LSG Baden-Württemberg

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Zitieren als:
LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 07.12.2004 - L 11 RJ 1912/04 - asyl.net: M6305
https://www.asyl.net/rsdb/M6305
Leitsatz:

Asylbewerber haben erst mit bindender Anerkennung ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gem. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I; Ausländer mit geduldetem Aufenthalt haben keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Jugoslawen, Abgelehnte Asylbewerber, Rente, Berufsunfähigkeitsrente, Erwerbsunfähigkeitsrente, Abschiebungshindernis, Duldung, gewöhnlicher Aufenthalt, Pflichtbeiträge, Kindererziehungszeiten
Normen: SGB I § 30 Abs. 3 S. 2; SGB VI § 300 Abs. 2
Auszüge:

 

Der Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit.

Zutreffend hat das SG entschieden, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Rentenanspruch nicht erfüllt sind.

Da vorliegend - ausgehend von dem unstreitig seit 02.06.2000 auf unter halbschichtig herabgesunkenen Leistungsvermögen des Klägers - ausweislich des Versicherungsverlaufs in dem maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vom 02.06.1995 bis 01.06.2000 nur fünf Monate Pflichtbeiträge nachgewiesen sind, wären die für den Rentenanspruch erforderlichen 36 Pflichtbeiträge nur dann gegeben, wenn dem Kläger eine Kindererziehungszeit für das am (...) geborene Kind S. zugeordnet werden könnte.

Die Voraussetzungen, unter denen dem Kläger eine Kindererziehungszeit anzuerkennen wäre, liegen aber für die Zeit vom (...) nicht vor. Dabei lässt auch der Senat wie das SG offen, ob der Kläger das Kind S. tatsächlich überwiegend erzogen hat, denn die Anerkennung einer Kindererziehungszeit scheitert vorliegend an der Erziehung im Inland. Damit die Erziehung in der Bundesrepublik erfolgt ist, müssen der Kläger und das Kind S. sich während des fraglichen Zeitraums der Kindererziehung dort gewöhnlich aufgehalten haben. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht vorübergehend verweilt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil- SGB I -). An den Wohnsitz nach § 30 Abs. 3 Satz 1 SGB I knüpft § 56 Abs. 3 SGB VI nicht an. Die Legaldefinition des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I gilt für alle Sozialleistungsbereiche des SG, soweit sich nicht aus seinen besonderen Teilen etwas anderes ergibt (§ 37 Satz I SGB 1). Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts knüpft an die objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnisse während des Beurteilungszeitraums an (vgl. BSG SozR 3 - 2600 § 56 Nr. 7). Ein Domizilwille, der mit den tatsächlichen Umständen nicht übereinstimmt, ist unbeachtlich (BSG SözR 3 - 1200 § 30 Nr. 13; BSG SozR 3 - 6710 Art. 1 Nr. 1). Der Elternteil und das Kind müssen während der als Kindererziehungszeit geltend gemachten Zeit faktisch den Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse im Inland gehabt und sich hier rechtlich gebilligt und nicht nur vorübergehend - etwa besuchsweise oder zu Urlaubs- oder Behandlungszwecken - aufgehalten haben. Der Aufenthalt muss zukunftsoffen, d. h. nicht auf Beendigung angelegt gewesen seien. Zu den nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I der Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthalts zugrunde zu legenden Umständen gehört auch der ausländerrechtliche Status, der so beschaffen sein muss, dass der tatsächliche Aufenthalt des die Anrechnung der Kindererziehungszeit begehrenden Elternteils während des in Frage stehenden Zeitraums nicht nur vorübergehend war. Einen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Sinne haben Ausländer, die einer Aufenthaltsgenehmigung bedürfen, wenn sie im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung, (§ 27 AuslG) oder einer Aufenthaltserlaubnis (§ 15 AuslG) und - unter bestimmten Umständen - einer Aufenthaltsbefugnis (§ 30 ff. AuslG) sind. Asylbewerbern ist nach § 55 AsylVerfG der Aufenthalt im Inland zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet. Sie haben vor bindender oder rechtskräftiger Feststellung des Asylrechts ihren gewöhnlichen Aufenthalt regelmäßig nicht im Inland (BSGE 49, 254; 58,294; 62, 67; 67, 243; BSG SozR 3 - 2600 § 56 Nr. 2, 3, 11). Hierbei bleibt die Dauer des tatsächlichen Aufenthalts außer Betracht, unabhängig davon, wie lange er bereits andauerte oder noch andauern wird (BSG Breithaupt 1988, S. 339). Bloße Duldungen nach §§ 55, 56 AuslG stehen der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts stets entgegen, weil sie eine aktuelle Ausreisepflicht voraussetzen, deren Durchsetzung vorübergehend zeitweise ausgesetzt wird. Das gleiche gilt von einer Aussetzung der Abschiebung nach § 54 AuslG und für rein verwaltungsinteme Regelungen oder Handhabungen, nach denen eine bestehende Ausreisepflicht vorübergehend nicht durchgesetzt wird.

