VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 04.01.2005 - 9 K 3241/04.A - asyl.net: M6062
https://www.asyl.net/rsdb/M6062
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Kosovo, Albaner, Asylanerkennung, Widerruf, Unverzüglichkeit, Fristen, Jahresfrist, Verpflichtungsurteil, Bindungswirkung, Objektive Nachfluchtgründe, Gruppenverfolgung, Situation bei Rückkehr, Versorgungslage, Sicherheitslage, Quasi-staatliche Verfolgung, Gebietsgewalt, UNMIK, KFOR-Truppen, Übergriffe, Schutzfähigkeit, Mittelbare Verfolgung, Verfolgung durch Dritte
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; VwGO § 121 Nr. 1; AsylVfG § 73 Abs. 2a S. 4; VwVfG § 48 Abs. 4 S. 1; VwVfG § 49 Abs. 2 S. 2
Auszüge:

Die Widerrufsentscheidung des Bundesamts ist rechtmäßig. Ermächtigungsgrundlage ist § 73 Abs. 1 Satz 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG).

Dass der im Tatbestand aufgeführte Anerkennungsbescheid des.Bundesamts auf einer rechtskräftig gewordenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung beruht, hindert nicht die Anwendbarkeit der vorerwähnten Ermächtigungsgrundlage. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass rechtskräftige Urteile die Beteiligten gemäß § 121 Nr. 1 VwGO binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Aufgrund dessen steht die Rechtskraft einer Entscheidung in Fällen fehlender

Sachlagenänderung nachträglichen Aufhebungsentscheidungen des Bundesamts entgegen. Indessen endet die Rechtskraftwirkung eines Urteils, wenn und soweit sich die für den Erlass des Urteils maßgebliche Sach- oder Rechtslage nachträglich in sogleich näher zu beschreibender Art und Weise verändert (so genannte zeitliche Grenze der Rechtskraft).

Ausgehend hiervon steht die Rechtskraft der getroffenen Aufhebungsentscheidung hier nicht entgegen. Es beruhte auf der Annahme eines objektiven Nachfluchtgrundes (Gruppenverfolgung). Die insoweit maßgebliche Sachlage im Zeitpunkt des Ergehens der Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) hat sich in der Folgezeit nachhaltig geändert. Denn die Bundesrepublik Jugoslawien sowie die Teilrepublik Serbien hatten mit dem ab Juni 1999 auf der Grundlage der Resolution 1244 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 erfolgten Aufbau einer internationalen Interimsverwaltung (UNMIKupd KFOR) und dem vollständigen Abzug der serbischen beziehungsweise jugoslawischen Armeetruppen, sonderpolizeilichen Einheiten und paramilitärischen Gruppen die effektive Gebietsgewalt für die Provinz Kosovo verloren (vgl. dazu Urteile der Kammer vom 26, Juni 2002 - 9 K 2931/99.A u. a. -; Auswärtiges Amt, ad-hoc-Bericht vom 4. September 2001 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Jugoslawien/Kosovo).

Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass zwischenzeitlich Serbien und Montenegro als Staat an die Stelle der Bundesrepublik Jugoslawien getreten ist.

Nach alledem endete die Rechtskraftwirkung des verwaltungsgerichtlichen Urteils mit der Folge, dass die Widerufsvorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG anwendbar ist.

Die Aufhebungsentscheidung erweist sich auch in der Sache als rechtmäßig.

Die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter sowie ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG liegen zum maßgeblichen Zeitpunkt der jetzigen gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz AsylVfG) nicht mehr vor. Insoweit müssen mit Rücksicht auf den humanitären Charakter des Asylgrundrechts sowie des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG allerdings die gleichen Grundsätze wie bei der Entscheidung über einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte gelten (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 1992 - 9 C 3.92 -, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Buchholz) 402.25, § 73 AsylVfG 1992 Nr. 1; OVG NRW, Beschluss vom 14. September 1998 - 23 A 2907/95.A -, sowie Urteil vom 27. Oktober 1995 - 23 A 411.1/94.A -). Ausgehend hiervon ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger heute und in absehbarer Zukunft in der Provinz Kosovo, die weiterhin Bestandteil Serbien und Montenegros (dem Heimatstaat des Klägers) ist, vor jeder - wie auch immer gearteten - staatlichen, aber auch quasi-staatlichen Verfolgung hinreichend sicher ist.

Darüber hinaus ist ethnischen Albanern aus Serbien und Montepegro eine Rückkehr in die Provinz Kosovo auch nicht im Hinblick auf erschwerte Lebensbedingungen oder aber Minen und Blindgänger unzumutbar.

Die vorstehende Bewertung stimmt im Übrigen mit der Spruchpraxis des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrein-Westfalen, vgl. den Beschluss vom 13. März 2001- 14A4479/94.A-, ihr folgend: Urteile der Kammer vom 24. Juni 2002 - 9 K 2159/99.A - und vom 20. Januar 2003 - 9 K 2086/00.A -, überein, nach der Anerkennungen ethnischer Albaner aus dem Kosovo im Regelfall zu widerrufen sind.

Ob das Bundesamt den Widerruf unverzüglich ausgesprochen hat, ist nicht entscheidungserheblich. Die Pflicht zum unverzüglichen Widerruf ist dem Bundesamt nicht im Interesse des einzelnen Ausländers als Adressaten des Widerrufsbescheides, sondern ausschließlich im öffentlichen Interesse an der alsbaldigen Beseitigung einerihin nicht (mehr) zustehenden Rechtsposition auferlegt. Vor diesem Hintergrund kommt eine Verletzung des Klägers in eigenen öffentlichen Rechten nicht in Betracht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 25. Mai 1999 - 9 B 288.99 - Juris -, vom 12. Februar 1998 - 9 B 654.97 - Juris und vom 27. Juni 1997 - 9 B 280.97 -, NVwZ-RR 1997, 741, 742; OVG NRW, Beschluss vom 13. Mai 1996 - 19 A 1770/96.A - Juris).

Gleiches gilt, soweit § 73 Abs. 2 a Satz 1 AsylVfG in der Fassung des Art. 3 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBI. I S. 1949) bestimmt, dass die Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf nach Absatz 1 oder eine Rücknahme nach Absatz 2 vorliegen, spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu erfolgen hat. Diese rechtssystematisch im Zusammenhang mit Einbürgerungsverfahren zu verstehende Vorschift (vgl. § 73 Abs; 2 a Satz 4 AsylVfG) ist ebenfalls allein im öffentlichen Interesse an der alsbaldigen einer dem Asylberechtigten nicht (mehr) zustehenden Rechtsposition erlassen worden. Auf diese Weise soll u.a. für Einbürgerungsverfahren rascher Klarheit über den asylrechtlichen Status des Betreffenden erlangt werden (vgl. zur beabsichtigten Beschleunigung die Amtliche Begründung zum Entwurf des ursprünglichen Zuwanderungsgesetzes (Stand: 3. November 2001), S. 237, www.fluechtlingsrat-nrw.de/1503).