OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Beschluss vom 18.01.2005 - 2 Q 1/05 - asyl.net: M6051
https://www.asyl.net/rsdb/M6051
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Berufungszulassungsantrag, Rechtliches Gehör, Prozessfähigkeit, Geisteskrankheit, Sachentscheidung
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3; GG Art. 103 Abs. 1; VwGO § 138 Nr. 3; VwGO § 62 Abs. 1 Nr. 2; BGB § 104
Auszüge:

Der Kläger reklamiert einen als Ausprägung des allgemeinen Justizgrundrechts des Art. 103 Abs. 1 GG in § 108 Abs. 2 VwGO und in § 138 Nr. 3 VwGO als absoluter Revisionsgrund normierten Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs durch das Verwaltungsgericht. Dieses sei aufgrund seines - des Klägers - Verhaltens in der mündlichen Verhandlung am 25.11.2004 und im erstinstanzlichen Verfahren eingereichter Unterlagen gehalten gewesen, eine Beweiserhebung zur Klärung seiner - nicht gegebenen - Prozessfähigkeit durchzuführen, habe statt dessen aber eine Entscheidung in der Sache getroffen und seine Klage abgewiesen. Dabei geht der Senat zunächst hinsichtlich der Zulässigkeit des Zulassungsantrags zugunsten des Klägers vom Vorliegen seiner Prozessfähigkeit und damit insgesamt der Sachentscheidungsvoraussetzungen hinsichtlich des Zulassungsbegehrens aus.

In der Sache rechtfertigen seine Darlegungen nicht die Annahme eines Gehörsverstoßes durch das Verwaltungsgericht im Sinne der vorerwähnten Vorschriften und damit die begehrte Rechtsmittelzulassung.

Zwar ist es grundsätzlich anerkannt, dass die Behandlung eines nach Maßgabe des § 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO und der insoweit in Bezug genommenen bürgerlichrechtlichen Bestimmungen über die Geschäftsfähigkeit (§ 104 BGB) wegen einer geistigen Erkrankung prozessunfähigen Beteiligten als prozessfähig nicht nur einen Verstoß gegen das Verbot gerichtlicher Sachentscheidung gegenüber in dem jeweiligen Verfahren gesetzlich nicht ausreichend vertretenen Personen (§ 138 Nr. 4 VwGO), sondern in bestimmten Fällen auch eine Verletzung des Gebots der Gewährung ausreichenden rechtlichen Gehörs vor Gericht zu begründen vermag. Ein Gehörsverstoß in diesem Sinne ist auch dann anzunehmen, wenn ein Verfahrensbeteiligter zwar - wie hier - vom Gericht gehört wird, er aber

zu einer eigenverantwortlichen Äußerung deshalb außerstande ist, weil er aufgrund seines Geisteszustands prozessunfähig ist. Die für die Annahme eines solchen Verfahrensverstoßes in der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen sind indes im Falle des Klägers nicht erfüllt.

Insoweit kann dahinstehen, ob diese Grundsätze uneingeschränkt gelten, wenn der betreffende Beteiligte - wie hier der Kläger - anwaltlich vertreten war. Auch wenn man dies im Hinblick auf die besondere Bedeutung des individuellen Sachvorbringens eines Asyl- oder Flüchtlingsbewerbers bezüglich seiner Fluchtgründe grundsätzlich bejaht, kann der vom Kläger als (einziger) Zulassungsgrund geltend gemachte Verfahrensverstoß im konkreten Fall nicht festgestellt werden.

Auch wenn nach Maßgabe der §§ 62 Abs. 4 VwGO, 56 Abs. 1 ZPO Mängel der Prozessfähigkeit von Amts wegen zu berücksichtigen sind und ernstzunehmende Zweifel aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte eine weitere Aufklärung gebieten können, gilt vielmehr auch für das verwaltungsprozessuale Verfahren, dass nach der Lebenserfahrung das Ausmaß der Geisteskrankheit erreichende gesundheitliche Störungen Ausnahmeerscheinungen sind, so dass die Gerichte zunächst im Allgemeinen von der Prozessfähigkeit eines Beteiligten auszugehen haben.

Vor dem Hintergrund rechtfertigen auch die in der Sitzungsniederschrift des Verwaltungsgerichts festgehaltenen Äußerungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 25.11.2004, es "gehe ihm schlecht" und er "fühle sich verwirrt" und in einem solchen Zustand füge er sich für gewöhnlich "Schnittverletzungen mit einem Messer an den Armen bei", nicht die Annahme einer zwingenden Verpflichtung des Verwaltungsgerichts, unter Zuhilfenahme medizinischer Sachverständiger eine Beweisaufnahme zur Prozessfähigkeit des Klägers durchzuführen. Die in einem Verhandlungstermin erkennbar zu Tage tretende schlechte psychische Verfassung eines Klägers zwingt nicht zur Annahme des Vorliegens eines völligen und dauerhaften Ausschlusses der freien Willensbestimmung im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB und damit der fehlenden Prozessfähigkeit.

Ausweislich der genannten Verhandlungsniederschrift hat das Verwaltungsgericht im Übrigen das Vorbringen des Klägers nicht einfach nur zur Kenntnis genommen, sondern durch Nachfrage weitere Informationen über die schon erwähnten, zur Gerichtsakte gereichten Bescheinigungen zu erlangen versucht, woraufhin der Kläger, befragt nach dem Grund der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe, erklärt hat; er könne "nachts nicht schlafen" und "schneide sich mit dem Messer", wenn ihm seine Frau berichte, dass die (türkische) Polizei nach ihm frage. Die Sitzungsniederschrift lässt im Übrigen gerade in dem Bereich erkennen, dass der Kläger offenbar sehr wohl in der Lage war, einerseits den Ausführungen des Gerichts zu folgen und an ihn gerichtete Sachfragen themenbezogen zu beantworten, und andererseits sein Bedürfnis nach ärztlicher Hilfe zu erkennen, ohne dass aus letzterem automatisch auf eine Prozessunfähigkeit geschlossen werden musste.

Musste sich aber vor dem Hintergrund dem Verwaltungsgericht der vom Kläger nun geforderte Erlass eines Beweisbeschlusses - statt einer Sachentscheidung -, das heißt letztlich die Einholung eines psychologischen beziehungsweise psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Prozessfähigkeit des Klägers nicht zwingend aufdrängen, so könnte seine diesbezüglich letztlich in der Sache erhobene Aufklärungsrüge vorliegend allenfalls durchgreifen, wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers die dabei in Rede stehenden subjektiven Tatsachen zumindest zum Gegenstand eines förmlichen Beweisantrags gemacht hätte. Ein solcher wurde indes unstreitig - ebenso wenig wie ein Verlegungs- oder ein Vertagungsantrag - nicht gestellt.