VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 21.01.2005 - A 12 K 10986/04 - asyl.net: M6261
https://www.asyl.net/rsdb/M6261
Leitsatz:

Hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung durch Taliban in Afghanistan; Verfolgungsgefahr für Anhänger der Pashtoons Social Democratic Party (PSDP) besteht ebenso wie für Kommunisten nur bei früherer exponierter Stellung oder Gefahr von persönlicher Rache; kein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG wegen allgemeiner Gefährdungslage, da gleichwertiger Abschiebungsschutz durch baden-württembergische Erlasslage gewährt wird.

Schlagwörter: Afghanistan, Paschtunen, PSDP, Kommunisten, Verfolgung durch Dritte, Nichtstaatliche Verfolgung, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Allgemeine Gefahr, Versorgungslage, Extreme Gefahrenlage, Erlasslage, Abschiebungsstopp, Anerkennungsrichtlinie, Vorlagebeschluss, EuGH, Aussetzung des Verfahrens
Normen: GG Art. 16a; AufenthG § 69 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1; EG-RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c
Auszüge:

Hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung durch Taliban in Afghanistan; Verfolgungsgefahr für Anhänger der Pashtoons Social Democratic Party (PSDP) besteht ebenso wie für Kommunisten nur bei früherer exponierter Stellung oder Gefahr von persönlicher Rache; kein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG wegen allgemeiner Gefährdungslage, da gleichwertiger Abschiebungsschutz durch baden-württembergische Erlasslage gewährt wird.

(Leitsatz der Redaktion)

Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die geltend gemachte Asylberechtigung anzuerkennen noch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG oder eines Abschiebungsverbotes nach den übrigen Absätzen dieser Vorschrift festzustellen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO); auch die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig und deshalb nicht aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Schließlich kommt eine Aussetzung des Verfahrens zur Vorlage einer Rechtsfrage an den EuGH nicht in Betracht.

Der Kläger ist nach seinen Angaben aus Furcht um sein Leben wegen Handlungen der Taliban ausgereist. Allerdings sind die Taliban seit Ende 2001 von den Koalitionsstreitkräften in die Berge des Südens oder über die Grenze zurückgedrängt und damit zu gezielten Verfolgungen jedenfalls im Raum Kabul nicht mehr In der Lage. Vor Handlungen der Vorverfolgenden ist er daher bei einer heutigen Rückkehr hinreichend sicher.

Dem Kläger fiel es schwer, herauszustellen, weshalb die heutige afghanische Regierung oder Organisationen nach § 60 bs. 1 Satz 4 Nrn. b) und c) AufenthG gerade gegen ihn gerichtete Aktivitäten entwickeln würden, die an eines der Merkmale des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG anknüpfen, was auch für die Zuerkennung des Asylgrundrechts unerlässlich wäre. Viele seiner Ausführungen dazu wirkten wie ein Abstellen auf die paschtunische Volkszugehörigkeit oder besser, auf die Abstammung aus einer wohlhabenden paschtunischen Familie; häufig sprach der Kläger von "wir". Dass alleine die paschtunische Volkszugehörigkeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu Repressalien führt, wird verneint (vgl. etwa VG Stuttgart, 6. Kammer, Urt. v. 19.10.2004 - A 6 K 11188/04 -; Danesch, Ausk. v. 31.10.2002 an VG Bayreuth) und behauptet auch der Kläger nicht.

Letztlich maßgeblich für die Unterscheidung seiner Gefährdung von der sonstiger Paschtunen ist nach seiner Einschätzung seine Mitgliedschaft in der sowie Aktivitäten für die Pashtoons Social Democratic Party - PSDP -. Die PSDP ist eine relativ junge und kleine Partei, deren Führungsmitglieder sich vorwiegend im Ausland aufhalten (so Danesch, Ausk. v. 03.07.1997 an VG Würzburg). Unter dem Najibullah-Regime kam es zur Annäherung mit der damals herrschenden DVPA/Wathan (Danesch, a.a.O.). Daher wird der PSDP von politischen Gegnern bis heute eine Nähe zum Kommunismus unterstellt.

