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VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 17.01.2005 - 9 K 3489/04.A - asyl.net: M6104
https://www.asyl.net/rsdb/M6104
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Kosovo, Albaner, Gebietsgewalt, UNMIK, KFOR-Truppen, Quasi-staatliche Verfolgung, Mittelbare Verfolgung, Verfolgung durch Dritte, Gesetzesänderung, Verfolgungsbegriff, Traumatisierte Flüchtlinge, Geschlechtsspezifische Verfolgung, Vergewaltigung, Psychische Erkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung, Glaubwürdigkeit, fachärztliche Stellungnahmen, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Medizinische Versorgung, Märzunruhen
Normen: GG Art. 16a; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7; AufenthG § 60 Abs. 1 S. 4 Bst. c
Auszüge:

Zunächst liegen mangels politischer Verfolgung weder die Voraussetzungen für eine Anerkennung der Klägerin als Asylberechtigte noch diejenigen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG vor.

In Würdigung der vorerwähnten Erkenntnismittel ist davon auszugehen, dass albanische Gruppierungen - welcher Art sie auch immer sein mögen - weiterhin nicht in Teilen des Kosovo ein staatsähnliches Herrschaftsgefüge von gewisser Stabilität im Sinne einer "übergreifenden Friedensordnung" errichtet haben. Vielmehr werden diese Gruppierungen nach wie vor von der internationalen Verwaltung in den Aufbau einer multi-ethnischen Interimsverwaltung eingebunden. So gibt es beispielsweise Programme unter Führung der International Organization for Migration (IOM), die die Wiedereingliederung ehemaliger UCK-Angehöriger in das Zivilleben durch berufliche Bildungsprogramme, Arbeitsvermittlung, Existenzgründungskredite u. ä. vorsehen. Demgemäß übt allein die internationale Verwaltung derzeit die staatlichen Machtbefugnisse im Kosovo aus. Die ehemalige albanische Befreiungsarmee hat sich schließlich in mehrere politische Parteien und Bewegungen aufgespaltet, die sich ihrerseits um die Macht bewerben. Nicht zuletzt dieser Umstand verbietet die Annahme, dass eine organisierte politische und/oder militärische Machtstruktur auf albanischer Seite besteht (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Dezember 2001, a.a.O.; Urteil der Kammer, vom 23. Juni 2003, a.a.O.; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 26. Februar 2003 - 7 UE 847/0l.A - mit Nachweisen).

§ 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c) AufenthG, der zwischenzeitlich in Kraft getreten ist, verlangt keine abweichende Beurteilung. Nach dieser Vorschrift kann eine politische Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten Akteure - der Staat oder Parteien bzw. Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen - einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. Für einen fehlenden Willen der eingangs genannten internationalen Organisationen, Verfolgungsschutz zu bieten, gibt es bezüglich des Kosovo keinen Anhaltspunkt. Auf sich beruhen kann, ob im Übrigen für die Provinz Kosovo das Tatbestandsmerkmal "erwiesenermaßen" zu bejahen sein kann. Dass vorerwähnte Organisationen nicht in der Lage wären, den erforderlichen Schutz zu bieten, lässt sich zur Überzeugung der Kammer aus den aktuellen Erkenntnissen (vgl. neben der Presseberichterstattung insbesondere AA, Lagebericht vom 4. November 2004) nach Abschluss der so genannten März-Ereignisse des vergangenen Jahres nämlich ebenfalls nicht annehmen.

Die Angaben der Klägerin rechtfertigen keine abweichende Beurteilung. Ihr erstmals in der mündlichen Verhandlung erfolgter Vortrag zu einem Vergewaltigungsvorfall in der Zeit "nach dem 18. März 2004" stellt sich (auch unter Berücksichtigung seines Anklingens im ärztlichen Attest des Herrn Dr. med. H. Ul., vom 4. Januar 2005) als gesteigert und - trotz mehrfacher Nachfragen - vage dar.

Bei dieser Sachlage fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten insbesondere für ein Eingreifen des § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c) AufenthG.

