VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 25.10.2004 - 7 E 3727/01.A(2) - asyl.net: M6033
https://www.asyl.net/rsdb/M6033
Leitsatz:

§ 53 Abs. 6 AuslG wegen schwerer psychischer Erkrankung, deren Behandlung nicht finanzierbar ist; Behandlung ist zwar grundsätzlich möglich, aber entgegen den gesetzlichen Vorschriften Armeniens in der Praxis in nicht kostenlos.

 

Schlagwörter: Armenien, Wiederaufgreifen des Verfahrens, Traumatisierte Flüchtlinge, Psychische Erkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung, Depression, Suizidgefahr, Fachärztliche Stellungnahmen, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit
Normen: AuslG § 53 Abs. 6; VwVfG § 51
Auszüge:

§ 53 Abs. 6 AuslG wegen schwerer psychischer Erkrankung, deren Behandlung nicht finanzierbar ist; Behandlung ist zwar grundsätzlich möglich, aber entgegen den gesetzlichen Vorschriften Armeniens in der Praxis in nicht kostenlos.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klägerin zu 2) hat einen Anspruch auf Feststellung, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 AuslG hinsichtlich einer Abschiebung nach Armenien vorliegen.

Die Klägerin zu 2) ist psychisch schwer erkrankt und suizidgefährdet. Dies ergibt sich aus den vorgelegten ärztlichen Attesten, die nach Überzeugung des Gerichts den Gesundheitszustand der Klägerin nachvollziehbar darstellen. In dem ärztlichen Attest von Dr. Nina Degen, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vom 18.09.2002 diagnostizierte diese bei der Klägerin zu 2) posttraumatische Belastungsstörungen (ICD 10: F 43.1) sowie eine schwere depressive Episode mit psychotischer Symptomatik (ICD 10: F 32.3).

Susanne Ferber, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie stellte in ihrem ärztlichen Attest vom 05.08.2002 fest, dass die Klägerin zu 2) seit Ende 1999 in psychiatrischer Behandlung sei, überwiegend ambulant, teilweise auch stationär. Nach dem Tod des Sohnes vor drei Jahren sei es auch zu suizidalen Handlungen gekommen. In der Zwischenzeit habe im Rahmen einer ambulanten psychiatrischen Behandlung eine gewisse Besserung erreicht werden können. Die medikamentöse Unterstützung habe reduziert werden können und die Abstände zwischen den therapeutischen Sitzungen hätten verlängert werden können. Die Klägerin zu 2) sei schwer depressiv und bedürfe intensiver psychiatrischer Behandlung. Sie habe in den letzten Jahren Doneurin (Doxepin) und Copramil (Citalopram) in verschiedenen Stärken bekommen. Diese Feststellungen werden durch das Attest von Dr. med. Nina Degen vom 24.03.2003 erneut bestätigt, diese stellt hierin fest, dass eine deutlich depressive Symptomatik immer noch vorliege, auch wenn sich der psychiatrische Zustand der Patientin unter antidepressiver Medikation und ambulanter Psychotherapie etwas verbessert habe. Die Klägerin sei immer noch latent suizidal. Sie brauche unbedingt weitere psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung um Fehlhandlungen zu vermeiden.

Nach Einschätzung des Gerichts ist diese notwendige psychiatrische bzw. psychotherapeutische Betreuung und eine Sicherstellung der entsprechenden Medikation in Armenien nicht gewährleistet. Zwar hat die Beklagte ausgeführt, dass die medizinische Grundversorgung in Armenien weitgehend gesichert sei. So sei die Versorgung mit Medikamenten in Armenien ebenfalls grundsätzlich gewährleistet. Es seien in Armenien zwar lediglich eine verhältnismäßig geringe Anzahl von gängigen westeuropäischen Medikamenten zugelassen, allerdings gebe es dort in der Regel Medikamente mit wirkungsgleichen Inhaltsstoffen. Die Kosten der medizinischen Versorgung und der Medikamente lägen weit unter denen in Westeuropa. Die Krankheit der Klägerin zu 2) sei in Armenien in allen psychiatrischen Einrichtungen oder Krankenhäusern grundsätzlich behandelbar. Soweit es um die grundsätzliche Erreichbarkeit der entsprechenden psychotherapeutischen bzw. psychiatrischen Behandlungen geht und um die Versorgung mit den erforderlichen Medikamenten schließt sich das Gericht dieser Einschätzung an. Grundsätzlich sind eine Vielzahl von Psychopharmaka, Antidepressiva, Beruhigungsmittel u.ä. unterschiedlichster Herstellung erhältlich. Auch eine notfalls gebotene ambulante Behandlung bezgl. einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Suizidalität und einer ggf. stationäre Betreuung ist in der Republik Armenien grundsätzlich zu erhalten. Die dazu benötigten psychiatrischen Kliniken und Anstalten sind in der Regel vorhanden und das Personal verfügt auch über große Erfahrungen mit posttraumatischen Belastungsstörungen (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Schleswig vom 05.02.2002). Allerdings geht hier das Gericht nicht davon aus, dass die erforderliche Behandlung auch für die mittellose Klägerin zu 2) in Armenien gewährleistet ist. So gibt Frau Dr. Tessa Hofmann in ihrer Auskunft an das VG Schleswig vom 10.07.2002 an, dass die "Kostenlosigkeit" nur auf dem Papier existiere. Bezahlt werde in jedem Fall, es komme nur auf die Höhe an. Realität und rechtlicher Anspruch würden insoweit weit auseinander klaffen. Die Deutsch-Armenische Gesellschaft gibt in ihrer Auskunft vom 29.11.2001 an, dass auch in Fällen, in denen die betreffenden Personen per Gesetz von der Selbstzahlungspflicht ausgenommen sind, von den behandelnden Ärzten bzw. Krankenhäusern sofortige Zahlung von den Patienten gefordert werde und auch die Apotheken bei der Abgabe von Medikamenten sofortige Bezahlung verlangen würden. Dies geschehe vor allem vor dem Hintergrund der oftmals über Monate hinweg ausbleibenden Zahlungen aus dem armenischen Staatshaushalt auf dem medizinischen Sektor, weshalb die Arbeitsfähigkeit der Krankenhäuser und die wirtschaftliche Existenz der Apotheken oftmals nur in Notfällen zumindest notdürftig aufrechterhalten werden könnten.

