VG Neustadt a.d.W.

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Zitieren als:
VG Neustadt a.d.W., Urteil vom 22.02.2005 - 7 K 2711/04.NW - asyl.net: M6254
https://www.asyl.net/rsdb/M6254
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Christen, Assyrer, Folgeantrag, Änderung der Sachlage, Verdacht der Kollaboration, Religiös motivierte Verfolgung, Gruppenverfolgung, Verfolgungsdichte, Nichtstaatliche Akteure, Verfolgung durch Dritte, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse
Normen: AsylVfG § 71; VwVfG § 51; AufenthG § 60 Abs. 1 S. 4 Bst. c; AufenthG § 60 Abs. 2 - 7
Auszüge:

Die auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 1 bzw. 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG beschränkte Klage ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Beklagte hat zu Recht mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 5. November 2004 die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs.1 AsylVfG abgelehnt.

Soweit der Kläger bei seiner Anhörung im Rahmen des Erstverfahrens angegeben hat, von irakischen Behörden deswegen verfolgt worden zu sein, weil man ihm vorgeworfen habe, als Christ ein US-Agent zu sein, bezog sich dieses individuelle Verfolgungsschicksal allein auf eine Bedrohung durch die Angehörigen des Sicherheitsapparates des ehemaligen Regimes von Saddam Hussein, das inzwischen nach dem Einmarsch der alliierten Besatzungstruppen gestürzt worden ist. Insoweit hat der Kläger gerade keine Veränderung der Sachlage im Vergleich zum Erstverfahren dargetan. Die von den Sicherheitsbehörden des Regimes von Saddam Hussein ausgehende Gefahr ist inzwischen entfallen, was auch vom Kläger ernsthaft nicht in Zweifel gezogen wird.

Die behauptete Tötung eines Verwandten, deren Hintergründe der Kläger nicht kennt, und der behauptete Angriff auf seine Gemeinde im Irak lassen auch nicht auf eine an seine individuellen Verhältnisse anknüpfende Verfolgungsgefahr schließen.

Seine Verfolgungsfurcht bezieht sich vielmehr darauf, dass im Irak alle Christen Gefahr liefen, Opfer terroristischer oder sonstiger krimineller Handlungen zu werden. Diese Verfolgungsfurcht stützt er auf die Ereignisse der letzten Monate, insbesondere die Anschlagserien vom 1. August und 16. Oktober 2004, die im Übrigen in den Medien bekannt gewordenen Übergriffe auf Christen und die Fluchtbewegung von christlichen Glaubensangehörigen aus dem Irak. Insoweit bestehen allerdings schon Zweifel, ob die im Irak festzustellenden Übergriffe auf Christen vom Ansatz her im Wesentlichen aus religiösen Gründen erfolgt sind und deshalb überhaupt eine Asylrelevanz entfalten können. Dies gilt zwar sicherlich für die Terroraktionen vom 1. August und vom 16. Oktober 2004, auf die der Kläger auch Bezug nimmt. Andererseits ist aber genau so bekannt geworden, dass zahlreiche Übergriffe ihren Ursprung in rein kriminellen Motiven haben (vgl. hierzu Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2004, UNHCR Herkunftsländerinformation Irak vom 14. September 2004). Denn irakische Christen werden wie alle Minderheiten überdurchschnittlich häufig Opfer von kriminellen Handlungen wie Entführungen. Angehörige dieser Minderheiten stellen leichtere Opfer als Angehörige der größeren ethnisch-religiösen Gruppen dar, die durch ihre weiter reichenden Verwandtschafts- und Clanverbände bessere Einflussmöglichkeiten auf die Entführer haben. Insoweit wird aber klar, dass derartige Übergriffe in erster Linie dem Zweck der Erpressung von Lösegeld dienen und daher nicht an die religiöse Überzeugung des Betroffenen anknüpfen.

Insoweit hat auch das Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 24. Januar 2005 -10 A 10001/05.0VG - Bedenken geäußert, ob aus den bekannt gewordenen Repressalien gegenüber Christen auf eine im Wesentlichen religiös motivierte Verfolgung geschlossen werden kann.

Soweit der Zulassungsantrag auf die in der letzten Zeit vermehrten Übergriffe auf Christen verweist, ergibt sich keine den Klägern günstigere Betrachtungsweise. Denn aus der Tatsache von Übergriffen von Mitgliedern einer bestimmten Glaubensgemeinschaft gegenüber denen einer anderen als solche kann nicht auf deren religiös begründeten Charakter geschlossen werden. Der Umstand ist allenfalls dann für die hier in Rede stehende Frage aussagekräftig, wenn die Übergriffe der Mitglieder einer bestimmten Glaubensgemeinschaft gegenüber denen einer anderen gänzlich außer Verhältnis zur Zahl der Repressalien steht, die gegenüber den Mitgliedern der eigenen oder einer anderen Glaubensgemeinschaft begangen werden; zudem kann sich der religiöse Charakter auch gerade aus der Art der Übergriffe ergeben, dann nämlich, wenn sie einen religiösen Einschlag erkennen lassen (vgl. zu diesen Erwägungen bereits das zuvor zitierte Urteil des Senats vom 5. April 1989 - 13 A 147/87 -, u. a. S. 33 ff.). Für eine derartige Annahme ist der Zulassungsantrag unergiebig.

Dem kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass zahlreiche christliche Glaubensangehörige inzwischen fluchtartig den Irak verlassen hätten. Aus diesen Fluchtbewegungen ist nicht zu ersehen, dass inzwischen eine allgemeine Pogromstimmung gegen irakische Christen im Irak besteht, aufgrund derer jeder Christ damit zu rechnen hätte, früher oder später Opfer einer religiös motivierten Verfolgung zu werden.

Besteht demnach zur Überzeugung der Kammer nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, dass der Kläger aufgrund seiner Zugehörigkeit zur christlichen Glaubensgemeinschaft im Irak politische Verfolgung durch Dritte erleiden muss, die unter den Anwendungsbereich des § 60 Abs. 1 Satz 4c AufenthG fällt, so ergeben sich auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die hilfsweise begehrten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bestehen, weil die insoweit vom Kläger behaupteten Gefahren allein an seiner Eigenschaft als Christ und die daraus erwachsende Bedrohungssituation anknüpfen. Weitergehende Gründe, die auf Gefahren, die unter den Anwendungsbereich des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG fallen können, sind vom Kläger nicht vorgetragen worden und für die erkennende Kammer auch nicht ersichtlich geworden.