Posttraumatische Belastungsstörung und schwere depressive Episoden sind im Kosovo behandelbar; eine wesentliche Verschlimmerung der Krankheit im Sinne existenzieller Gesundheitsgefahren sind nicht ernstlich zu befürchten. (Leitsatz der Redaktion)
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Widerruf/Rücknahme des früheren Bescheids des Bundesamts zum Abschiebungsschutz aus § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG und auf einen diesbezüglichen zu erkennenden Zweitbescheid nach §§ 51 Abs. 5, 48/49 VwVfG.
Ein dahingehende Ermessensentscheidung setzt voraus, dass die aktuelle Sach- und Rechtslage überhaupt ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG begründet. Liegt eine solche Situation nicht vor, ist für Ermessenserwägungen der Behörde für oder gegen eine/n Rücknahme/Widerruf kein Raum. Hier hat das Bundesamt das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses aus § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht nur unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen politischen Lage im Kosovo, sondern auch, was hier im Mittelpunkt steht, unter Berücksichtigung der der Klägerin attestierten psychischen Krankheit und der Gesundheitsversorgungslage im Kosovo verneint. Das ist nicht zu beanstanden.
Der Senat geht davon aus, dass die Klägerin an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (ICD- 10: F43.1) und an einer schweren depressiven Episode (ICD-10: F32.2) leidet. Zu einem dahingehenden Ergebnis gelangt das vom Verwaltungsgericht eingeholte Gutachten der (...)
Bei Rückkehr der Klägerin in den Kosovo ist eine wesentliche Verschlimmerung ihrer Krankheit im Sinne existentieller Gesundheitsgefahren aus Sicht eines vernünftigen und besonnenen Menschen nicht ernstlich zu befürchten und damit nicht überwiegend wahrscheinlich. Die Erkrankung ist in Würdigung aller im vorliegenden Verfahren ausgewerteten Erkenntnisquellen und des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG innewohnenden Zumutbarkeitsgesichtspunkts (§ 108 Abs. 1 VwGO) im Kosovo generell jedenfalls soweit behandelbar, dass sie zumindest auf dem gegebenen Niveau gehalten werden kann und damit ihre Verschlimmerung und erst recht eine solche bis hin zu existentiellen Gefahren verhindert werden kann. Die Erkrankung der Klägerin weist keine Besonderheiten auf, die insoweit eine abweichende Würdigung rechtfertigt.
Nach den dem Senat vorliegenden umfangreichen Erkenntnisquellen über die allgemeine Lage und die Gesundheitsversorgungslage im Kosovo - Auskünfte des Auswärtigen Amts, des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo, des UNHCR, von Menschenrechtsorganisationen, sonstigen öffentlichen und privaten Stellen und Beobachtern vor Ort, Berichten in den Medien usw. - von denen der Übersichtlichkeit wegen nur der wesentliche Teil in das vorliegende Verfahren eingeführt ist, war die allgemeine Gesundheitsversorgung im Kosovo - isoliert betrachtet ohne Rest-Serbien und Montenegro - nach den kriegerischen Auseinandersetzungen des Jahres 1999 stark beeinträchtigt; sie hat sich nur schleppend erholt und den Stand früherer Jahre wohl auch noch nicht wieder erreicht.
Aus all diesen Ereknntnisquellen ergibt sich für den Senat ein Bild, wonach die schon vor der kriegerischen Auseinandersetzung geschwächte allgemeine Gesundheitsversorgung im Kosovo zwar in jüngerer Zeit gezielt verstärkt worden ist, aber noch längst nicht zufrieden stellen kann und nicht annähernd den Standard der deutschen Gesundheitsversorgung erreicht hat, eine psychische Erkrankung, insbesondere PTBS und schwere Depression, in stark belasteten Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens medikamentös bei wirkkontrollehalber begleitend durchgeführten supportiven Gesprächen duch psychotherapeutisch nur eingeschränkt befähigtes Personal behandelt und eine psychotherapeutische Behandlung durch qualifizierte Fachärzte nur in den ebenfalls stark frequentierten NRO durchgeführt werden kann. Soweit insbesondere die Fachärztin Dr. T1.