VG Saarland

Merkliste
Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 27.01.2005 - 10 K 315/03.A - asyl.net: M6253
https://www.asyl.net/rsdb/M6253
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Kosovo, Albaner, Gruppenverfolgung, Flüchtlingsanerkennung, Widerruf, Änderung der Sachlage, Unverzüglichkeit, Politische Entwicklung, Gebietsgewalt, KFOR-Truppen, UNMIK, Fortbestehende Schutzbedürftigkeit
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1 S. 3 Bst. c; AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 3; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 16.07.2003 ist zulässig, aber unbegründet.

Rechtsgrundlage für die im angefochtenen Bescheid getroffene Entscheidung der Beklagten ist § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Danach ist die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 51 Abs. 1 AuslG unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen.

Eine nachträgliche entscheidungserhebliche Änderung der Sachlage, die - auch unter Berücksichtigung der Rechtskraft eines Urteils - eine erneute Sachentscheidung rechtfertigt, ist hier anzunehmen, denn die für die Anerkennung des Klägers als politischem Flüchtling im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG maßgeblichen Verhältnisse - und zwar die damals angenommene gruppengerichtete Verfolgung der Albaner aus dem Kosovo - haben sich nachträglich wesentlich geändert. Nach der im Hinblick auf die Beurteilung von Widerrufentscheidungen nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Sach- und Rechtslage (Urteil vom 07.05.2003, 10 K 462/02.A; vgl. auch die Urteile vom selben Tage in den Verfahren 10 K 183/02.A, 10 K 432/02.A und 10 K 44/03.A ) ist es im Kosovo im Juni 1999, wie der angefochtene Bescheid der Beklagten, auf dessen Gründe verwiesen wird (§ 77 Abs. 2 AsylVfG) zutreffend ausführt, durch den Einmarsch der KFOR-Truppen, den Abzug der serbischen Sicherheitskräfte, den Abschluss des Militärabkommens vom 09.07.1999 zwischen der (damaligen) Bundesrepublik Jugoslawien und der NATO sowie die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates über eine Friedenslösung im Kosovo vom 10.06.1999 sowie die Übernahme der Gebietsgewalt durch die KFOR-Truppen und die UN-Verwaltung zu einer erheblichen Änderung der für die Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse gekommen. Nach den vorliegenden Erkenntnisquellen lässt sich eine staatliche bzw. der internationalen Verwaltung des Kosovo zurechenbare Verfolgung ausschließen. Dies gilt auch angesichts festzustellender vereinzelter Obergriffe auf Privatpersonen und der im März 2004 erfolgten Unruhen, in deren Verlauf Übergriffe vor allem Angehörige der Minderheit der serbischen Volkszugehörigen traten. Eine Gefährdung albanischer Volkszugehöriger lässt sich aus diesen Ereignissen gegenwärtig und in absehbarer Zukunft ersichtlich nicht ableiten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass KFOR und UNMIK willens und in der Lage sind, eventuellen Übergriffen nichtstaatlicher Akteure (§ 60 Abs. 1 Satz 3 lit. c) AufenthG) wirksam entgegenzutreten. Die im Kosovo verantwortlichen internationalen Organisationen haben auf die Ereignisse vom März 2004 reagiert und ihre Bemühungen, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, deutlich verstärkt (vgl. dazu den Lagebericht Serbien und Montenegro (Kosovo) des Auswärtigen Amtes (AA) vom 04.11.2004, 508-516.80/3 SCG, und damit auch den der UNHCR-Position zur Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo im Lichte der jüngsten ethnisch motivierten Auseinandersetzungen vom 30.03.3004 zu entnehmenden Defizite bei der unmittelbaren Krisenbewältigung durch UNMIK und KFOR Rechnung getragen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Widerrufsentscheidung gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG unverzüglich nach Wegfall der maßgeblichen Voraussetzungen auszusprechen ist. Ein von einem Widerruf betroffener Asylbewerber ist nämlich durch einen Verstoß gegen das Unverzüglichkeitsgebot des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG keinesfalls in seinen Rechten verletzt.

Ist somit vorliegend der Tatbestand des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erfüllt, steht im weiteren Satz 3 dieser Vorschrift einem Widerruf der Anerkennung des Klägers als politischer Flüchtling i.S.d. § 51 Abs. 1 AuslG, § 60 Abs. 1 AufenthG) nicht entgegen. Danach ist von einem Widerruf abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, zumal der Kläger aufgrund des Urteils der Kammer vom 02.06.1999 auf der Grundlage eines objektiven Nachfluchtgrundes im Hinblick auf eine bestehende Gruppenverfolgungssituation von der Beklagten als politischer Flüchtling anerkannt worden war. Für die Anwendung des negativen Tatbestandsmerkmals der "zwingenden Gründe" hat die Kammer in ihrer oben zitierten Rechtsprechung sowohl objektive als auch subjektive Aspekte für bedeutsam erachtet und einzelne einschlägige Gesichtspunkte aufgeführt (bspw. Rückkehr als schwere psychische Belastung eines erheblich Vorverfolgten, Nachwirkung einer Verfolgung durch feindliche Haltung der Bevölkerung, Verlust des familiären, sozialen, ethnischen, kulturellen oder ökonomischen Umfelds). Gemessen an diesen Vorgaben sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass für den Kläger, der dort Familienangehörige hat, eine Rückkehr in seine Heimat unter den heute im Kosovo herrschenden Verhältnissen unzumutbar ist. Dies gilt auch in Ansehung der Berufung des Klägers auf die Richtlinien des UNHCR zur Beendigung der Flüchtlingseigenschaft vom 10.02.2003 und Art. 2 und 3 GG. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass nach dem langjährigen Aufenthalt des Klägers in Deutschland eine Rückkehr in die insbesondere auch wirtschaftlich schwierige Situation im Kosovo für ihn zweifellos eine nicht geringe persönliche Härte darstellt. Dies ist indes Ausfluss der gesetzlichen Widerrufsregelung, nach der der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung bei einer Änderung der maßgeblichen Verhältnisse im Heimatland grundsätzlich kein Vertrauensschutz zukommt.