Keine staatliche Herrschaftsmacht; keine nichtstaatliche Verfolgung von Christen oder Yeziden, da zumindest inländische Fluchtalternative im Nordirak besteht; keine extreme allgemeine Gefahrenlage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 AufenthG.
Keine staatliche Herrschaftsmacht; keine nichtstaatliche Verfolgung von Christen oder Yeziden, da zumindest inländische Fluchtalternative im Nordirak besteht; keine extreme allgemeine Gefahrenlage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 AufenthG.
(Leitsatz der Redaktion)
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, weil eine Verfolgung des Klägers im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG im Irak auszuschließen ist. Eine Verfolgung durch den Staat bzw. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4blit. a und b AufenthG erfolgt im Irak nicht, weil es derzeit an einer effektiven irakischen Staatsgewalt als potentiellen Verursacher politischer Verfolgung fehlt. Politische, d.h. grundsätzlich staatliche Verfolgung setzt voraus, dass sie von einem Träger überlegener, in der Regel hoheitlicher Macht ausgeht, welcher der Schutzsuchende unterworfen ist. Als Verfolger in diesem Sinne kommt jedoch nicht nur im eigentlichen Sinne staatliche Macht in Betracht, sondern auch eine staatsähnliche Organisation, die den früher bestehenden Staat verdrängt hat und ihn bei der Ausübung überlegener Macht im Namen eines übergeordneten Gemeinwesens ersetzt (so: BVerfG, Beschluss vom 1Q07.1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86, BVerfGE 80, 315 ff.; OVG NRW, Urteil vom 14.08.2003 - 2A 430/02.A -).
Eine solche Staatsmacht ist im Irak derzeit nicht vorhanden und für die nächste Zukunft auch nicht absehbar. Das bisherige Regime Saddam Husseins hat seine politische und militärische Herrschaft über den Irak durch die am 20.03.2003 begonnene Militäraktion unter Führung der USA verloren.
Selbst wenn sich jedoch in Gestalt der Übergangsregierung eine tatsächlich souveräne irakische Herrschaftsmacht herausbilden sollte, ist derzeit nicht ersichtlich, dass von ihr asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten wären, da sie zumindest bisher auf der Basis eines Übergangsgesetzes arbeitet, das die elementaren Freiheitsrechte gewährt. Eine begründete Annahme einer zukünftigen staatlichen Verfolgung ist schon deshalb auszuschließen, weil die künftigen Strukturen des irakischen Staates weiterhin offen sind.
Auch eine Berufung des Klägers auf eine Verfolgung als Christ durch nichtstaatliche Akteure im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG im Irak ist ausgeschlossen. Nach § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG kann eine Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. Satz 1 AufenthG von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat bzw. Parteien und Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.
Eine Berufung auf eine angebliche Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG wegen des christlichen Glaubens durch nichtstaatliche Akteure ist schon deshalb ausgeschlossen, weil - selbst wenn von einer solchen Verfolgung der Christen im Süd- und Zentralirak ausgegangen würde - eine inländische Fluchtalternative im Nordirak besteht. Die vorliegenden Erkenntnisse lassen eine gezielte Verfolgung von Yeziden und Christen durch andere Bevölkerungsgruppen vor allem im Nordirak nicht erkennen (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes vom 02.11.2004; VG Aachen, Urteil vom 26.08.2004 - 4 K 1660/02.A -).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Kläger vorgelegten Pressemitteilung der Gesellschaft für bedrohte Völker vom 23.12.2004. Darin ist im Übrigen davon die Rede, dass die Gesellschaft für bedrohte Völker die Bemühungen um die Integration der assyro-chaldäischen Flüchtlinge im Nordirak unterstütze.
Der Kläger hat des weiteren auch keinen Anspruch auf die Feststellung, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen. Von einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers im Sinne des der Sache nach allein in Betracht kommenden § 60 Abs. 7 AufenthG kann nicht ausgegangen werden. Hierfür genügt nämlich nicht die bloße Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in Leib, Leben oder Freiheit zu werden. Vielmehr ist der Begriff der konkreten Gefahr i.S.d. Vorschrift im Ansatz kein anderer als der des im asylrechtlichen Prognosemaßstabes angelegte der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit".
