OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Urteil vom 01.12.2004 - 2 R 15/03 - asyl.net: M6257
https://www.asyl.net/rsdb/M6257
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung wegen Wehrdienstverweigerung oder wegen Ausbürgerung infolge der Nichtableistung des Militärdienstes in der Türkei.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Türkei, Kurden, Ausbürgerung, Staatenlose, Wehrdienstentziehung, Folgeantrag, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Hungerstreik, Aktion Kurdischer Kriegsdienstverweigerer, Offener Brief, Medienberichterstattung, PKK, Selbstbezichtigung, Unterzeichner, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Einreiseverweigerung, Zielstaatsbestimmung, Abschiebungsandrohung
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53; AuslG § 50 Abs. 3
Auszüge:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nur teilweise begründet. Ihm steht zunächst kein Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 51 I AuslG zu.

Hinsichtlich der Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs kann auf die erstinstanzlichen Ausführungen Bezug genommen werden. Der Kläger, der ausweislich des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 2.4.1998 - 6 K 146/98.A - nicht hat glaubhaft machen können, dass er sein Heimatland vorverfolgt bzw. in begründeter Furcht vor politischer Verfolgung verlassen hat, hat nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erfahren und durch Vorlage einer Kopie des entsprechenden Amtsblattes (resmi gazete) vom 16.7.2001 (vgl. BI. 215 f. VG-Akte) belegt, dass er als Ifd. Nr. durch Beschluss Nr. 2001/2654 gemäß Art. 25 des Türkischen Staatsangehörigengesetzes ausgebürgert wurde. Er hat auch durch diese Ausbürgerung keine - fortdauernde - politische Verfolgung erlitten.

Nach Art. 25 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes wird u.a. Personen, die sich im Ausland aufhalten und ihrer Pflicht zur Ableistung des nationalen Wehrdienstes - trotz im türkischen Gesetzesblatt veröffentlichter Aufforderung, sich innerhalb von drei Monaten nach Erscheinen des Blattes bei einer Wehrerfassungsstelle oder im Ausland bei einer türkischen konsularischen Vertretung zu melden - nicht nachkommen, durch eine Entscheidung des Ministerrates auf Antrag des Innenministeriums die Staatsangehörigkeit aberkannt. Eine Anknüpfung an asylrelevante Merkmale ist der Vorschrift nicht zu entnehmen, sie lässt sich auch hinsichtlich der Praxis der Ausbürgerung in der Türkei nicht den vorliegenden Erkenntnissen des Senates entnehmen.

Es sind auch keine durchgreifenden Anhaltspunkte ersichtlich, dass in der Anwendung der Norm gerade auf den Kläger eine verdeckte Repressionsmaßnahme liegen könnte, um ihn in einem seiner asylrechtlich geschützten persönlichen Merkmale zu treffen.

Zwar hat der Kläger seit vielen Jahren eine Vielzahl exilpolitischer Aktivitäten gezeigt, die zum einen neben der PKK im weitesten Sinne sonstige aktuelle politische türkeibezogene Themen und zum anderen die Kriegsdienstverweigerung betrafen, bei denen er sich jedoch durchweg nicht im Sinne der Rechtsprechung des Gerichts exponiert hat.

Ausgehend von der Rechtsprechung des bisher für das Herkunftsland Türkei zuständigen 9. Senats, der sich der 2. Senat anschließt, genügt die bloße Teilnahme an exilpolitischen kurdischen Veranstaltungen nicht für die Annahme einer exponierten exilpolitischen Betätigung. Etwas anderes hat der 9. Senat in diesen Fällen nur dann angenommen, wenn die exilpolitische Betätigung verbunden war mit aus der Masse exilpolitischer Betätigungen herausragenden, publizitätswirksamen Aktionen und im Einzelfall außerdem bei der Bildberichterstattung über das jeweilige Ereignis der einzelne Teilnehmer wegen der Überschaubarkeit des Teilnehmerkreises wenigstens durch die Bildwiedergabe deutlich erkennbar gewesen ist und durch den Zusammenhang zwischen Veranstaltung und einer die Identifizierbarkeit begünstigenden Bildberichterstattung deutlich geworden ist, dass er sich in eigener Person eindeutig türkei-kritisch betätigt und durch diese Betätigung die Türkei und damit das Türkentum oder die türkische Politik im Ausland kritisiert beziehungsweise in Misskredit gebracht hat. Dabei ist auch der 9. Senat zu Recht stets davon ausgegangen, dass die bloße Teilnahme eines "Mitläufers" an einem Hungerstreik oder Friedensmarsch oder Ähnlichem allein oder auch in Verbindung mit einer Presseberichterstattung grundsätzlich keine exponierte exilpolitische Aktivität darstellen kann.

