OVG Bremen

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Zitieren als:
OVG Bremen, Urteil vom 08.12.2004 - 2 A 477/03.A - asyl.net: M6148
https://www.asyl.net/rsdb/M6148
Leitsatz:

Kein Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG für Iraner wegen unerlaubten Geschlechtsverkehrs mit einer verheirateten Frau. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Iran, Außerehelicher Geschlechtsverkehr, Latente Gefährdungslage, Glaubwürdigkeit, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Antragstellung als Asylgrund, Exilpolitische Betätigung, HBID, Funktionäre, Vorstandsmitglieder, Demonstrationen, Flugblätter, Büchertisch, Publikationen, Gesamtschau, Überwachung im Aufnahmeland, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Todesstrafe, Hadd-Strafen, Tazir-Gesetz, Auspeitschung, Strafpraxis, Geldstrafe
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 1
Auszüge:

Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG liegen nicht vor. Auch Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1 AuslG sind nicht gegeben.

Ein Vorfluchtgeschehen, das die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG wegen politischer Verfolgung im Heimatland rechtfertigen könnte, hat der Kläger nicht dargelegt. Soweit er vor dem Bundesamt und dem Verwaltungsgericht geltend gemacht hat, er habe sich wegen unerlaubten Geschlechtsverkehrs mit einer verheirateten Frau im Iran in einer latenten Gefährdungslage befunden, ist zu sagen, dass daraus schon deshalb kein Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG hergeleitet werden kann, weil eine solche Gefährdung keine politische Verfolgung wäre.

Dem Kläger steht auch nicht Abschiebungsschutz wegen seiner politischen Nachfluchtaktivitäten zu.

Zur Beachtlichkeit von Nachfluchtaktivitäten gegen das iranische Regime ist zunächst festzuhalten, dass weder die Asylantragstellung noch der mehrjährige Auslandsaufenthalt eine asylrelevante Verfolgungsgefahr begründen.

Aus den Nachfluchtaktivitäten des Klägers ergibt sich ebenfalls keine beachtliche Verfolgungsgefahr.

Der Senat hat im Urteil vom 01.12.1999 (Az. 2 A 508/98.A) für Unterstützer der Volksmudjaheddin (VM) entschieden, dass sie im Falle einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (jedenfalls) dann gefährdet sind, wenn sie nicht lediglich als bloße Mitläufer bei Veranstaltungen dieser Oppositionsgruppe in Erscheinung getreten sind, sondern durch ihr Engagement und die von ihnen entfalteten Aktivitäten für die Volksmudjaheddin aus der Masse oppositioneller Iraner herausgetreten sind, sie sich insoweit also exponiert haben.

Das entspricht der obergerichtlichen Rechtsprechung, wonach eine beachtliche Verfolgungsgefahr bei Rückkehr in den Iran für solche Personen gegeben ist, die sich durch ihre Exilaktivitäten exponiert haben und als ernsthafte und gefährliche Regimegegner erscheinen (vgl. dazu OVG Schleswig-Holstein, U. v. 23.05.2003 - 3 LB 9/03 - m.w.N.; OVG Saarland, U. v. 23.10.2002 - 9 R 3/00 -; OVG Münster, B. v. 16.04.1999 - 9 A 5338/98.A -; OVG Lüneburg, U. v. 25.09.2001 - 5 L 4377/00 -; VGH München, B. v. 11.09.2003 - 14 ZB 03.30986 -; Bundesamt, Iran, 14. Asylverfahren, April 2004, S. 24).

Bei Anlegung des erwähnten Maßstabes kann nicht festgestellt werden, dass dem Kläger wegen seiner Aktivitäten für die HBID im Iran politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.

Die vorgetragenen Aktivitäten können weder einzeln betrachtet noch in einer Gesamtschau als "herausgehoben" angesehen werden. Bei der ausführlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger den Senat nicht davon überzeugen können, dass er wegen herausgehobener Aktivitäten als ernsthafter und gefährlicher Gegner des iranischen Staates erscheinen könnte. Der Senat hat vielmehr auch aufgrund des Eindrucks aus der mündlichen Verhandlung die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger zum Kreis derjenigen gehört, die im Exil in nicht exponierter Weise ihren Unmut gegen das iranische Regime zum Ausdruck bringen und denen jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran politische Verfolgung droht.

