Zum Abschiebungsschutz gem. § 60 Abs. 7 AufenthG wegen psychischer Erkrankung; Posttraumatische Belastungsstörung im Kosovo ausreichend behandelbar.(Leitsatz der Redaktion)
Das Verwaltungsgericht hat der Verpflichtungsklage der Klägerin auf Zuerkennung von Abchiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu Unrecht stattgegeben.
Die Anwendung dieser Vorschrift ist in Fällen der vorliegenden Problematik - auch wenn psychische Erkrankungen von ausreisepflichtigen Ausländern umgekehrt proportional zur Lageverbesserung im Kosovo zahlenmäßig ansteigend gleichsam zu einem "Massenphänomen" angewachsen sind und heute die weitaus größte Zahl der Asylstreitigkeiten des Senats ausmachen - nicht durch §§ 53 Abs. 6 Satz 2, 54 AuslG gesperrt. Denn die hier geltend gemachte Gefahr einer Gesundheitsverschlimmerung im Heimatland ist nach der Rechtsprechung des Senats von individueller Art, die unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Erkrankung des Ausländers, den ihn im Heimatland erwartenden Gegebenheiten und Zumutbarkeitserwägungen mit Individualbezug zu beurteilen ist. Die Unterschiedlichkeit dieser Beurteilungskriterien bei den betreffenden ausreisepflichtigen Ausländern ist so groß und der Individualbezug so stark, dass allein die Gefahr der Verschlimmerung einer Krankheit - auch einer psychischen - als maßgebliches Abgrenzungskriterium einer Zahl von in etwa in vergleichbarer Situation befindlicher Menschen von einer anderen Zahl von Menschen nicht ausreicht.
Nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche, konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Der Begriff der "Gefahr " im Sinne dieser Vorschrift ist im Grundsatz kein anderer als der im asylrechtlichen Prognosemaßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" angelegte, wobei allerdings das Element der "Konkretheit" der Gefahr für "diesen" Ausländer das, zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefahrensituation statuiert (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324/330).
Für eine beachtliche Wahrscheinlichkeit reicht es nicht aus, wenn eine Verfolgung oder sonstige Rechtsgutverletzung im Bereich des Möglichen liegt; vielmehr muss eine solche mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Das ist anzunehmen, wenn die für die Rechtsgutverletzung sprechenden Umstände größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen und deshalb ihnen gegenüber überwiegen (vgl. BVerwG, Urteile vom 1. Oktober 1985 - 9 C 20.85 -, DVBI. 1986, 102, vom 15. März 1988 - 9 C 278.86 -, NVwZ 1988, 838, vom 2. November 1995- 9 B710.94 -; BVerfG, Beschluss vom 5. März 1990 - 2 BvR 938/89 u. 1467/89 - InfAuslR 1990, 165, wonach gleichermaßen wahrscheinlich wie unwahrscheinlich keine beachtliche Wahrscheinlichkeit begründet.
Erheblich ist eine Gefahr, wenn der Umfang der Gefahrenrealisierung von bedeutendem Gewicht ist. Das ist der Fall, wenn sich durch die Rückkehr der unter dem Gesichtspunkt der Leibes- und Lebensgefahr hier allein in Betracht kommende Gesundheitszustand des Betroffenen wegen geltend gemachter unzureichender medizinischer Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat der Abschiebung in einem angemessenen Prognosezeitraum wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 25. November 1997- 9 C 58.96 -, BVerwGE 115, 338, Abschiebungsschutz wegen unzureichender medizinischer Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 17. September 2004 - 13 A 3598/04.A -) ist eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands auch nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustands anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen, kurz existentiellen Gesundheitsgefahren.
Konkret ist eine Verschlimmerung einer Erkrankung, wenn sie alsbald nach Rückführung des Betroffenen im Zielland zu erwarten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1997- 9C58.96 -, a. a. O.).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund besteht für den Senat im gem. § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt nich die überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klägerin bei Rückkehr in ihre Heimat Kosovo eine wesentliche Gesundheitsverschlechterung im Sinne einer existentiellen Gesundheitsgefahr zu befürchten hat.
Der Senat geht davon aus, dass die Klägerin mit großer Wahrscheinlichkeit an einer PTBS mit überwiegend depressiven Symptomen und Somatisierungstendenzen und einem traumatischen Kopfschmerzsyndrom leidet. Zu einem dahingehenden Ergebnis gelangt das vom Verwaltungsgericht eingeholte Gutachten des Arztes für Psychiatrie und für Neurologie, Forensische Psychiatrie, Dr. N. vom 15. Juli 2003. Das Gutachten lässt Widersprüche, Begründungsmängel oder Unklarheiten, die seinen Aussagewert mindern könnten, nicht erkennen. Soweit in ihm nicht das völlig neue Vorbringen der Klägerin - sie seien in einen Keller eingesperrt gewesen, Menschen im Eingangsbereich seien wahllos erschossen worden, aus dem
Flüchtlingsstrom aussortierte Männer mit muslimischem Namen seien erschossen worden - aufgegriffen und dessen Wahrhaftigkeit hinterfragt worden ist, sieht das der Senat nicht als einen entscheidenden Mangel des Gutachtens an, weil er davon ausgeht, dass die Klägerin in der kurzen Anhörungszeit vor dem Bundesamt nicht die kompletten Fluchtereignisse hat schildern können.
