht, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland geeignet sein müssten, eine bestehende Erkrankung optimal zu versorgen oder gar auszuheilen (so auch: VG Oldenburg, Urteil vom 27. Januar 2004 - 12 A 606/03 - ). Soweit eine Behandlung des Klägers zu 1. zur Behebung oder Linderung von Schmerzzuständen im Sinne des § 4 AsylbLG dient, zur Sicherung seiner Gesundheit im Sinne des § 6 AsylbLG unerlässlich ist oder im Sinne des § 120 Abs. 3 BSHG zur Behebung eines akut lebensbedrohlichen Zustandes oder zur Behandlung einer schweren Erkrankung unaufschiebbar und unabweisbar geboten ist, stehen im Kosovo für eine wirksame Behandlung ausreichend geeignete Schmerzmittel und Antidepressiva zur Verfügung, die von der UN Verwaltung und der mit ihr zusammenarbeitenden Gesundheitsorganisationen kostenlos an die Apotheken und Arztstationen abgegeben werden (vgl.: Hessischer Verwaltungsgerichtshof <Hess. VGH>, Beschluss vom 26. Februar 2003 - 7 UE 847/01.A - S. 20, 21; VG Gießen, Beschluss vom 5. Mai 2003 - 9 G 1177/03 -; Auswärtiges Amt Bericht BRJ Kosovo vom 27. November 2002; Deutsches Verbindungsbüro an VG Schwerin vom 11. März 2002; UNHCR an VG Ansbach vom 16. Januar 2001 mit der von der UNMIK im Juni 2000 erstellten Medikamentenliste; BAFl. August 2002 "Medizinische Versorgung im Kosovo und Serbien/Montenegro").
Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG besteht auch dann nicht, wenn im Kosovo und außerhalb des Kosovo im Hoheitsgebiet von Serbien und Montenegro dem Kläger zu 1. ohne private Zuzahlungen wahrscheinlich keine Hilfe zur Heilung seiner chronischen Krankheiten gewährt würde. Wenn zur Heilung eines Ausländers in Deutschland eine Therapie nicht zu gewähren ist, so kann es kein Abschiebungshindernis begründen, wenn dem Ausländer auch in seinem Herkunftsland, in das er abgeschoben werden soll, keine ärztliche Therapie zur Heilung einer posttraumatischen Belastungsstörung oder anderer psychischer Störungen gewährt würde (so auch: VG Gießen, Beschluss vom 5. Mai 2003 - 9 G 1177/03 -).
Soweit die Kläger schließlich eine Retraumatisierung des Klägers zu 1. infolge der drohenden Abschiebung geltend machen, handelt es sich nicht um ein vom Bundesamt zu prüfendes, zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, sondern um ein von der Ausländerbehörde zu berücksichtigendes inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 8/99 -, NVwZ 2000, 206 f.; so auch: VG Berlin, a.a.O. und VG Oldenburg a.a.O.).