OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.01.2005 - 18 B 1260/04 - asyl.net: M6270
https://www.asyl.net/rsdb/M6270
Leitsatz:

Ein Widerspruch gegen eine Ausweisungsverfügung ist ab dem 1.1.2005 nach dem AufenthG zu entscheiden; Klagen gegen Ausweisungsverfügungen, in denen vor dem 1.1.2005 ein Widerspruchsbescheid ergangen ist, sind nach dem AuslG zu entscheiden.

 

Schlagwörter: D (A), Ausweisung, Ist-Ausweisung, Beurteilungszeitpunkt, Anwendungszeitpunkt, Gesetzesänderung, Zuwanderungsgesetz, Übergangsvorschriften, Änderung der Rechtslage, Besonderer Ausweisungsschutz, Familienangehörige, Kinder, Schutz von Ehe und Familie, Familiäre Lebensgemeinschaft, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Beschwerde
Normen: AuslG § 47 Abs. 1 Nr. 1; AufenthG § 53 Nr. 1; AuslG § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; AufenthG § 102 Abs. 1 S. 1; AufenthG § 101 Abs. 1 S. 1; AufenthG § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; GG Art. 6
Auszüge:

Ein Widerspruch gegen eine Ausweisungsverfügung ist ab dem 1.1.2005 nach dem AufenthG zu entscheiden; Klagen gegen Ausweisungsverfügungen, in denen vor dem 1.1.2005 ein Widerspruchsbescheid ergangen ist, sind nach dem AuslG zu entscheiden.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Zunächst ist klarzustellen, dass sich die Erfolgsaussichten des Widerspruchs und einer etwa nachfolgenden Anfechtungsklage gegen die Ordnungsverfügung vom 13. Dezember 2002 nach dem inzwischen durch das Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30. Juli 2004 BGB1 I 1950 - zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) beurteilen. Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der gerichtlichen Nachprüfung einer Ausweisungsverfügung grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides abzustellen, sofern sich nicht aus dem einschlägigen materiellen Recht anderes ergibt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Februar 1997 1 B 5.97 -, Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 8, ferner Urteil vom 7. Dezember 1999 1 C 13.99 -, DVBl. 2000, 429 = DÖV 2000, 427 = InfAuslR 2000, 176 = NVwZ 2000, 688; Senatsurteil vom 21. Dezember 1999 18 A 5101/96 -, EZAR 034 Nr.7 = NWVBl. 2001, 29, und Senatsbeschluss vom 1. April 2004 18 B 1521/03 -).

Dies gilt auch im Falle einer Änderung der Sach- und Rechtslage während des Widerspruchsverfahren (vgl. BverwG, Urteil vom 3.Juni 1997 1 C 23.96 -, InfAuslR 1997, 390 = NVwZ 1997, 1126 = EZAR 032 Nr.12).

Daran hat sich durch das Aufenthaltsgesetz nichts geändert. Dieses Gesetz enthält einerseits keine Regelung, aus der hergeleitet werden könnte, dass Ausweisungsverfügungen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts nach abgeschlossenem Verwaltungsverfahren an den neuen Regelungen zu messen sind. Andererseits wird aber auch nicht bestimmt, dass weiterhin das Ausländergesetz 1990 anzuwenden ist, wenn bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts - wie hier - über einen Widerspruch noch nicht entschieden worden ist. Letzteres folgt insbesondere nicht aus § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Dieser trifft lediglich hinsichtlich der Wirksamkeit der in der Bestimmung genannten Maßnahmen eine Regelung. Die Frage ihrer Rechtmäßigkeit bleibt davon unberührt. Es soll lediglich gewährleistet werden, dass die Wirkungen der Ausweisung (§§ 8 Abs. 2, 44 Abs. 1 Nr. 1, 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG) erhalten bleiben (vgl. BT-Drucks. 15/420, 100, zitiert nach GK-AufenthG zu § 102).

