OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.10.2004 - 18 B 2140/03 - asyl.net: M5933
https://www.asyl.net/rsdb/M5933
Leitsatz:

Posttraumatische Belastungsstörung im Kosovo behandelbar.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Kosovo, Traumatisierte Flüchtlinge, Psychische Erkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Retraumatisierung, Suizidgefahr, Duldung, Reisefähigkeit, Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AuslG § 53 Abs. 6 S. 1; VwGO § 123
Auszüge:

Die durch den angefochtenen Beschluss ergangene einstweilige Anordnung, durch die die Antragsgegnerin verpflichtet wurde, die Antragstellerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens 7 K 3392/03 zu dulden, ist aufzuheben.

Die Antragsgegnerin hat sich in ihrer Beschwerdebegründung zu Recht gegen die Würdigung des Verwaltungsgerichts gewandt, dass das von der Antragstellerin als Erkrankung geltend gemachte Vorliegen einer sog. posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) im Falle ihrer Rückkehr in ihr Heimatland zu einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben solchen Ausmaßes führen könne, dass dies voraussichtlich ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG begründen würde.

Zwar mag aufgrund der Atteste des Klinikums E. und des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie T. davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin an einer PTBS leidet. Dies führt jedoch für sich genommen nicht auf einen Duldungsanspruch.

Der Senat hat bei Würdigung der eingereichten, die darlegungs- und beweispflichtige Antragstellerin betreffenden Atteste keine hinreichenden, den Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches genügenden Anhaltspunkte dafur, dass bei der Antragstellerin im Falle ihrer Rückkehr in ihr Heimatland eine wesentliche oder gar lebensbedrohende Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist.

Dem letzten unter dem 22. September 2004 erstellten Attest des Arztes T. zufolge wird zur psychischen Stabilisierung der Antragstellerin gegenwärtig in vierwöchigem Abstand eine traumaspezifische (Gesprächs- )Therapie und eine Medikation mit Zopiclon und Mirtazapin durchgeführt. Dieser Arzt geht zwar davon aus, dass sich die Erkrankung der Antragstellerin im Falle einer zwangsweisen Ausreise in ihr Heimatland wegen der "Konfrontation mit den auslösenden Umgebungsfaktoren" wie Örtlichkeiten, Menschen mit gleichen Traumaerlebnissen, Gräbern usw. erheblich verschlimmern würde und die Gefahr der Selbsttötung bestehe, wenn kein anderer Ausweg aus der sich extrem zuspitzenden intrapsychischen Situation gesehen werde.

Diese Einschätzung beruht aber erklärtermaßen auf der Annahme des Arztes, dass eine traumaspezifische Therapie im Heimatland der Antragstellerin nicht möglich sei. Diese Prämisse trifft nach dem aktuellen Erkenntnismaterial, das dem Senat gegenwärtig vorliegt, nicht zu. Vielmehr sind schwere psychische Erkrankungen wie depressive Syndrome, insbesondere PTBS, nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand im Kosovo durch medikamentöse sowie eine in gewissem Umfang zur Verfügung stehende gesprächstherapeutische Behandlung grundsätzlich soweit behandelbar, dass konkrete individuelle existentielle Leibes- und Lebensgefahren für in die Provinz Kosovo zurückgeführte Personen nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit festzustellen sind. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages vom 20. Februar 2004 ist die nicht ausschließlich medikamentös, sondern auch durch supportive Gespräche erfolgende fachpsychiatrische Behandlung von Patienten, die an einer PTBS leiden, im öffentlichen Gesundheitswesen des Kosovo kostenfrei möglich und kann die Behandlung einer PTBS im Kosovo außerdem durch eine Psychotherapie in Form einer Gesprächstherapie in Pristina durch privat praktizierende Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie mit im Ausland erworbener Zusatzqualifikation im Bereich Psychotherapie/ Gesprächspsychotherapie durchgeführt werden.

Ob die - mögliche und finanzierbare - Behandlung der Antragstellerin im Kosovo mit derselben Intensität, derselben Art und derselben Medikation wie gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland erfolgen wird, ist - wie bereits ausgeführt - unerheblich.

Im Rahmen der von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorausgesetzten Gefahr für Leib und Leben ist es nämlich nicht zwingend erforderlich, eine im Bundesgebiet begonnene Behandlung im Zielstaat unverändert fortführen zu können. Nach ständiger Senatsrechtsprechung ist ein Ausländer grundsätzlich auf den in medizinischer und therapeutischer Hinsicht allgemein üblichen Standard in seinem Heimatland zu verweisen, wobei selbstverständlich die Erbringung zumutbarer familiärer Unterstützungsmaßnahmen, zu denen auch finanzielle Hilfen zählen, jedenfalls im Rahmen der im Heimatland hierzu üblichen Gepflogenheiten zu erwarten sind (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 28. März 2003 - 18 B 35/03 - und vom 14. Juli 2004 - 18 B 2478/03 -).

Nach alledem ist davon auszugehen, das der Antragstellerin unmittelbar nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland eine angemessene medikamentöse Behandlung ihrer PTBS sowie eine - gegenwärtig offenbar nur in vierwöchigem Abstand für angebracht gehaltene - Gesprächstherapiemöglichkeit zur Verfügung stehen, womit der von dem Arzt T. in seinem Attest vom 22. September 2004 - für den Fall der von ihm zu Unrecht angenommenen Unmöglichkeit einer traumaspezifischen Therapie - befürchteten Gefahr einer Selbsttötung der Antragstellerin wegen von ihr empfundener Ausweglosigkeit "aus der sich extrem zuspitzenden intrapsychischen Situation" begegnet werden kann.

Die Antragstellerin kann sich schließlich auch nicht mit Erfolg auf ein sog. inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis in Form einer Reiseunfähigkeit berufen. Zwar geht der Arzt T. in seinem Attest vom 22. September 2004 von einer Reiseunfähigkeit der Antragstellerin aus, die er aber erklärtermaßen aus der von ihm - zu Unrecht - angenommenen Nichtbehandelbarkeit einer PTBS im Kosovo und der daraus von ihm - zu Unrecht - gefolgerten Gefahr einer erheblichen Verschlimmerung der Erkrankung der Antragstellerin im Falle ihrer Riickkehr in ihr Heimatland herleitet. Davon unabhängige Gründe für eine Reiseunfähigkeit der Antragstellerin sind diesem Attest nicht zu entnehmen.

Nach ständiger Senatsrechtsprechung ist nicht davon auszugehen, dass bei Personen mit dem Beschwerdebild einer posttraumatischen Belastungsstörung wegen der mit einer Abschiebung verbundenen Auswirkungen auf deren Gesundheitszustand stets ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis anzunehmen ist. Eine posttraumatische Belastungsstörung vermag erst dann auf ein derartiges Vollstreckungshindernis zu führen, wenn ein Ausländer suizidgefährdet ist und im Rahmen einer Abschiebung die ernsthafte Gefahr einer"Selbsttötung droht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 1. Juli 2002 - 18 B 1516/01 - und vom 15. September 2004 - 18 B 2014/04 -). Das ist bei der Antragstellerin nicht der Fall. In dem Attest vom 22. September 2004 ist von einer Gefahr der Selbsttötung der Antragstellerin nur fur den Fall die Rede, dass ihre Erkrankung im Heimatland unbehandelt bleibt, was aus den vorstehenden Gründen nicht der Fall ist.