Zur Organisation der HBID hat der Senat in der mündlichen Verhandlung den Vorsitzenden dieser Vereinigung, Herrn X, angehört. Herr X hat u. a. erklärt, HBID sei Ende 1999 in Bad Oldesloe gegründet worden. Die Zentrale sei in Bremen. Der Vereinigung gehörten im Bundesgebiet ca. 160 Mitglieder an; in Bremen habe sie 52 Mitglieder.

Der Vorstand werde sowohl auf Bundes- als auch auf Ortsebene jährlich neu gewählt. Ziel der Organisation sei es, die verschiedenen exilpolitischen Gruppierungen einander näher zu bringen.

Es würden Seminare, Konferenzen und freie Diskussionsveranstaltungen durchgeführt, zu denen namhafte iranische Exiloppositionelle oder andere im Exil lebende iranische Persönlichkeiten eingeladen würden. Die Zeitung der Organisation mit Namen (...) habe eine Auflage von 100 bis 200 Exemplaren, je nach finanzieller Lage.

Bei Berücksichtigung der Aussage des Herrn X und der eingeholten Auskünfte sowie der sonstigen Erkenntnisquellen ergibt sich für den Senat, dass es sich bei der HBID um eine Gruppe von Exiliranern handelt, der keine ins Gewicht fallende überregionale Bedeutung zukommt. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass HBID auf Bundesebene ca.160 Mitglieder hat, wäre eine solche Anzahl - für eine Organisation mit überregionalem Anspruch - gering. Der Unterbau der Organisation ist schwach entwickelt. Auch inhaltlich ist das "Programm" der HBID dürftig. Zu den Zielen der Organisation hat der Vorsitzende erklärt, es gehe darum, die verschiedenen exilpolitischen Gruppierungen einander näher zu bringen; deswegen würden die Einladungen an die verschiedenen Persönlichkeiten ausgesprochen. Ein über diese allgemeine Angabe hinausgehender, vertiefter Ansatz war nicht zu erkennen und ergibt sich auch nicht aus den Akten.

Das DOI (kommt nach Auswertung der Selbstdarstellung der HBID - insbesondere im Internet - zu der Schlussfolgerung, dass das wenige, was man inhaltlich erfahre, nicht geeignet sei, irgendeine Kontur inhaltlich-programmatischer Art zu zeigen, mit Ausnahme der Gegnerschaft zum Regime, der Darstellung enttäuschter Erwartungen und der Forderung nach Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Menschlichkeit (Stellungnahme vom 16.08.04 an den Senat).

Schließlich haben alle vom Senat angeschriebenen Auskunftsstellen erklärt, sie hätten keine Erkenntnisse zur HBID bzw. ihnen sei dieser Organisation nicht bekannt (vgl. BVerfSch, Auskunft vom 01.03.2004 an den Senat; AA, Auskunft vom 26.08.2004 an den Senat; DOI, Stellungnahme vom 16.08.2004 an den Senat). Dies zeigt gleichfalls deutlich, dass der HBID eine nennenswerte überregionale Bedeutung nicht zukommt.

Eine exponierte Stellung des Klägers, die eine beachtliche Rückkehrgefährdung begründen könnte, ergibt sich nicht daraus, dass der Kläger nach seinem Vorbringen am 08.12.2002 als Sekretär in den Exekutivausschuss der HBID gewählt worden ist und damit dem Vorstand angehört. Da die HBID keine ins Gewicht fallende überregionale Bedeutung aufweist, sie auch inhaltlich keinen tiefergehenden programmatischen Ansatz hat, ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger wegen der Zugehörigkeit zum Exekutivausschuss dieser Organisation mit asylerheblicher Verfolgung rechnen muss.

Hinzu kommt, dass der Kläger nicht (in nennenswertem Umfang) mit Führungsaufgaben im eigentlichen Sinne betraut war oder ist. Auch die vom Kläger vorgelegte Bescheinigung der HBID vom 03.04.2003 läßt nicht nachvollziehbar erkennen, dass der Kläger in erwähnenswertem Umfang Aufgaben zu erledigen hatte, die über den Rahmen massentypischer Proteste erkennbar hinausgingen.

Der Umstand, dass der Kläger über einen längeren Zeitraum wiederholt an Demonstrationen und sonstigen Aktionen oder Veranstaltungen teilgenommen hat, hat nicht zu Folge, dass deshalb in seinem Fall "herausgehobene" Aktivitäten angenommen werden können.