Aber auch bei angenommener psychischer Erkrankung der Klägerin der bezeichneten Art liegen in ihrem Fall die oben dargelegten Vorausetzungen für die Zuerkennung eines krankheitsbedingten Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht vor.
Bei Rückkehr der Klägerin in den Kosovo ist eine wesentliche Verschlimmerung ihrer Erkrankung im Sinne existentieller Gesundheitsgefahren aus Sicht eines vernünftigen und besonnenen Menschen nicht ernstlich zu befürchten und damit nicht überwiegend wahrscheinlich.
Die Erkrankung ist nämlich in Würdigung aller im vorliegenden Verfahren ausgewerteten Erkenntnisquellen und des § 53 Abs. 6 Satz. 1 AuslG innewohnenden Zumutbarkeitsgesichtspunkts (§ 108 Abs. 1 VwGO) im Kosovo generell jedenfalls soweit behandelbar, dass sie zumindest auf dem gegebenen Niveau gehalten werden kann und damit ihre Verschlimmerung und erst recht eine solche bis hin zu existentiellen Gefahren verhindert werden kann. Die Erkrankung der Klägerin weist keine Besonderheiten auf, die insoweit eine abweichende Würdigung rechtfertigen.
Nach den dem Senat vorliegenden umfangreichen Erkenntnisquellen über die allgemeine Lage und die Gesundheitsversorgungslage im Kosovo - Auskünfte des Auswärtigen Amts, des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo, des UNHCR, von Menschenrechtsorganisationen, sonstigen öffentlichen und privaten Stellen und Beobachtern vor Ort, Berichterstattungen in den Medien usw. -, von denen der Übersichtlichkeit wegen nur der wesentliche Teil in das vorliegende Verfahren eingeführt ist, war die allgemeine Gesundheitsversorgung im Kosovo - isoliert betrachtet ohne Rest-Serbien und Montenegro - nach den kriegerischen Auseinandersetzungen des Jahres 1999 stark beeinträchtigt; sie hat sich nur schleppend erholt und den Stand früherer Jahre wohl auch noch nicht wieder erreicht....
Aus all diesen Erkenntnisquellen ergibt sich für den Senat ein Bild, wonach die schon vor der kriegerischen Auseinandersetzung geschwächte allgemeine Gesundheitsversorgung im Kosovo zwar in jüngerer Zeit gezielt verstärkt worden ist, aber noch längst nicht zufrieden stellen kann und nicht annähernd den Standard der deutschen Gesundheitsversorgung erreicht hat, eine psychische Erkrankung - insbesondere PTBS und schwere Depression, in stark belasteten Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens medikamentös bei wirkkontrollehalber begleitend durchgeführten supportiven Gesprächen durch psychotherapeutisch nur eingeschränkt befähigtes Personal behandelt und eine psychotherapeutische Behandlung durch qualifizierte Fachärzte nur in den ebenfalls stark frequentierten NRO durchgeführt werden kann. Soweit insbesondere die Fachärztin Dr. T.- N1. und die Schweizer Flüchtlingshilfe eine unzureichende Psychotherapie bemängeln, geschieht dies erkennbar unter dem Blickwinkel einer heilenden oder lindernden Behandlung schwer psychischer Erkrankungen wie PTBS oder schwere Depression nach - hier allerdings nicht maßgebenden - deutschen oder westeuropäischen Standards. Das ergibt sich aus den Ausführungen der Fachärztin Dr. T.-N1. vom 29. Juli 2003, wonach alle internationalen Studien zeigten, dass eine medikameniöse Behandlung nur mit zusätzlicher Psychotherapie langfristig "erfolgreich" sei; medikamentöse Behandlung könne nur helfen, die Symptome zu reduzieren. Supportive Gespräche helfen nach ihrer Stellungnahme vom 14. Juni 2004 sehr wohl. Auch spricht die Schweizer Flüchtlingshilfe in ihrem Update vom 24. Mai 2004 mit Blick auf die geschilderte medikamentöse Beihandlung psychischer Erkrankungen von nicht geeigneten Strukturen für die "Rehabilitation " von chronischen Psychiatrie-Patienten; der Einsatz von Medikamenten könne hilfreich sein, ersetze aber eine Psychotherapie nicht. Auch diejenigen Erkenntnisquellen, die die Behandlungsmöglichkeiten für schwere psychische Erkrankungen wie PTBS und schwere Depression im Kosovo für unzureichend halten, stellen somit eine grundsätzliche Behandlungsmöglichkeit, und zwar eine medikamentöse und kontrollehalber begleitende, supportive gesprächstherapeutische Behandlung nicht in Abrede, messen ihr aber langfristig die erhoffte heilende oder die Symptome unterdrückende Wirkung nicht zu. Das bedeutet, dass auch in diesen kritischen Stellungnahmen zur medizinischen Versorgungslage im Kosovo eine Verschlimmerung einer vorliegenden PTBS oder schweren Depression im Sinne einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben - bei Behandlung nach den im Kosovo gegebenen Möglichkeiten - nicht definitiv behauptet wird. Das Deutsche Verbindungsbüro Kosovo hat insbesondere in den jüngeren Auskünften mehrfach betont, dass namhafte albanische Ärzte die Auffassung vertreten, dass supportive Gespräche trotz fehlender psychotherapeutischer Medikamentation in sicherer Umgebung therapeutisch wirksam seien. Das bedeutet nichts anderes, als dass die regelmäßig zu erwartende medikamentöse Behandlung mit begleitender Gesprächstherapie jedenfalls zur Vermeidung einer Verschlimmerung des aktuellen Krankheits- bzw. Gesundheitszustands geeignet ist und keine überwiegend wahrscheinliche Gefahr eine Verschlimmerung der Krankheit und erst recht nicht einer Verschlimmerung mit oben beschriebenem Gewicht begründet. Dies gilt erst recht für eine schwere depressive Störung, die im Prinzip - antidepressiv - medikamentös mit begleitender, stützender Psychotherapie - auch in ambulanter Form - behandelt wird (vgl. hierzu Florange, Gutachten vom 2. Mai 2004 an VG Düsseldorf).