Für den Kläger müsste somit eine über die abstrakte Möglichkeit und allgemeine Gefahrensituation hinausgehende, jeweils überwiegende Wahrscheinlichkeit der oben genannten Rechtsverletzungen bestehen. Hiervon kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Er selbst hat auch keinerlei Umstände vorgebracht, aus denen sich eine solche Gefährdung ergeben könnte. Er hat lediglich darauf verwiesen, Christ zu sein. Hieraus lässt sich jedoch keine konkrete Gefahr gerade des Klägers ableiten.
Auch die instabile Sicherheitslage begründet keinen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Zwar ist die allgemeine Sicherheitslage im Irak seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein allgemein unübersichtlich und unbefriedigend, zudem ist die Kriminalitätsrate erheblich angestiegen, wenn sich auch hier offenbar erste Verbesserungen zeigen (vgl. dazu Berichte des Auswärtigen Amtes vom 06.11.2003, 07.05.2004 und 02.11.2004).
Die allgemeinen Gefahren wären im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aber
nur dann berücksichtigungsfähig, wenn die Sicherheitslage als so zugespitzt betrachtet werden müsste, dass jede Abschiebung den Rückkehrer gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde.
Eine solche im Wege verfassungskonformer Auslegung gewonnene Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auch auf allgemeine Gefährdungssituationen ist jedoch nur dann möglich und geboten, wenn der einzetne Asylbewerber sonst gänzlich schutzlos bliebe. Die Gerichte sind jedoch daran gehindert, die vom Gesetzgeber vorgesehene Regelungssystematik in diesem Sinne zu durchbrechen, wenn dem Asylbewerber aus anderen Gründen ein gteichwertiger Schutz vor Rückkehr in sein Heimatland offen steht. Dies ist nicht nur beim Vorliegen eines Erlasses nach § 60a AufenthG der Fall, sondern auch bei jeder anderen bestehenden Erlasslage, die eine ergleichbare Sicherheit bietet (vgl. dazu insbesondere BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 -, BVerwGE 114, 379 ff.; Beschluss vom 10.09.2002 -1 B 26.02 -; OVG NRW, Urteil vom 05.05.2000 - 14 A 3334/94 -).
Hierzu zählt insbesondere ein faktischer Abschiebestopp, der für den Irak auf Grund der Beschlusslage der Innenministerkonferenz vom 15.05.2003 (zuletzt bestätigt durch den Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren vom 19.11.2004) besteht. Eine Änderung dieser Beschlusslage ist zur Zeit nicht absehbar.
Eine bürgerkriegsähnliche Bedrohungssituation ist im Irak im Übrigen derzeit aber auch zumindest landesweit nicht festzustellen.
Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich Anschläge und Übergriffe vornehmlich auf den Zentralirak konzentrieren und ihr wesentliches Ziel Mitglieder der internationalen Truppe, Ausländer sowie irakisches Sicherheits personal, das mit ihnen zusammenarbeitet, sind. Hohe Opferzahlen unter Unbeteiligten werden dabei jedoch zumindest billigend in Kauf genommen. Dagegen ist die Situation im Süd- und Nordirak vergleichsweise ruhig, insbesondere die kurdischen Gebiete des Nordens sind von den Kriegsfotgen bisher weitgehend unberührt geblieben.
Nach den vorliegenden Erkenntnissen kann auch im Hinblick auf die Versorgungslage nicht von einer existenziellen Gefährdung einzelner Rückkehrer ausgegangen werden (Gutachten des DOI vom 01.10.2003, erstattet für das OVG Schleswig; Berichte des Auswärtigen Amtes vom 06.11.2003 und 02.11.2004; Stellungnahme des UNHCR zur Rückkehrgefährdung irakischer Schutzsuchender von November 2003).