Kein Abschiebungsschutz wegen posttraumatischer Belastungssthörung; an posttraumatischer Belastungsstörung Leidende im Kosovo sind eine Bevölkerungsgruppe i.S.d. § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG.(Leitsatz der Redaktion)
Soweit die Kläger vortragen, dass die Klägerinnen zu 2. und 4. unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, führt dies nicht zur Feststellung von Abschiebungshindernissen.
Die Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG mit Rücksicht auf die Nichtbehandelbarkeit einer psychischen Erkrankung ist bereits deswegen ausgeschlossen, weil es sich in Anbetracht der Vielzahl traumatisierter Personen in und aus dem Kosovo - es wird davon ausgegangen, dass 20 bis 25 % der Bevölkerung des Kosovo an den Folgen traumatischer Erlebnisse leidet (vgl. Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge: Medizinische Versorgung im Kosovo S. 22 und Stellungnahme von Dr. med. Susanne Schlüter-Müller an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main vom 29. Juli 2003, in der davon ausgegangen wird, dass die vorübergehende psychiatrische Auffälligkeit weltweit ca. 14 - 17 % beträgt und in Nachkriegsgebieten wie dem Kosovo mit einer deutlich erhöhten Rate von 7 bis 10 % an psychiatrisch Kranken zu rechnen ist) - und den daraus resultierenden Gefahren infolge unzureichender Behandlung um eine Gefahr handelt, die einer großen Zahl der im Abschiebezielstaat wohnenden Personen bzw. dorthin zurückkehrender Personen gleichermaßen droht. Nach § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG werden Gefahren im Abschiebezielstaat, einen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Entscheidungen nach § 54 AuslG berücksichtigt.
Trotz bestehender konkreter erheblicher Gefahr ist die Anwendbarkeit des 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG im Verfahren des einzelnen Ausländers deshalb gesperrt, wenn diese Gefahr zugleich einer Vielzahl weiterer Personen im Abschiebezielstaat droht. Die Entscheidung des Bundesgesetzgebers haben die Verwaltungsgerichte zu respektieren; sie dürfen daher im Einzelfall Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe angehören, für die ein Abschiebestopp nach § 54 AuslG nicht besteht, nur dann ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Auslegung des § 53 Abs. 6 AuslG zusprechen, wenn keine anderen Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG gegeben sind, eine Abschiebung aber Verfassungsrecht verletzen würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. April 1998 - 9 C 13.97 -, NVwZ 1998, 973 f. und so wie hier auch: Bayerisches Verwaltungsgericht <VG> München, Beschluss vom 9. Januar 2003 - M 17 E 02.60647 -, Asylmagazin 9/2003, 29, VG Berlin, Urteil vom 26. September 2002 - 37 X 56.01 -, VG Schwerin, Urteile vom 31. Juli 2002 - 5 A 90/00 As - und vom 19. April 2003 - 5 A 349/99 As - und VG Braunschweig, Beschluss vom 26. September 2003 - 5 A 349/03 -).
Ein solch verfassungsrechtlich gebotenes Abschiebungshindernis liegt hier aber nicht vor. Es wäre nach der Rechtsprechung nur dann anzunehmen, wenn landesweit eine extreme Gefahr bestünde, die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit jeden einzelnen Ausländer der betroffenen Bevölkerungsgruppe im Falle seiner Abschiebung gleichermaßen sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 1994 - BvL 81/92 und 82/92 -, InfAuslR 1995, 251, BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, E 99, 324, 328, vom 29. März 1996 - 9 C 16.95 -, NVwZ Beil. 8/1996, 57 und vom 19. November 1996 - 1 C 6.95 -, InfAuslR 1997, 93), bzw. wenn eine derart extreme Gefahrenlage besteht, dass praktisch jedem, der in den Staat abgeschoben wird, mit mehr als nur beachtlicher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr Gefahren für Leib, Leben und Freiheit in erhöhtem Maße drohen, die eine Abschiebung dorthin als unzumutbar erscheinen lassen.
Für eine extreme allgemeine Gefahrenlage, bei der die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG ausnahmsweise nicht gilt, ist ferner ebenso wie bei der "konkreten Gefahr" im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG die Unmittelbarkeit der Gefahr, das heißt eine gewisse zeitliche Nähe des möglichen Eintritts der Verletzung der gefährdeten Rechtsgüter zum Abschiebungsakt erforderlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 -, Buchholz 402.240 § 53 Nr. 10 EZAR 43 Nr. 31). Eine extreme Gefahrenlage liegt dann nicht vor, wenn die mögliche Rechtsgutsverletzung nicht "bald" zu erwarten ist, sondern sich allenfalls an einem in bestimmter Ferne liegenden Zeitpunkt verwirklichen kann. Eine solche existenzielle Gefährdung der Klägerinnen bei einer Rückkehr in den Kosovo wegen fehlender psychotherapeutischer Behandlungsmethoden ist jedoch auch unter Berücksichtigung der fachärztlichen Bescheinigungen nicht erkennbar. Die darin geschilderten Beschwerden erfüllen mangels akuter Lebensgefahr nicht die Voraussetzungen einer Extremgefahr für Leib und Leben im oben dargelegten Sinn (so auch: VG Berlin a.a.O.).
Die vorgebrachte Erkrankung begründet - unabhängig davon, ob sie anhand der vorgelegten Bescheinigungen überhaupt insbesondere hinsichtlich der Klägerin zu 4. hinreichend dargetan ist - für die Klägerinnen auch deshalb keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, weil die bescheinigte posttraumatische Belastungsstörung eine chronische Erkrankung ist, die nicht akut lebensbedrohlich ist. Nach § 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) und § 120 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) besteht für abgelehnte Asylbewerber kein Rechtsanspruch auf Krankenhilfe zur Heilung einer solchen Erkrankung (so auch: VG Gießen, Urteil vom 7. März 2003 - Az: 9 E 388/01 -). Dass den Klägerinnen in ihrem Heimatland keine ärztliche Therapie zur Heilung einer posttraumatischen Belastungsstörung oder anderer psychischer Störungen gewährt würde (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Kosovo vom 27. November 2002), kann deshalb grundsätzlich kein Abschiebungshindernis begründen.
Soweit die Klägerinnen daneben eine Retraumatisierung infolge der drohenden Abschiebung geltend machen, handelt es sich nicht um ein vom Bundesamt zu prüfendes, zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, sondern um ein von der Ausländerbehörde zu berücksichtigendes inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. September 1999 - 9 C 8/99 -, NVwZ 2000, 206 f.; so auch: VG Berlin, a.a.O. und Oldenburg a.a.O.).