OLG Celle

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Zitieren als:
OLG Celle, Beschluss vom 25.11.2004 - 16 W 136/04 - asyl.net: M6160
https://www.asyl.net/rsdb/M6160
Leitsatz:

1. Den Polizeibehörden obliegt keine Dokumentationspflicht darüber, warum sie bestimmte Fälle wie geschehen und nicht in einer anderen Reihefolge bearbeitet haben (gegen OLG Schleswig, NVwZ 2003, 421).

2. § 42 Abs. 7 AuslG ermächtigt zur vorläufigen Festnahme zwecks Identifikation und Prüfung, ob ein Haftgrund i.S.v. § 57 AuslG vorliegt.(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Ingewahrsamnahme, Festnahme, Ausschreibung zur Festnahme, Richtervorbehalt, Unverzüglichkeit, Abschiebungshaft, Haftantrag, Sofortige weitere Beschwerde
Normen: AuslG § 42 Abs. 7; Ausl§ 57; FEVG § 13 Abs. 1 S. 1; GG Art. 104 Abs. 2
Auszüge:

Die sofortige weitere Beschwerde hat teilweise Erfolg. Die Ingewahrsamnahme war nicht bereits ab 16:00 Uhr, wohl aber seit 18:20 Uhr bis zum Erlass des Abschiebehaftbeschlusses.am Folgetag rechtswidrig.

Die Ausländerbehörde hat die Befugnis, einen abzuschiebenden Ausländer zum Zwecke der Festnahme mit den Fahndungsmitteln der Polizei auszuschreiben, wie sich aus § 42 Abs. 7 AuslG ergibt. Im vorliegenden Fall war der Betroffene von der Beteiligten zur Festnahme ausgeschrieben worden. Dies ergibt sich aus der Festnahmeanzeige der Polizeidirektion Hannover, soweit es darin heißt, eine Überprüfung der Personalien habe ergeben, dass die Person zur Festnahme und Abschiebung durch die Ausländerbehörde ausgeschrieben gewesen sei (BI. 9 d. A.). Diese Regelung des § 42 Abs. 7 AuslG wäre sinnlos und ineffizient, wenn die Verwaltungsbehörde, die den untergetauchten Ausländer zur Fahndung ausgeschrieben hat, diesen gleichwohl wieder laufen und erneut untertauchen lassen müsste, sodass ein beantragter und nach Stunden erlassener Haftbefehl ins Leere liefe.

Nach der erfolgten Festnahme bestand indes nach § 13 Abs. 1 Satz 1 FEVG und Art. 104 Abs. 2 GG die Verpflichtung, unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Berechtigung, den Betroffenen in Gewahrsam zu nehmen, herbeizuführen. Nach Auffassung der Beschwerdekammer in dem angefochtenen Beschluss war der Antrag am nächsten Morgen um 10:04 Uhr, der zur Anhörung des Betroffenen und anschließenden Anordnung der Abschiebungshaft geführt hat, noch unverzüglich im Sinne der genannten Vorschriften. Im Hinblick darauf, dass die Ausländerstelle der Landeshauptstadt Hannover die Möglichkeiten zur Beschaffung eines Passersatzes habe abklären müssen, um die Abschiebung durchführen zu können, sei es nicht zu beanstanden, dass der Betroffene erst am Folgetag seiner Gewahrsamnahme dem Richter habe vorgeführt werden können. Insoweit hätten sachliche Gründe bestanden, die es rechtfertigen würden, den Betroffenen bis zu dieser Zeit in Polizeigewahrsam zu halten.

Dieser Auffassung kann der Senat nur teilweise beitreten, nämlich insofern, als es der Beteiligten zugestanden werden muss, dass sie, bevor sie einen Antrag auf Anordnung der Abschiebehaft stellt, den Sachverhalt, insbesondere die Möglichkeit zur Abschiebung, überprüfen muss. Der Beteiligten ist insofern kein Vorwurf zu machen, als sie erst in den frühen Morgenstunden des Folgetages von dem Sachverhalt erfahren und bereits um 10:04 Uhr beim Amtsgericht den Antrag auf Anordnung der Abschiebehaft gestellt hat. Insoweit hat die Beteiligte in der Tat unverzüglich gehandelt. Ferner ist es nicht zu beanstanden, dass die Polizei nach der Festnahme einige Zeit für die Feststellung der Personalien des Betroffenen, die erkennungsdienstliche Behandlung sowie schließlich die Vernehmung des Betroffenen benötigt hat.

Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass es insoweit zu vermeidbaren Verzögerungen gekommen wäre, sind nicht ersichtlich. Die Angabe der Polizei und der Beteiligten, die entsprechenden Maßnahmen hätten bis 18:20 Uhr gedauert, geben daher noch keinen Anlass, die Ingewahrsamnahme bis dahin für rechtswidrig zu halten.

Der Senat teilt insoweit nicht die Ansicht des OLG Schleswig (NVwZ 2003, 421), die Gerichte seien verpflichtet, durch Beweisaufnahme zu klären, ob die Identität eines Ausländers nicht einige Stunden schneller hätte festgestellt und damit seine Inhaftierung nicht einige Stunden hätte abgekürzt werden können, sofern keine Anhaltspunkte für Missbrauch vorliegen.

Anders verhält es sich für die nachfolgende Zeit bis zum Erlass des Abschiebungshaftbeschlusses. Denn ab 18:20 Uhr war die Vernehmung des Betroffenen abgeschlossen und es wurde bis zur Benachrichtigung der Beteiligten am nächsten Morgen nichts weiter unternommen, weil die Beendigung der Vernehmung außerhalb der Dienstzeiten der Beteiligten lag. Allein dieser Umstand ist aber kein sachlicher Grund, den Betroffenen weiter in Polizeigewahrsam zu halten, ohne für die Dauer von ca. 12 Stunden irgendetwas Verfahrensförderndes zu tun. Ausgehend davon, dass die Polizei von der Beendigung der Vernehmung am Festnahmetag um 18:20 Uhr bis zu den frühen Morgenstunden des Folgetages nichts veranlasst hat, weil die Ausländerbehörde keine Dienstzeit hatte, liegt ein Verstoß gegen die Verpflichtung, unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Berechtigung der Ingewahrsamnahme herbeizuführen, vor (BVerfG NJW 2002, 3161). Die Grundsätze dieser Entscheidung, wonach der Staat zur Tageszeit (§ 104 Abs. 3 StPO) die Überprüfung der Inhaftierung durch einen Richter gewährleisten muss, gelten sinngemäß für die Verwaltung, sofern nicht nach § 63 Abs. 6 AuslG verfahren wird. Damit ist die Ingewahrsamnahme des Betroffenen ab diesem Zeitpunkt bis zum Erlass der Abschiebungshaftanordnung rechtswidrig, ohne dass es der weiteren Sachverhaltsaufklärung dazu bedarf, wie der richterliche Eildienst beim Amtsgericht Hannover geregelt ist und wie die betreffende Handhabung im Lichte der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur notwendigen Erreichbarkeit eines Richters zur Tages- oder Nachtzeit zu bewerten ist.