Der Kläger hat nach seinem Vorbringen ferner in den Zeitschriften (...) unter Namensnennung regimekritische Artikel veröffentlicht. Auch dies führt nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Rückkehrgefährdung. Nach der vom Senat eingeholten gutachterlichen Stellungnahme des DOI sind die erwähnten Zeitschriften für das iranische Regime nicht von Gewicht (vgl. Gutachten des DOI an den Senat vom 16.08.2004, Blatt 131, 137 GA). Dem Bundesamt für Verfassungsschutz sind sie nicht bekannt (vgl. Auskunft an den Senat vom 01.03.2004, Blatt 111 GA). Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes sind sie in Iran nicht bekannt (Auskunft an den Senat vom 26.08.2004, Blatt 141 GA). Im Übrigen kann den Erkenntnisquellen entnommen werden - und der Senat weiß aus den Verfahren anderer iranischer Asylbewerber -, dass es eine Vielzahl von Zeitungen der Exilopposition mit oft geringer Auflage gibt (vgl. zu den unterschiedlichen Zeitungen z. B. BVerfSch, Auskunft vom 16.04.2004 an VG Münster; BVerfSch, Auskunft vom 08.12.2003 an VG Wiesbaden; DOI, Auskunft vom 01.07.2003 an VG Ansbach; DOI, Auskunft vom 10.07.2000 an OVG Lüneburg; nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.01.1998 an VG Bremen soll es etwa 100 monarchistisch eingestellte Organisationen in Europa und den USA geben) und dass diese Zeitungen von Asylbewerbern mitunter gegen Bezahlung genutzt werden, um regimekritische Artikel zu veröffentlichen und danach einen Nachfluchtgrund geltend machen zu können (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 03.08.2000 an OVG Lüneburg; 001, Auskunft vom 01.07.2003 an VG Ansbach). Das ist den iranischen Sicherheitsbehörden bekannt und bleibt bei ihrer Einschätzung solcher Artikel nicht unberücksichtigt.

Zudem sind die vorgetragenen Artikel des Klägers auch vom Inhalt her nicht derart, dass sie den Kläger als einen hervortretenden, ernsthaften Regimegegner erscheinen lassen.

Aus einer Gesamtschau der erwähnten und sich sonst aus den Akten ergebenden Exilaktivitäten des Klägers ergibt sich ebenfalls nicht, dass dem Kläger im Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht, selbst wenn man berücksichtigt, dass iranische Stellen die im Ausland tätigen Oppositionsgruppen genau beobachten (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 03.03.2004; Senatsurteil vom 01.12.1999 - 2 A 508/98.A).

Der Kläger kann nicht mit Erfolg ein Abschiebungshindernis nach § 53 AuslG geltend machen.

Soweit der Kläger wegen unerlaubten Geschlechtsverkehrs mit einer verheirateten Frau die Todesstrafe, Folter oder eine menschenrechtswidrige Behandlung im Falle der Rückkehr in den Iran befürchtet, kommt ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 1, Abs. 2 oder Abs. 4 AuslG in Betracht.

Der Senat hat jedoch ernstliche Zweifel daran, dass der behauptete Vorfall, der Anlass für die Flucht des Klägers gewesen sein soll, sich so abgespielt hat, wie ihn der Kläger bei der Anhörung vor dem Bundesamt dargestellt hat.

Zudem - und unabhängig davon - wird bereits im Bescheid des Bundesamts vom 02.11.2001 zutreffend ausgeführt, dass die Hadd-Strafe in Form der Todesstrafe wegen illegalen Geschlechtsverkehrs in der Praxis in aller Regel nicht angewendet wird. Eine Verurteilung zur Todesstrafe stellt nämlich äußerst hohe Anforderungen an die Beweisführung.

In der Praxis kommt es zumeist zu einer sog. Tazir-Strafe wegen unzüchtigen Verhaltens mit einem Strafmaß von bis zu 99 Peitschenhieben, wobei diese Prügelstrafe in aller Regel durch eine Geldstrafe "abgekauft" wird (vgl. DOI, Auskunft vom 04.11.1098 an VG Augsburg; vgl. auch Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 22.04.1998 an das Bundesamt) und deshalb (jedenfalls) nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.