Auch nach der in diesem Verfahren eingeholten Auskunft von Frau Dr. Tessa Savvides vom 16.12.2003 ist die erforderliche Behandlung der Klägerin zu 2) in Armenien grundsätzlich möglich, müsste jedoch von dieser selbst übernommen werden. Sie führt hierzu aus, dass eine Therapiestunde 10 US-Dollar koste, sofern sie im staatlichen Auftrag bzw. auf staatliche Bestellung erfolge, im übrigen 50 US-Dollar. Sie führt weiter aus, dass auf Beschluss des Gesundheitsministeriums die Kosten einer Reihe von Krankheiten übernommen würden. Die Praxis sehe jedoch völlig anders aus, die Ärzte und das übrige medizinische Personal seien nicht bereit, solche Fälle zur kostenlosen Behandlung zu übernehmen, weil sie als Staatsangestellte monatelang kein Geld ausgezahlt bekämen. Dieser Gehaltsrückstand des Staates führe zu einer Weigerung der Mediziner, solche Patienten zu übernehmen. Zudem entständen aber in allen Fällen regelmäßige Kosten, deren Deckung ebenfalls geklärt werden müsste. Hierunter falle das in Armenien stets vom medizinischen Personal erwartete "Dankeschön" - Geld, ein sogenanntes Trink- oder Handgeld, und die Kosten für Verkehrsmittel zur Beförderung zur Therapiestunde sowie die Medikamente. Demgegenüber vermag die ebenfalls eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23.03.2004 nicht zu überzeugen. So hat das Gericht in dem Anschreiben an das Auswärtige Amt ausdrücklich angegeben, dass nach Auskunft von Frau Dr. Tessa Hofmann vom 10.07.2001 auch in Fällen, in denen ein gesetzlicher Anspruch auf kostenlose Behandlung bestehe, eine Bezahlung von den Patienten verlangt werde und um Stellungnahme gebeten. Hierzu hat das Auswärtige Amt in der Auskunft vom 23.03.2004 jedoch nicht Stellung genommen. Es wurde lediglich ausgeführt, dass die Weiterführung der derzeit angewandten Therapie der Klägerin auch bei Mittellosigkeit möglich sei, da die Behandlung der psychisch Kranken unabhängig von der sozialen Schicht unter das Gesetz zur kostenlosen medizinischen Versorgung falle. Die tradionelle Zahlung von Handgeld für bevorzugte Behandlung durch Chefärzte sei jedoch nach wie vor sehr weit verbreitet und üblich. Angesichts der für das Gericht nachvollziehbaren Angaben der Deutsch-Armenischen Gesellschaft und insbesondere von Frau Dr. Tessa Savvides in diesem Verfahren, dass die Ärzte und das übrige Personal nicht bereit seien, kostenlos zu arbeiten, da sie als Staatsangestellte monatelang kein Geld ausbezahlt bekämen, erscheint dies dem Gericht plausibel und nachvollziehbar. Vor diesem Hintergrund reicht die Auskunft des Auswärtigen Amtes, dass die Klägerin unter das Gesetz zur kostenlosen medizinischen Versorgung falle, nicht aus, um davon ausgehen zu können, dass sie in der Praxis tatsächlich kostenlose medizinische Versorgung erhalten wird.