Soweit vom ausreisepflichtigen traumatisierten Ausländer vorgebracht wird, eine Rückkehr an den Ort einer Traumatisierung sei unzumutbar und führe zu einer Retraumatisierung oder Verschlimmerung der Traumafolgen, führt das ebenfalls nicht zur Annahme überwiegend wahrscheinlicher Leibes- und Lebensgefahren von der beschriebenen Schwere. Auch insoweit ist es ihm zumutbar, seinen Lebensmittelpunkt an einem Ort, wo diese Folgen nicht drohen, zu begründen. Dem kann nicht entgegengehalten werden, jeder Ort des Heimatlandes sei insoweit ungeeignet und löse bei dem Rückkehrer die gleichen Folgen aus. Die Lebenserfahrung spricht eindeutig gegen eine solche von der Klägerseite auch durch nichts substantiierte Behauptung. Sie hätte zur Konsequenz, dass jeder traumatisierte Mensch nur außerhalb seines Heimatlandes erfolgreich therapiert werden könnte. Dass solches unzutreffend ist, beweist die Tatsache, dass viele öffentliche Einrichtungen und NRO im Kosovo psychotherapeutisch tätig sind und ihnen keinesfalls von vornherein ein Misserfolg zugesprochen werden kann. Im Übrigen leuchtet nicht ein, weshalb einem traumatisierten Ausländer nicht zugemutet werden dürfe, das Schicksal seiner in der Heimat verbliebenen ebenfalls traumatisierten Landsleute zu teilen und die Symptome und Folgen einer Traumatisierung im Heimatland zu überwinden.
Für den evtl. gegen seinen Willen in sein Heimatland zurückgeführten an PTBS und/oder schwerer Depression leidenden Ausländer ist ein Dasein im Heimatland mit den möglicherweise auf ihn zukommenden körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen bei den - wie hier - im Heimatland gegebenen Behandlungsmöglichkeiten aus Sicht des Senats nicht unzumutbar.
Im vorliegenden Rechtsstreit der Klägerin ist keine gegenüber den vorstehenden Ausführungen abweichende Würdigung geboten. Ihr ist wie allen übrigen im Kosovo verbliebenen und zurückkehrenden Landsleuten der Zugang zu den dortigen Möglichkeiten der Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung und schweren Depression zugänglich. Als ihren letzten Wohnsitz hat sie Q. angegeben. Q. ist eine der größeren Städte im Kosovo, in der die medikamentöse Versorgung nicht oder jedenfalls nicht dauerhaft problematisch ist und auch Gesprächstherapie beispielsweise im CMHC angeboten wird. Das bei der Klägerin eingesetzte Präparat Amitriptylin ist im Kosovo verfügbar (vgl. Bundesamt vom 29. Oktober 2002 an VG Wiesbaden).
Soweit die Klägerin Gesprächstherapie durch frei praktizierende Psychotherapeuten in Anspruch nehmen will, ist ihr das bei der notwendigen Unterstützung durch den im Kosovo üblichen Familienverband in Q1. ebenfalls möglich. Dass für sie eine Behandlung wegen der Kosten nicht erreichbar sei, überzeugt nicht. Die Behandlung im CMHC ist kostenfrei und die Mitglieder des Familienverbands haben alle Möglichkeiten der Einkommensverschaffung wahrzunehmen, wenn sie nicht die kosovarisch-administrative Sozialhilfe in Anspruch nimmt. Im Übrigen kann die Klägerin auch in Deutschland eine kostenfreie Behandlung auf Dauer nicht erwarten.