VerfG Brandenburg

Merkliste
Zitieren als:
VerfG Brandenburg, Beschluss vom 09.12.2004 - VfGBbg 40/04 - asyl.net: M5973
https://www.asyl.net/rsdb/M5973
Leitsatz:

Ein andauernder Verfahrensstillstand in einem anhängigen Verfahren zur Berufungszulassung verletzt das Grundrecht auf ein zügiges Verfahren vor Gericht gem. Art. 52 Abs. 4 Satz 1 Verfassung des Landes Brandenburg (im Anschluss an Beschluss vom 20.3.2003 - VfGBbg 108/02 - ASYLMAGAZIN 5/2003, S. 3); zu den Anforderungen an einen andauernden Verfahrensstillstand bei Berufungszulassung (hier: ein Jahr seit Antrag auf Berufungszulassung).(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Kolumbien, Berufungszulassungsantrag, Verfahrensdauer, Überlange Verfahrensdauer, Recht auf ein zügiges Verfahren, Arbeitsbelastung, Rechtsstaatsprinzip, Verfassungsbeschwerde, Zulässigkeit
Normen: BbgVerf Art. 52 Abs. 4 S. 1
Auszüge:

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig (§§ 45, 46, 47 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg - VerfGGBbg -). Insbesondere kann der Beschwerdeführer nicht darauf verwiesen werden, sich gegen die von ihm als zu lang empfundene Verfahrensdauer mit durch die Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehenen Rechtsmitteln oder -behelfen zur Wehr zu setzen (s. bereits bezüglich des erstinstanzlichen Verfahrens: Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vorn 20. März 2003 - VfGBbg 108/02 - a.a.O.). Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht entgegen, daß hier die Verletzung eines Landesgrundrechts im Rahmen eines bundesrechtlich - hier durch die Verwaltungsgerichtsordnung - geordneten Verfahrens gerügt wird. Die insoweit erforderlichen Voraussetzungen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, st. Rspr. seit Beschluß vorn 16. April 1998 - VfGBbg 1/98 -, LVerfGE 8, 82, 84 f. unter Bezugnahme auf BVerfGE 96, 345, 371 ff., zuletzt Beschluß vorn 16. September 2004 - VfGBbg 38/04 -) sind gegeben (s. bereits bezüglich des erstinstanzlichen Verfahrens: Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vorn 20. März 2003 - VfGBbg 108/02 - a.a.O.).

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Der andauernde Verfahrensstillstand in dem Verfahren auf Zulassung der Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf ein zügiges Verfahren vor Gericht aus Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV.

Das Landesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß - vom 20. März 2003 - VfGBbg 108/02 - (a.a.O.) bereits ausgeführt:

"Artikel 52 Abs. 4 Satz 1 LV ist ein Grundrecht (s. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, st. Rspr. seit Beschluß vom 19. Mai 1994 - VfGBbg 6/93, 6/93 EA -, LVerfGE 2, 105, 112 und Beschluß vom 14. Juli 1994 - VfGBbg 3/94 -, LVerfGE 2, 115 [Leitsatz 1], 116).

Es konkretisiert den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes zu einem Grundrecht auf ein zügiges Verfahren vor Gericht und gewährleistet, daß gerichtliche Entscheidungen in angemessener Zeit ergehen (s. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vorn 28. März 2001 - VfGBbg 2/01 -, LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 12, 3, 6 ff.).

... Die angemessene Verfahrensdauer läßt sich nicht generell und abstrakt, sondern nur nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles bemessen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschlüsse vorn 14. Juli 1994 - VfGBbg 3/94 - a.a.O., vom 19. Januar 1995 - VfGBbg 9/94 -, LVerfGE 3, -129, 133 und vorn 28. März 2001 - VfGBbg 2/01 - a.a.O.). Dabei ist neben dem eigenen prozessualen Verhalten des Beschwerdeführers - etwa wenn er durch verzögernde Anträge (vgl. für einen solchen Fall Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 19. Januar 1995 - VfGBbg 9/94 - a.a.O.) zur Verfahrensverlängerung beigetragen oder den Arbeitsaufwand durch ungeordnetes und unübersichtliches Vorbringen erhöht hat (vgl. insoweit Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 28. März 2001 - VfGBbg 2/01 - a.a.O.) - nicht zuletzt die Bedeutung der Angelegenheit für den Beschwerdeführer (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 28. März 2001 - VfGBbg 2/01 - a.a.O.; BVerfG, Beschluß vom 30. April 1992 - 1 BvR 406/89 - zitiert nach juris) zu berücksichtigen. Gegebenenfalls ist auch zu berücksichtigen, daß die Gründe außerhalb der Sphäre des Gerichts liegen (vgl. BVerfG EuGRZ 1982, 75), wie es bei erschwerten Ermittlungen oder z.B. bei Verfahrensunterbrechungen. durch äußere Umstände der Fall sein kann. Dagegen ist - im Land Brandenburg nach der Umstrukturierung der Justizorganisation im Rahmen der Wiedervereinigung (vgl. hierzu Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 28. März 2001 - VfGBbg 2/01 - a.a.O.) - die besondere Situation des angerufenen Gerichts, etwa seine Überlastung, nach nunmehr über 10 Jahren nicht mehr beachtlich. Das Rechtsstaatsprinzip erfordert eine funktionsfähige Rechtsprechung, zu der eine angemessene Ausstattung der Gerichte gehört (s. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 28. 03.2001 - VfGBbg 2/01 - a. a .O. m. w. N . )."

Hieran ist festzuhalten.

Vorliegend läßt sich die Dauer des Berufungszulassungsverfahrens gemessen an dem Anspruch auf ein zügiges Verfahren vor Gericht nicht mehr rechtfertigen. Das Verfahren war beim Oberverwaltungsgericht bis zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde rund ein Jahr lang anhängig. Während dieser Zeit ist das Zulassungsverfahren - wie auch nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde - nicht nennenswert gefördert worden. Gemessen an den hier im Einzelfall maßgeblichen Gesichtspunkten ist diese Verfahrensdauer zu lang.

Das Landesverfassungsgericht hat in dem Beschluß vom 20. März 2003 - VfGBbg 108/02 - (a.a.O.) bereits ausgesprochen, daß es nicht darauf ankomme, worauf die Verfahrensverzögerung "letzten Endes" zurückzuführen sei. Dies gilt auch vorliegend. Die gemäß § 50 Abs. 2 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) festzustellende verfassungsverletzende "Handlung oder Unterlassung" liegt in der verzögerten Bearbeitung des Zulassungsantrags durch das Oberverwaltungsgericht. Es ist nicht Aufgabe des Landesverfassungsgerichts, etwaigen über den Tatbestand einer Verletzung des Anspruchs auf ein zügiges Verfahren vor Gericht hinausgehenden Ursachen und Hintergründen nachzugehen. Insbesondere unterliegt es nicht der verfassungsgerichtlichen Beurteilung, ob die Verfahrensverzögerung durch eine Änderung der Geschäftsverteilung innerhalb des Oberverwaltungsgerichts oder aber nur durch eine Personalverstärkung hätte verhindert werden können. Es ist Sache des Oberverwaltungsgerichts, diesen verfassungswidrigen Zustand zu beenden.