VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 24.01.2005 - 5 E 7411/03.A(2) - asyl.net: M6222
https://www.asyl.net/rsdb/M6222
Leitsatz:

Kein Widerruf der Asylanerkennung einer älteren alleinstehenden Frau, da sie angesichts der Versorgungslage in Afghanistan eine Rückkehr dorthin aus zwingenden, auf früheren Verfolgungen beruhenden Gründen ablehnen kann (§ 73 Abs. 1 S. 3 AsylVfG).

 

Schlagwörter: Afghanistan, Familienasyl, Kinder, Minderjährige, Asylanerkennung, Widerruf, Stammberechtigte, Fortbestehende Schutzbedürftigkeit, Alleinstehende Frauen, Alter, Existenzminimum
Normen: AsylVfG § 26 Abs. 2; AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 3; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Kein Widerruf der Asylanerkennung einer älteren alleinstehenden Frau, da sie angesichts der Versorgungslage in Afghanistan eine Rückkehr dorthin aus zwingenden, auf früheren Verfolgungen beruhenden Gründen ablehnen kann (§ 73 Abs. 1 S. 3 AsylVfG).

(Leitsatz der Redaktion)

 

Bei dem Kläger liegen die Voraussetzungen des Familienasyls vor. Nach § 26 Abs. 2 AsylVfG wird ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und die Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

Die Mutter des Klägers ist unanfechtbar als Asylberechtigte anerkannt durch Bescheid des Bundesamtes vom 17. Oktober 2001. Dieser Bescheid ist nach der derzeitigen Sach- und Rechtslage auch nicht zu widerrufen. Nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist von einem Widerruf abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf frühere Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um eine Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Solche zwingenden Gründe liegen bei der Mutter des Klägers derzeit vor - was vermutlich auch das Bundesamt selbst so sieht, da das Bundesamt bisher ein Widerrufsverfahren im Gegensatz zu den Ausführungen in dem Bescheid vom 17.11.2003 nicht eingeleitet hat.

Die Mutter des Klägers ist 67 Jahre alt, nach dem Inhalt der Behördenakten haben sowohl der Kläger als auch sie selbst in Afghanistan keinerlei Angehörige mehr. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main wäre der Mutter des Klägers zumindest Abschiebungsschutz im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthaltsG zu gewähren, da eine ältere allein stehende Frau ohne jegliche Unterstützung bei der derzeitigen Versorgungslage in Afghanistan ganz erheblichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt wäre. Auch wenn grundsätzlich afghanischen Staatsangehörigen die Rückkehr nach Afghanistan zugemutet werden kann - insbesondere in den Raum Kabul - und ihnen weiterhin zugemutet werden muss, den Versuch zu starten, sich unter den schwierigen derzeit noch in Kabul herrschenden Bedingungen eine Existenz aufzubauen und hierbei auch auf die zahlreichen dort tätigen Hilfsorganisationen zurückzugreifen, so besteht doch eine ganz erhebliche Gefahr, dass eine allein stehende ältere Frau ohne jegliche Existenzgrundlagen diesen Existenzkampf in Kabul nicht bestehen kann. Deshalb ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main - und auch nach der Rechtsprechung anderer Hessischer Verwaltungsgerichte - solchen Personen eine Rückkehr nicht zuzumuten - zumindest derzeit - und Abschiebungsschutz zu gewähren.

Diese Unzumutbarkeit der Rückkehr beruht auch auf der früher durch Bundesamtsbescheid bestandskräftig festgestellten asylrechtlich-relevanten Verfolgung. Die Mutter des Klägers hat durch den Umstand, dass sie aufgrund der damaligen Bedrohungen Afghanistan verlassen musste, nunmehr sämtliche Bezugspunkte zu ihrem Land verloren, frühere Verbindungen bestehen nicht mehr. Insoweit besteht eine Verknüpfung zwischen der damaligen Flucht der Mutter des Klägers und des Umstandes, dass ihr eine Rückkehr nach Afghanistan derzeit nicht zugemutet werden kann. Von daher vermag das Gericht nicht festzustellen, dass die Asylberechtigung der Mutter des Klägers derzeit zu widerrufen ist. Dies hat zur Folge, dass die Voraussetzungen für eine Gewährung von Familienasyl bei dem Kläger gegeben sind.