Danach hat das Verwaltungsgericht dem Antragsteller zu Recht keinen besonderen Aussweisungsschutz zuerkannt. Entgegen dessen mit der Beschwerde vertretenen Auffassung hat es zutreffend dargelegt, dass die Voraussetzungen des § 48 Abs.1 Satz 1 Nr.4 AuslG, dem der nunmehr anzuwendende § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG entspricht, nicht erfüllt sind.

Anders als der Antragsteller meint, ist allein die Tatsache, dass er Vater eines minderjährigen Sohnes ist, diesbezüglich nicht ausreichend. Erforderlich ist vielmehr eine tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern. Die vorgenannten Normen entfalten ausländerrechtliche Schutzwirkungen nicht bereits auf Grund formal-rechtlicher familiärer Bindungen. Es ist vielmehr unter Betrachtung des Einzelfalls zu würdigen, ob eine dem Schutzzweck des Art. 6 GG entsprechende Eltern-Kind-Gemeinschaft tatsächlich gelebt wird (vgl. dazu BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. Januar 2002 - 2BvR 231/00 -, InfAuslR 2002, 171; Senatsbeschlüsse vom 9. Juli 2002 - 1241/02 - und vom 4. April 2003 -18 B 660/03 -).

Dies hat das Verwaltungsgericht mit zutreffenden Ausführungen verneint, denen der Antragsteller lediglich damit entgegen getreten ist, dass es ihm nicht zum Nachteil gereichen dürfe, wenn ihm die Mutter seines Sohnes jeden Kpntakt zu diesem verweigere. Damit kann der Antragsteller nicht durchdringen. § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG gewährt Abschiebungsschutz u.a. nur, wenn der Ausländer mit einem deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, und ist deshalb wegen seines eindeutigen Wortlautes auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keiner weitergehenden Auslegung zugänglich.

Inwieweit die angeführten Umstände in einem anderen Zusammenhang (etwa bei der Prüfung einer Ausnahme von der Regelausweisung oder im Rahmen einer Ermessensprüfung) berücksichtigungsfähig sind, bedarf hier keiner Erörterung. Derartiges lässt jedenfalls die hier gegebene zwingende Ausweisung nach § 53 AufenthG (vormals § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG) nicht zu.

Ein unter der Geltung des Aufenthaltsgesetzes zusätzlich in den Blick zu nehmender Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG könnte im vorliegenden Beschwerdeverfahren bereits deshalb nicht berücksichtigt werden, weil sich die Beschwerde hierzu nicht verhält und der Senat - wie ausgeführt - aus prozessualen Erwägungen nur die dargelegten Gründe prüfen darf. Vorsorglich sei jedoch für das Widerspruchsverfahren darauf hingewiesen, dass dem Antragsteller auch ein solcher Ausweisungsschutz nicht zusteht. Dessen Voraussetzungen erfüllt er schon nicht, weil die Vorschrift den Besitz einer Niederlassungserlaubnis voraussetzt und damit - ebenso wie der bisherige § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG - in Abweichung von dem oben zum Beurteilungszeitpunkt aufgezeigten Grundsatz die aktuelle Innehabung dieses Rechts im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Ausweisungsverfügung fordert. Dies Erfordernis kann der Antragsteller schon nicht erfüllen, weil das Aufenthaltsgesetz bei Erlass der angefochtenen Ordnungsverfügung vom 13. Dezember 2002 noch nicht in Kraft getreten war. Darüber hilft dem Antragsteller auch die Übergangsregelung des § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht hinweg. Diese verändert nichts am hier maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt. § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG regelt lediglich, dass eine - wie dem Antragsteller - vor dem 1. Januar 2005 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnjs als Niederlassungserlaubnis fort gilt und setzt damit eine bis zum Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes bestehende Aufenthaltserlaubnis voraus, über die der Antragsteller nicht mehr verfügte; denn seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis war bereits gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1AuslG mit dem Wirksamwerden der hier angefochtenen Ordnungsverfügung erloschen. Daran vermöchte selbst eine Vollziehungsaussetzung im vorliegenden Verfahren nichts zu ändern. Das folgt zum einen aus der insoweit eindeutigen Regelung des § 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG, dem der jetzige § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG entspricht, wonach Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung unberührt lassen.