VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 17.01.2005 - 4 K 553/04.A - asyl.net: M6274
https://www.asyl.net/rsdb/M6274
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Kurden, PKK, Mitglieder, Haft, Straftäter, Terrorismusvorbehalt, Freiheitsstrafe, Staatenlose, Ausbürgerung, Flüchtlingsanerkennung, Widerruf, Änderung der Sachlage, Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, Gefahr für die Allgemeinheit, Zukunftsprognose, Wiederholungsgefahr, Sozialprognose, Strafaussetzung zur Bewährung
Normen: GG Art. 16a; AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 4; AuslG § 53 Abs. 6; AuslG § 51 Abs. 3 S. 1; AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 8; StGB § 57 Abs. 1
Auszüge:

Der Widerruf der Feststellung zu § 51 Abs. 1 AuslG läßt sich nicht auf § 73 Abs. 1 AsylVfG stützen.

Der Widerrufsbescheid ist deshalb rechtswidrig, weil kein Widerrufsgrund gegeben ist. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (ehemals § 51 Abs. 1 AuslG) liegen in der Person des Klägers weiterhin vor.

Der Tatbestand des § 60 Abs. 1 AufenthG ist erfüllt. Bei Rückkehr in die Türkei ist die Freiheit des Klägers wegen seiner politischen Uberzeugung bedroht; er hat dort eine menschenrechtswidrige Behandlung zu erwarten. Diese Feststellungen hat die Beklagte in dem Bescheid vom 7. März 1995 getroffen, gestützt unter anderem auf die Verurteilung des Klägers durch das Staatssicherheitsgericht Malatya. Der Einzelrichter hat keinen Anlaß, die Feststellungen in Zweifel zu ziehen, zumal sich in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten ein Auszug aus dem Standesamtsregister der Gemeinde L (Stand: 6. Februar 2001) befindet, nach dem der Kläger gemäß Schreiben Nr. 000 der Gendarmerie des Kreises W vom 2. Juni 2000 (weiterhin) gesucht wird. Die Feststellungen werden auch in dem Bescheid vom 17. Dezember 2003 nicht in Frage gestellt. Vielmehr wird dort bekräftigt, daß die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 und 4 AuslG weiterhin gegeben sind; § 51 Abs. 1 AuslG soll nicht vom Tatbestand, sondern nach Abs. 3 der Vorschrift ausgeschlossen sein.

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 AufenthG, der dem früheren § 51 Abs. 3 AuslG wörtlich entspricht, liegen indessen nicht vor. Die Vorschrift erlaubt die Abschiebung in den Verfolgerstaat nur, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen eine Gefahr darstellt, und zwar für die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder für die Allgemeinheit.

Eine derart qualifizierte Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland (1. Alt.) geht von dem Kläger nicht aus. In Betracht kommen insoweit nur politische oder politisch begründete Bestrebungen, nicht aber alle schweren Verstöße gegen die Rechtsordnung. Der Ausländer muß wegen seines politisch motivierten Tuns gegenwärtig als Gefahr anzusehen sein. Eine mehrere Jahre zurückliegende Tätigkeit als führendes Vorstandsmitglied einer Organisation, die im Heimatstaat mit terroristischen Mitteln kämpft, sowie die Begehung von Straftaten in dieser Funktion vor zehn Jahren erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Dies gilt besonders dann, wenn die Strafgerichte eine günstige Sozialprognose gestellt haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Januar 1995 - 9 C 276.94, DVBI. 1995, 572, 575 unter Hinweis unter anderem auf das Urteil vom 7. Oktober 1975 - 1 C 46.69, BVerwGE 49, 202).

In diesem Zusammenhang spielt es, auch wenn insoweit unterschiedliche Maßstäbe bestehen (

vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl. 2004, § 57 Rdnr. 12) keine Rolle, ob die Prognose nach § 56 StGB oder (nur) nach § 57 StGB gestellt wurde.

Erst recht fehlt es regelmäßig an der Wiederholungsgefahr, wenn die Aussetzung der Reststrafe nicht erst nach dem Zweidrittelzeitpunkt (§ 57 Abs. 1 StGB), sondern bereits vor der Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe nach § 57 Abs.-.2 StGB erfolgte (vgl. VGH Mannheim, Beschluß vom 28. März 1996 - 1 S 1404/95, InfAuslR 1996, 328, 330).

So liegt der Fall hier.

