VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 14.01.2005 - A 12 K 11956/03 - asyl.net: M6260
https://www.asyl.net/rsdb/M6260
Leitsatz:
Schlagwörter: Afghanistan, Paschtunen, DVPA, Mitglieder, Militärangehörige, Haft, Folgeantrag, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Erstantrag, Anerkennungsbescheid, Bindungswirkung, Umdeutung, Widerruf, Weisungsgebundenheit, Anhörung, Sachentscheidungsinteresse, Abschiebungsandrohung, Gesetzesänderung, Zuwanderungsgesetz, Beurteilungszeitpunkt, Übergangsvorschriften
Normen: GG Art. 16a; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 73 Abs. 3; AsylVfG § 73 Abs. 4; AuslG § 53 Abs. 6; AufenthG § 60 Abs. 7; AufenthG § 102 Abs. 2 S. 1; AsylVfG § 77 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

Ziffer 2 des Bescheids ist rechtswidrig. In ihr wird die Feststellung getroffen, Abschiebungshindernisse nach dem damals geltenden § 53 AuslG lägen nicht vor. Diese Entscheidung dürfte in der Sache zugetroffen haben, hat aber übersehen, dass das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG im Bescheid des Asylerstverfahrens vom 13.12.1995 festgestellt worden ist. Wie sich aus § 73 AsylVfG, aber auch aus allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht (vgl. § 49 VwVfG) ergibt, kann der Änderung einer Sachlage nach bestandskräftigem Feststellungsbescheid nur durch Widerruf (für Abschiebungshindernisse nach § 73 Abs. 3 AsylVfG) Rechnung getragen werden. Eine "freie Abänderung" bestandskräftiger Feststellungsbescheide ist nicht möglich (BVerwG, Beschl. v. 21.03.1990, InfAuslR 1990, 245; Marx, Komm. z. AsylVfG, 4. Aufl., § 73 Rdnr. 7).

Zwar ist Ziffer 2 des Bescheids auszulegen und auch eine Umdeutung zu prüfen (zu Letzterem vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.1998, NVwZ 1999, 302). Doch eine Auslegung oder Umdeutung als Widerrufsentscheidung scheitert - wenn nicht schon an der fehlenden Aufhebung von Ziffer 3 des Bescheids vom 13.12.1995 - an der Nichtbeachtung des Widerrufsverfahrens nach § 73 Abs. 4 AsylVfG: Es fehlen die Weisung des Behördenleiters oder eines von ihm Beauftragten (§ 73 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG) wie die Anhörung des Klägers (§ 73 Abs. 4 Satz 2 AsylVfG).

Dennoch besitzt der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung der Beklagten, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 ff. AufenthG in seiner Person vorliegen. Für eine Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG fehlt ihm das Sachbescheidungsinteresse, da durch die fehlende Aufhebung des im Bescheid vom 13.12.1995 festgestellten Abschiebungshindernisses nach dem damaligen § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bereits identischer Schutz besteht. Die Voraussetzungen sonstiger Abschiebungsverbote nach §§ 60 Abs. 2 ff. AufenthG sind weder dargetan, noch ersichtlich.

Die Ziffer 3 des Bescheides vom 16.06.2003, die Androhung der Abschiebung des Klägers, entspricht nur teilweise dem Gesetz. Sie war zwar bei ihrem Erlass insgesamt rechtmäßig, da unter Geltung des Ausländergesetzes ein festgestelltes Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG der Bezeichnung des Staates, in welchem die Bedrohung zu erwarten war, als Zielstaat der Abschiebung nicht entgegenstand (§ 50 Abs. 3 Satz 3 AuslG).

Obgleich es sich bei der Abschiebungsandrohung um eine belastende Maßnahme handelt, ist kraft der Spezialregelung in § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zur Beurteilung der Rechtslage aber nicht auf den Zeitpunkt des Erlasses, sondern auf den der mündlichen Verhandlung abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt ist in einer neu gegenüber dem Kläger zu erlassenen Androhung die Bezeichnung Afghanistans als zielstaatrechtswidrig, da unter Geltung des AufenthG jedes Abschiebungsverbot,

auch eines nach dem heutigen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, der Aufnahme dieses Staates in die Androhung entgegensteht (§ 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Sie ist dann insoweit (§ 59 Abs. 3 Satz 3 AufenthG) aufzuheben.

Etwas anderes gilt hier nicht etwa auf Grund des Fortgeltungsbefehl alten Rechts nach § 102 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Nach dieser Bestimmung bleiben vor dem 01.01.2005 "getroffene" "sonstige ausländerrechtliche Maßnahmen", insbesondere Abschiebungsandrohungen, "wirksam". Erforderlich ist insoweit nur die Bekanntgabe oder jedenfalls der Abschluss des Verwaltungsverfahrens, nicht die Unanfechtbarkeit der Androhung (vgl. zur Rechtslage unter der Übergangsvorschrift § 95 Abs. 1 AuslG: BVerwG, Urt. v. 28.05.1991, InfAuslR 1991, 268). Immerhin ließe sich vertreten, eine Androhung des Bundesamts stelle eine "sonstige ausländerrechtliche Maßnahme" dar. Es spricht aber vieles dafür, von einer nicht ausländer-, sondern asylverfahrensrechtlichen Regelung auszugehen. Zudem verweisen §§ 71 Abs. 4 und 34 AsylVfG nur beschränkt auf das AufenthG, nämlich auf die §§ 59 sowie 60 Abs. 10. Schließlich betont § 1 Abs. 1 Satz 5 AufenthG, dass Regelungen in anderen Gesetzen - wie eben § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG - unberührt bleiben.