Zur Beurteilung der Verfolgungsrelevanz des Vorbringens des Klägers ist daher auf die Rechtsprechung, die sich zur Bedrohung für ehemalige Kommunisten herausgebildet hat, abzustellen. Denn es ist kaum denkbar, dass Mitglieder von Organitionen, denen eine Nähe zu den ehemaligen Kommunisten nachgesagt wird, mit schlimmeren Maßnahmen als jene zu rechnen haben. Es wird betont, Anhaltspunkte fehlten, dass die Regierung Karsai Mitglieder der DVPA und Sympathisanten des kommunistischen Regimes verfolge (Auswärtiges Amt, Ausk. v. 17.02.2004 an OVG Bautzen; Ahmed, Ausk. v. 24.11.2002 an VG Bayreuth). Verfolgungsmaßnahmen - auch anderer - seien allenfalls dann zu befürchten, wenn es sich um Mitglieder handele, die früher eine exponierte Stellung innehatten (Danesch, Ausk v. 24.07.2004 an OVG Bautzen; Ausk. v. 31.10.2002 an VG Bayreuth) oder um solche, die in früheren Ämtern andere geschädigt haben, die sich nun rächen wollen (VG Bremen, Urt. v. 28.08.2003 - 2 K 1809/01.A .-). Beim KIäger als damals jungem Mann ohne Funktion ist weder das eine noch das andere der Fall. Auch ist kein Umstand ersichtlich, der dazu führen würde beim Kläger eine konkret-individuelle Gefahr im Sinne, von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anzunehmen, welche nicht einem Großteil von Rückkehrern drohen würde.

Allein schon wegen der herrschenden Lebensmittelknappheit und fehlender Verwandter im Großraum Kabul (vgl. dazu nur Auswärtiges Amt, Ausk. v. 31.08.2004 an VG Hamburg) kommt aber die Annahme einer Gefahr für Leib und Leben des Klägers in Betracht, die freilich allen Rückkehrern oder jedenfalls allen ohne Verwandte im Raum Kabul droht, mithin einer Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Nach der klaren und eindeutigen Wertung des Gesetzgebers ist solchen Gefahren durch einen Erlass nach § 60a Abs. 1 AufenthG (vormals § 54 AuslG) Rechnung zu tragen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat - auch für Gerichte - die Durchbrechung des Stufenverhältnisses zwischen den beiden Sätzen des damaligen § 53 Abs. 6 AuslG im Wege verfassungskonformer Auslegung nur zugelassen, wenn die obersten Landesbehörden trotz einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, die jeden einzelnen Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde, von ihrer Ermessensermächtigung aus § 54 AuslG, einen generellen Abschiebestopp zu verfügen, keinen Gebrauch gemacht haben (so BVerwGE 99. 324). Diese Fallkonstellation liegt hier aber nicht vor. In Baden-Württemberg ist die Abschiebung von afghanischen Flüchtlingen durch Erlass des IM vom 29.07. 2004, Az.: 4-13-AFG/8, noch bis mindestens Mai 2005 ausgesetzt. Damit besteht schon das Ausgangserfordernis für verfassungskonforme Auslegung, das Fehlen eines Abschiebestopps, derzeit nicht, so dass das Verwaltungsgericht an einer Prüfung von Gefahren, die Rückkehrern allgemein drohen, gehindert ist.

Diese Wertung des nationalen Gesetzgebers und die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verstößt auch nicht gegen Art. 15c der sog. "Qualifikationsrichtlinie" oder "Anerkennungsrichtlinie" 2004/83/EG (ABI. 2004 L Nr. 304, S. 12). Nach dieser Bestimmung, die unter der Überschrift "ernsthafter Schaden" steht, ist Voraussetzung zur Gewährung "subsidiären Schutzes", welcher die Ausstellung eines Aufenthaltstitels (und nicht nur die Aussetzung der Abschiebung) gebietet (Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie), "eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens ... einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines ... bewaffneten Konflikts".

Es kann dahinstehen, was aus dem bisher fehlenden Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie (Art. 36 Abs. 2) zu folgen hat. Genauso kann offen bleiben, ob nicht schon der Wortlaut des Art. 15c nahelegt, nur von bürgerkriegsbedingten Gefahren auszugehen (so auch Marx, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl., S. 708 f.), die beim Kläger ausscheiden. Nr. 26 der Erwägungen in der Präambel der Richtlinie legt nämlich gerade fest, dass Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, für sich genommen keine individuelle Bedrohung darstelle, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen sei.

Nicht nur deswegen kommt eine Vorlage an den EuGH, wie vom Kläger mit dem zweiten Antrag, richtigerweise einem Hilfsantrag, gefordert, nicht in Betracht. Die Richtlinie 2004/83/EG ist - ausweislich ihrer Eingangsformel - auf Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 EG gestützt. Auf solche Bestimmungen des IV. Titels des EG-Vertrages findet - was der Kläger übersieht - Art. 234 EG nur eingeschränkt Anwendung (Art. 68 Abs. 1 EG). Vorlageberechtigt sind nur Gerichte, deren Entscheidung nicht mehr mit einem Rechtsmittel des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, also letztinstanzliche Gerichte (so Bergmann in: Lenz/Borchardt, a.a.O., Art. 68 Rdnr. 2; Wiedmann in: Schwarze, EU-Komm., Art. 68 Rdnr. 3) wozu das VG nicht gehört.