Dem Kläger konnten bereits zum Zeitpunkt des Widerrufsbescheides (17. Dezember 2003), erst recht zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, über einen Zeitraum von 16 Jahren keine kriminellen Aktivitäten mit terroristischem oder sonstigen politischem Hintergrund mehr nachgewiesen werden. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts E in dem Urteil vom 29. April 1993- VII 0/00 - war der Kläger seit Ende 1984 Mitglied in der PKK und erhielt dort eine Ausbildung als Kader. Im Auftrage seiner Partei war er jedenfalls im Jahre 1987 als Mitglied einer Wachmannschaft tätig, die Sanktionen gegen in Ungnade gefallene Parteiangehörige vollstreckten. Feststellungen zu einer Tätigkeit des Klägers für die PKK nach 1987 enthält das Urteil nicht. Derartige Feststellungen lassen sich auch nicht dem Urteil des Landgerichts I2 vom 25. Juni 1998 entnehmen. Die dort abgeurteilte Tat hatte ausweislich der Urteilsgründe keinen terroristischen Hintergrund. Vielmehr war sie Bestandteil einer Auseinandersetzung zwischen der Familie des Klägers und einer Familie U.

Ungeachtet der Schwere der abgeurteilten Tat hat das Oberlandesgericht E dem Kläger eine günstige Prognose nach § 57 Abs. 2 StGB gestellt. Dies ergibt sich aus dessen Beschluß vom 24. Juni 1993. Darin wurde die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt und die Bewährungszeit auf vier Jahre festgelegt. Aus den Gründen geht hervor, daß die Führung des Klägers im Vollzug nicht zu beanstanden gewesen sei und er sich gegenüber den Vollzugsbediensteten einwandfrei verhalten habe. Der Kläger habe nach seiner Haftentlassung am 29. April 1993 geordnete soziale Verhältnisse vorgefunden. Die nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB erforderlichen besonderen Umstände bejahte das Gericht.

Eine solche Prognose liegt vor. Sie ist - wie oben (3.1.) ausgeführt - bereits vom OLG E gestellt

worden. Durch die weitere Entwicklung hat sich hieran im Ergebnis nur insoweit etwas geändert,

als die letzte Prognose nicht mehr nach § 57 Abs. 2 StGB, sondern nach § 57 Abs. 1 StGB erfolgte. Auch eine solche Prognose schließt regelmäßig die Annahme einer Wiederholungsgefahr aus.

Die Strafaussetzung zur Bewährung mußte allerdings im Hinblick auf die am 22. Dezember 1995 verübte Tat widerrufen werden (Beschluß des AG X vom 26. Februar 1997 - 00 AR 00/00). Gleichwohl hat das LG I2 in seinem Urteil vom 25. Juni 1998 (00 a 0/00) die neuerlich verhängte Strafe von 18 Monaten wiederum zur Bewährung ausgesetzt. Es führte aus, daß der Kläger zwar Bewährungsversager sei, aber besondere Umstände vorlägen. Insgesamt sei zu erwarten, daß er sich die Verurteilung zur Warnung dienen lasse und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzuges keine Straftaten mebr begehen werde. Es kann dahinstehen, ob diese Einschätzung zum damaligen Zeitpunkt - wie das LG EI in seinem Beschluß vom 8. September 1998 (54 Qs 63/98) ausführte - inhaltlich nicht nachvollziehbar war. Die damals zwischen den Strafgerichten bestehende Divergenz in der Sozialprognose ist durch die weitere Entwicklung überholt.

Die für die weiteren Entscheidungen nach § 462 a Abs. 1 und 3 StPO zuständige Strafvollstreckungskammer bei dem LG C lehnte die bedingte Entlassung des Klägers aus der Strafhaft zwar zunächst noch ab, da eine verläßliche Prognose erst nach dem Ergebnis der Vollzugslockerung gestellt werden könne (Beschluß vom 23. Februar 1999 - StVK 000/00 (OOa) Bew). Diese Prognose fiel dann aber zu Gunsten des Klägers aus; der Kläger wurde bedingt aus der Strafhaft entlassen, da eine solche Erprobung nach Meinung des Landgerichts verantwortet werden konnte (Beschluß vom 27. April 1999 - StVK G 0000/00 (OOa)), § 57 Abs. 1 StGB i. V .m. § 454 Abs. 1 StPO. Die noch nicht verbüßte Reststrafe wurde schließlich erlassen, nachdem die Bewährungszeit abgelaufen war (Beschluß des LG C vom 2: Mai 2003 - StVK G 0000/00 (00) Bew).

Tatsachen, aus denen sich schließen ließe, daß ausnahmsweise bei dem Kläger entgegen den Entscheidungen der sachkundigen und mit seiner Person vertrauten Strafgerichte eine Wiederholungsgefahr anzunehmen wäre, hat das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid nicht dargetan. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich.

Das Bundeskriminalamt sowie das Bundesamt für Verfassungsschutz teilten dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Schreiben vom 14. und 15. Mai 2003 mit, über den Kläger lägen keine weiteren Erkenntnisse zu aktuellen Kontakten, etwa zur PKK- Nachfolgeorganisation KADEK, vor. Auch weitere Straftaten sind dem Kläger nicht nachgewiesen.