Die Klage hat auch nicht mit dem hilfsweise geltend gemachten Begehren Erfolg, die Beklagte zu verpflichten, für die Klägerin ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen. Abschiebungshindernisse im Sinne dieser Vorschrift liegen für Bewohner des Kosovo grundsätzlich nicht vor. Die geltend gemachten psychischen Erkrankungen der Klägerin führen nicht auf ein krankheitsbedingtes, zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG). Nach dieser Vorschrift kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

Daran gemessen liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf die geltend gemachte psychische Erkrankung der Klägerin nicht vor. Der im ärztlichen Attest des Herrn Dr. med. H. Ul., vom 4. Januar 2005 enthaltene Hinweis auf suizidale Handlungen für den Fall, dass die Klägerin in den Kosovo zurück kehren müsse, deutet zunächst auf ein Vorliegen etwaiger - hier unbeachtlicher - Auswirkungen, die sich allein durch die (eventuelle) Abschiebung bzw. als deren Folge - im Gegensatz zu den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat der Abschiebung - ergeben (vgl. zur Abgrenzung BVerwG, Urteil vom 15. Oktober 1999 - 9 C 7.99 -, a. a. O.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 7. Mai 2001 - 11 S 389/01 -, Ausländer- und Asylrecht 2001, 174 f.).

Klarstellend ist darüber hinaus anzumerken, dass das Gericht der Tatsache, dass die die Klägerin behandelnden Ärzte durchgehend das von ihr behauptete Geschehen offenbar ungeprüft ihren Bescheinigungen zu Grunde gelegt haben, keine Bedeutung beimisst. Des Weiteren kommt bei der getroffenen Entscheidung nicht zuletzt dem etwaigen - möglicherweise im Gegensatz zur regelmäßig anzunehmenden Objektivität eines Gutachters stehenden - Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt keine Bedeutung zu.

Im Übrigen genügen die vorgelegten (fach)ärztlichen Atteste nicht den an sie zu stellenden Anforderungen. In Fällen der in Rede stehenden Art ist nach der Rechtsprechung der Kammer von einschlägigen Bescheinigungen zu verlangen, dass sie die angewandte Diagnosemethode angeben. Zudem müssen sie auf der Durchführung diagnostischer Interviews beruhen, eine traumabezogene Anamnese und eine Quantifizierung der Symptome enthalten. Darüber hinaus sind Angaben dazu erforderlich, durch welche Erlebnisse namentlich eine posttraumatische Belastungsstörung ausgelöst wurde, wann sie erstmals auftrat und warum gerade zu diesem Zeitpunkt. Darüber hinaus müssen derartige Bescheinigungen eine Prognose des Behandlers beinhalten, wie und wann sich der Zustand des Betroffenen bei einer Rückkehr in sein Heimatland verschlechtern wird. Dazu gehört insbesondere, ob sich bei einem Abbruch der Behandlung binnen kurzer Frist eine erhebliche Leib- oder Lebensgefahr ergeben würde. Dargestellt werden muss ferner ein konkreter Therapieplan, der auch den zeitlichen Rahmen, auf den die Behandlung angelegt ist, angibt (vgl. Urteil der Kammer vom 10. Mai 2004 - 9 K 2449/01.A - mit Hinweis auf Middeke, Posttraumatisierte Flüchtlinge im Asyl- und Abschiebungsprozess, Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl.) 2004,150, 153 m.w.N.; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 9. Dezember 2003 - 8 A 5501/00.A -, juris).

Diese Anforderungen erfüllen beide eingereichten Atteste im Ansatz nicht.

Ungeachtet dessen besteht nach den aktuellen Erkenntnissen der Kammer bezüglich psychischer Erkrankungen der von der Klägerin geltend gemachten Art (reaktive Depression, posttraumatische Belastungsstörung mit überwiegend depressiver Symptomatik) kein Anhalt dafür, dass diese mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Kosovo nicht - wie im fachärztlichen Attest der Gemeinschaftspraxis Dr. med. Q. u.a., Ul., vom 5. Januar 2005 als erforderlich beschrieben - (ambulant und zum Teil sogar kostenfrei) medikamentös behandelt werden können (vgl. Verbindungsbüro, Auskünfte vom 25. und 26. Februar 2004; Verbindungsbüro, Auskünfte vom 5. und 21. April 2004; AA, Lagebericht vom 4. November 2004, S. 18).