-N1. und die Schweizerische Flüchtlingshilfe eine unzureichende Psychotherapie bemängeln, geschieht dies erkennbar unter dem Blickwinkel einer heilenden oder lindernden Behandlung schwer psychischer Erkrankungen wie PTBS oder schwere Depression nach - allerdings nicht maßgebenden - deutschen oder westeuropäischen Standards. Das ergibt sich aus den Ausführungen der Fachärztin Dr. T1. -N1. vom 29. Juli 2003, wonach alle internationalen Studien zeigten, dass eine medikamentöse Behandlung nur mit zusätzlicher. Psychotherapie langfristig "erfolgreich" sei. Eine medikamentöse Behandlung könne nur helfen, die Symptome zu reduzieren. Supportive Gespräche helfen nach Ihrer Stellungnahme vom 14. Juni 2004 sehr wohl. Auch spricht die Schweizerische Flüchtlingshilfe in ihrem Update vom 24. Mai 2004 mit Blick auf die geschilderte medikamentöse Behandlung psychischer Erkrankungen von nicht geeigneten Strukturen für die "Rehabilitation" von chronischen Psychiatrie-Patienten; der Einsatz von Medikamenten könne hilfreich sein, ersetze aber ein Psychotherapie nicht. Auch diejenigen Erkenntnisquellen, die die Behandlungsmöglichkeiten für schwere psychische Erkrankungen wie PTBS und schwere Depression im Kosovo für unzureichend halten, stellen somit eine grundsätzliche Behandlungsmöglichkeit, und zwar eine medikamentöse und kontrollehalber begleitende, supportive gesprächstherapeutische Behandlung nicht in Abrede, messen ihr aber langfristig die erhoffte heilende oder die Symptome unterdrückende Wirkung nicht zu. Das bedeutet, dass auch in diesen kritischen Stellungnahmen zur medizinischen Versorgungslage im Kosovo eine Verschlimmerung einer vorliegenden PTBS oder schweren Depression im Sinne einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben bei Behandlung nach den im Kosovo gegebenen Möglichkeiten nicht definitiv behauptet wird. Das Deutsche Verbindungsbüro Kosovo hat insbesondere in den jüngeren Auskünften mehrfach betont, dass namhafte albanische Ärzte die Auffassung vertreten, dass supportive Gespräche trotz fehlender psychotherapeutischer Medikamentation in sicherer Umgebung therapeutisch wirksam seien. Das bedeutet nichts anderes, als dass die regelmäßig zu erwartende medikamentöse Behanülung mit begleitender Gesprächstherapie jedenfalls zur Vermeidung einer Verschlimmerung des - aktuellen
Krankheits- bzw.. Gesundheitszustands, geeignet ist und keine überwiegend wahrscheinliche Gefahr einer Verschlimmerung der Krankheit und erst recht nicht einer Verschlimmerung mit oben beschriebenem Gewicht begründet. Dies gilt erst recht für eine schwere depressive Störung, die im Prinzip - antidepressiv - medikamentös mit begleitender, stützender Psychotherapie - auch in ambulanter Form - behandelt wird. (vgl. hierzu Florange, Gutachten vom 2. Mai 2004 an VG Düsseldorf).
Diese Einschätzung wird bestärkt, wenn nicht sogar in Richtung einer gewissen Heilungsaussicht erweitert, durch die in den vorliegenden Erkenntnisquellen geschilderte Behandlungstätigkeit der im Kosovo tätigen Nicht- Regierungsorganisationen, die auch PTBS und schwere Depression und diese im Wege der qualifizierten Gesprächstherapie behandeln, sowie der freiberuflich niedergelassenen Psychotherapeuten.
Für den evtl. gegen seinen Willen in sein Heimatland zurückgeführten an PTBS und/oder schwerer Depression leidenden Ausländer ist ein Dasein im Heimatland mit den möglicherweise auf ihn zukommenden körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen bei den - wie hier - im Heimatland gegebenen Behandlungsmöglichkeiten, aus Sicht des Senats nicht unzumutbar. Der Senat verkennt nicht die Symptome einer PTBS - mit denen sich diejenigen einer schweren Depression zum großen Teil überschneiden - und ihre Wirkung für den Betroffenen, die sich im allgemeinen wie folgt beschreiben lassen: Unruhe, Konzentrations- und Schlafstörungen, Anspannung,
Überempfindlichkeit, Übelkeit, Schreckenserinnerungen, gefühlsmäßiges Wiedererleben des traumatisierenden Ereignisses, Gefahrenvisionen, Angst, Verzweifelung, Hilflosigkeit, emotionale Stumpfheit, Todesgedanken. Diese Symptome sind jedoch regelmäßig durch medikamentöse Behandlung im Zusammenwirken mit begleitender kontrollierender, supportiver Gesprächstherapie auf ein tragfähiges Maß reduzierbar und beherrschbar. Die Auskünfte des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo verweisen auf eine Vielzahl von Basismedikamenten zur Behandlung psychischer Erkrankungen. Dise sind gegen eine geringfügige Zuzahlung regelmäßig erhältlich oder aus dem Ausland in angemessener Zeit beziehbar. Die Behandlung im öffentlichen Gesundheitswesen des Kosovo, zu dem im weitesten Sinne auch die NRO zählen, ist kostenfrei. Bei diesen Gegebenheiten kann der ausreisepflichtige Ausländer sich auf die Interimszeit bis zur Behandlungsaufnahme im Kosovo einstellen und/oder von seinem Therapeuten in Deutschland medikamentös und mental vorbereitet werden.
Im vorliegenden Rechtsstreit der Klägerin ist gegenüber den vorstehenden Ausführungen keine abweichende Würdigung geboten. Ihr ist wie allen übrigen im Kosovo verbliebenen und zurückkehrenden Landsleuten der Zugang zu den dortigen Möglichkeiten der Behandlung einer Posttraumatischen Belastungsstörung und schweren Depressionen zugänglich.