In Ansehung dieser rechtlichen Gegebenheiten hatten der Kläger und das Kind S. im fraglichen Zeitraum vom (...) keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Ausweislich der vorliegenden Ausländerakten waren vom Verwaltungsgericht Karlsruhe in seinem Urteil vom 10.03.1993 die Voraussetzungen für ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG angesichts der damals berichteten Repressionen gegen Kosovo-Albaner bei einer Rückkehr in ihre Heimat bejaht worden. Dem Kläger und seiner Familie wurden deshalb von der Ausländerbehörde nach rechtsverbindlicher Ablehnung des Asylantrages Duldungen ab 30.08.1993 erteilt. Der Aufenthalt war mithin auch in der fraglichen Zeit vom (...) auf Beendigung angelegt. Die Duldungen sollten gerade keinen dauerhaften Aufenthalt ermöglichen, vielmehr sollte der Aufenthalt mit Wegfall des Hindernisses beendet werden. Es liegen keine Anhaltspunkte für ein Abschiebehindernis auf unabsehbare Zeit vor. Bereits in einem Schreiben des Regierungspräsidiums Freiburg vom 06.03.1996 an die Ausländerbehörde T. wurde darauf hingewiesen, dass die Verhältnisse im Herkunftsland des Klägers (Restjugoslawien bzw. Kosovo) nach derzeitiger Rechtsprechung nicht die Annahme des Vorliegens von Abschiebungshindernissen rechtfertigten. Es sollte deshalb eine neue Ausreiseaufforderung mit Abschiebeandrohung für den Kläger erlassen werden. Nach Inkrafttreten des deutsch- jugoslawischen Rückübernahmeabkommens im Dezember 1996 forderte das Regierungspräsidium Freiburg den Kläger und seine Familie mit Bescheid vom 21.02.1997 unter Abschiebungsandrohung auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von drei Monaten zu verlassen. Derartige Maßnahmen und auch Aufforderungen zu einer freiwilligen Rückkehr wurden auch in der Folgezeit und nach erneuter Ablehnung der Asylanträge, jetzt auch des Kindes S., fortgesetzt. Daraus wird deutlich, dass die behördliche Duldungspraxis keineswegs von einer schon verfestigten Lage in Jugoslawien bzw. im Kosovo, sondern nur von einer vorübergehenden krisenhaften Situation ausging. Damit steht fest, dass die ausgesprochenen Duldungen auf Beendigung des Aufenthalts des Klägers und seiner Familie ausgerichtet waren und somit lediglich ein vorübergehendes Verweilen im Bundesgebiet ermöglichten.

Der geltend gemachte Anspruch lässt sich schließlich auch nicht aus Vorschriften des über- und zwischenstaatlichen Rechts, insbesondere aus dem Abkommen vom 12.10.1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jugoslawien über soziale Sicherheit ableiten. Dieses Abkommen kann entgegen der Auffassung des Klägers nicht unmittelbar als Grundlage für den "gewöhnlichen Aufenthalt" herangezogen werden, denn Art. 3 des Abkommens setzt für die Gleichstellung den gewöhnlichen Aufenthalt voraus. Dieser bestimmt sich vorliegend nach den deutschen Rechtsvorschriften.