Hiervon ausgehend sind also Aktivitäten dieser Art, wozu auch die einfache Mitgliedschaft des Klägers im kurdischen Kulturverein A-Stadt zählt, - auch wenn sie wie vorliegend in einer Vielzahl von Fällen stattfanden - nicht exponiert, führten also auch bei dem Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu asylrelevanten Maßnahmen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Selbsterklärung bzw. -bezichtigung "Auch ich bin ein PKKler", die nach Auskunft des Auswärtigen Amtes bis dahin bundesweit 30.000 und europaweit 84.000 Personen abgaben und von der Türkei beobachtet wurde. Wenn eine solche - an die deutschen Behörden gerichtete - Erklärung der Türkei bekannt geworden ist, so wird sie zwar nach Auffassung von Kaya als Beweis für eine Verbindung zur PKK bzw. KADEK gewertet. Eine Strafbarkeit nach Art. 168 TStGB (Mitgliedschaft in einer bewaffneten Bande) scheidet nach Auffassung von Tellenbach aber aus.

Darüber hinaus weisen weder die aus den bei den Akten befindlichen Videos ersichtlichen Mitschnitte noch die auf der Kassette festgehaltenen Radiomitschnitte u.a. über Äußerungen des Klägers zu seinen durch seine Illegalität verursachten Problemen diesen als exponierten Regimegegner aus.

Da dem Kläger wegen dieser Art von - insbesondere kurdisch ausgerichteten - Betätigungen bei einer Rückkehr in die Türkei nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Maßnahmen drohen, spricht nichts dafür, dass sie seine Ausbürgerung ausgelöst haben könnten. Gleiches gilt für seine Wehrdienstentziehung und sein Engagement gegen den Wehrdienst in der Türkei generell.

Da die Ausbürgerung somit nach Überzeugung des Senates keine politische Verfolgungsmaßnahme darstellt, kommt es nicht mehr darauf an, ob der Kläger bei seiner Rückkehr asylerhebliche Maßnahmen beachtlich wahrscheinlich zu befürchten hätte. Personen, die eine Staatsangehörigkeit besitzen, haben nach Art. 16a I GG nur dann einen Asylanspruch bzw. einen Anspruch nach § 51 I AuslG, wenn sie von dem Staat, dessen Angehörige sie sind, politisch verfolgt werden oder in ihm keinen Schutz gegen solche Verfolgung finden können. Bei Staatenlosen kommt es auf die Verhältnisse im Land des gewöhnlichen Aufenthalts an. Wenn ein Staat einem Staatenlosen aus im asylrechtlichen Sinne nichtpolitischen Gründen die Wiedereinreise verweigert, löst er damit seine Beziehungen zu dem Staatenlosen und hört auf, für ihn das Land des gewöhnlichen Aufenthalts zu sein; er steht ihm dann wie jeder andere auswärtige Staat gegenüber. Dann ist es aber unerheblich, ob ein staatenloser im Land seiner früheren Staatsangehörigkeit von politischer Verfolgung bedroht ist.

Der Kläger hat aber auch keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 53 AuslG. Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist zwar grundsätzlich über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG zu entscheiden, auch wenn - wie hier - wenig oder keine Aussicht besteht, den Ausländer in absehbarer Zeit abschieben zu können. Eine solche Entscheidung ist aber - nur - dann entbehrlich, wenn feststeht, dass der Kläger (in dem entschiedenen Fall: wegen eines strikten Einreiseverbotes für staatenlose Kurden nach Syrien) auf unabsehbare Zeit weder abgeschoben werden noch freiwillig - auf Dauer - zurückkehren kann. Diese Voraussetzung sieht der Senat im Falle des Klägers als gegeben an.

Allerdings richtet sich die Berufung, die ihrem erkannbaren Sinn nach in jedem Fall sicherstellen will, dass eine Abschiebung ins Heimatland nicht erfolgen darf, bei verständiger Würdigung auch gegen die im Bescheid der Beklagten vom 8.9.1993 erhaltene Abschiebungsandrohung hinsichtlich der Zielstaatsbezeichnung "Türkei", die die Beklagte mit Blick auf § 71 V 1 AsylVfG nicht durch eine neue Abschiebungsandrohung ersetzen musste. Mit dieser Zielsetzung hat die Berufung Erfolg.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt zwar § 50 AuslG eine Abschiebungsandrohung auf Vorrat grundsätzlich zu; der vom Gesetzgeber verfolgte Ermächtigungszweck wird aber dann ausnahmsweise verfehlt, wenn eine zwangsweise Abschiebung und eine freiwillige Rückkehr in diesen Staat praktisch auf unabsehbare Zeit unmöglich erscheint. Dem entspricht auch die verbindliche Handlungsanweisung in Nr. 50.2.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz vom 28.6.2000, wonach bei Staatenlosen ein Zielstaat nur dann anzugeben ist, wenn die tatsächliche Möglichkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat besteht und daher auch ein Abschiebeversuch unternommen werden kann. Da vorliegend diese Möglichkeit der Abschiebung nicht besteht, ist daher die Zielstaatsbezeichnung "Türkei" mit der Ausbürgerung des Klägers rechtswidrig geworden und der Kläger darf aufgrund dieser Abschiebungsandrohung nicht in die Türkei abgeschoben werden, während die Abschiebungsandrohung im Übrigen unberührt bleibt (vgl. § 50 III 3 AuslG).