OLG Köln

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Zitieren als:
OLG Köln, Beschluss vom 13.10.2004 - 16 Wx 194/04 - asyl.net: M5935
https://www.asyl.net/rsdb/M5935
Leitsatz:

Keine Abschiebungshaft gegen einen marokkanischen Staatsangehörigen ohne Passpapiere, da die Ausstellung von Passpapieren länger als drei Monate dauert; ein Ausländer hat seine Passlosigkeit nur zu vertreten, wenn er seine Passpapiere schuldhaft weggegeben und hierdurch seine Abschiebung verzögert hat.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Marokkaner, Abschiebungshaft, Passersatzbeschaffung, Drei-Monats-Frist, Mitwirkungspflichten, Vertretenmüssen
Normen: AuslG § 57 Abs. 2 S. 4
Auszüge:

Die Anordnung der Sicherungshaft war vorliegend nach § 57 Abs. 2 Satz 4 unzulässig, weil feststand, dass aus Gründen, die der Antragsgegner nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Haftanordnung durchgeführt werden konnte.

Die Ermittlungen des Landgerichts haben nicht ergeben, ob im Zeitpunkt der Haftanordnung konkrete Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass ein marokkanischer Staatsangehöriger, der über keinerlei Identitätspapiere verfügt, der aber bei der Passersatzbeschaffung mitwirkt, innerhalb von drei Monaten abgeschoben werden kann. Nach den Ermittlungen des Landgerichts ist kein Fall aktenkundig geworden, in dem ein marokkanischer Staatsangehöriger, der nicht im Besitz der erforderlichen Passpapiere war, binnen der Dreimonatsfrist in sein Heimatland abgeschoben werden konnte. Nach der schriftlichen Auskunft der Zentralen Ausländerbehörde der Stadt Dortmund war zwar die Beschaffung von Reisedokumenten für vier marokkanische Staatsangehörige im Zeitraum 2003/2004 möglich. Jedoch ergibt sich aus den übermittelten Verfahrensdaten, dass in keinem dieser Fälle eine Abschiebung innerhalb von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Beantragung der Reisedokumente erfolgen konnte. Es ergab sich vielmehr jeweils eine Verfahrensdauer von etwa fünf Monaten. Auch die mündliche Auskunft der für die Ausstellung von Passdokumenten zuständigen Sachbearbeiterin bei dem Generalkonsulat des Königreichs Marokko in Düsseldorf spricht entschieden gegen die Annahme, die Beschaffung von Passersatzpapieren und eine nachfolgende Abschiebung nach Marokko sei innerhalb von drei Monaten durchzuführen. Die Auskunft ist vielmehr dahin zu verstehen, dass bei Nichtvorlage einer Ausweiskopie für die Beschaffung von Passersatzpapieren eine lange Verfahrensdauer anzunehmen sei. Die im Laufe des Beschwerdeverfahrens zu den Akten gelangten Stellungnahmen des Antragstellers sowie der ZAB Köln zu der zu erwartenden Verfahrensdauer für die Passersatzbeschaffung waren bereits nicht aussagekräftig, worauf der Senat in seinem Beschluss vom 24.05.2004 ausdrücklich hingewiesen hat.

Aus der nunmehr zu den Akten gelangten schriftliche Auskunft des Generalkonsulats des Königreichs Marokko vom 28.09.2004 ergibt sich zudem, dass die Ausstellung eines Ersatzpapiers innerhalb einer Frist von drei Monaten durch die marokkanischen Behörden nicht gewährleistet werden kann, wenn die Identifizierung eines Betroffenen als marokkanischer Staatsbürger nur anhand seiner Fingerabdrücke erfolgen kann, sofern nicht die Fingerabdrücke bereits im zentralen Register bei den marokkanischen Behörden erfasst sind. Die bereits erfolgte Erfassung der Fingerabdrücke stellt jedoch einen Ausnahmefall dar, der etwa vorliegt, wenn der Ausländer in seinem Heimatland bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten ist.

Die Begründung des Landgerichts, der Antragsgegner habe die lange Verfahrensdauer selbst zu vertreten, weil er an der Beschaffung von Passersatzpapieren nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise mitgewirkt habe, trägt aus den vorstehenden Erwägungen nicht. Denn die Abschiebung des Antragstellers wäre selbst dann nicht innerhalb der Frist des § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG möglich gewesen, wenn er seinen Mitwirkungspflichten ausreichend nachgekommen wäre. Zudem war dem Antragsgegner der Verlust seiner Passpapiere nicht zuzurechnen. Ein Ausländer hat nach ständiger Rechtsprechung des Senats Verzögerungen seiner Abschiebung selbst zu vertreten, wenn er seine Passpapiere schuldhaft weggegeben und hierdurch einen ihm zurechenbaren Umstand geschaffen hat, der seine Abschiebung verzögert (vgl. zuletzt Senatsbeschlüsse vom 14.05.2003 - 16 Wx 111/03 - , bei Melchior, Internet-Kommentar Abschiebungshaft im Anhang; vom 07.05.2004 - 16 Wx 96/04 -, vom 05.07.2004 - 16 Wx 133/04 -, vom 06.08.2004 - 16 Wx 164/04). Anders ist jedoch der Fall zu beurteilen, in dem der Betroffene - wie hier - seinen Pass unverschuldet nicht mehr besitzt. Der Antragsgegner hatte nämlich bei seiner Vernehmung im Rahmen des Passersatzbeschaffungsverfahrens angegeben, seinen Pass bereits in Marokko verloren zu haben. In diesem Fall ist dem Betroffenen der Verlust der Ausweispapiere nicht schuldhaft zuzurechnen.