BVerwG

Merkliste
Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 25.11.2004 - 5 CN 2.03 - asyl.net: M6320
https://www.asyl.net/rsdb/M6320
Leitsatz:

Zur Rechtmäßigkeit von Ausführungsbestimmungen zur Pauschalierung der Hilfe zum Lebensunterhalt. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), BSHG, Hilfe zum Lebensunterhalt, Pauschalierung der Sozialhilfe, Leistungspauschalen, Pauschverordnung, Rechtsverordnung, Verwaltungsvorschriften, Normenkontrolle, Bedarfsdeckungsgrundsatz, Publikationsgebot, Rechtsstaatsprinzip
Normen: VwGO § 47 Abs. 1 Nr. 2; BSHG § 101a S. 2
Auszüge:

Die zulässige Revision ist begründet.

Zu Recht hält der Verwaltungsgerichtshof den Normenkontrollantrag für zulässig.

Nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. Art. 5 Satz 1 BayAGVwGO entscheidet der

Verwaltungsgerichtshof über die Gültigkeit von im Rang unter dem Landesgesetz

stehenden Rechtsvorschriften. Die hier im Normenkontrollverfahren zur Prüfung gesteIIten Ausführungsbestimmungen der Antragsgegnerin zur Pauschalierung der Hilfe zum Lebensunterhalt sind solche Rechtsvorschriften.

Ausgehend von der Ermächtigung in § 101a BSHG i.V.m. der bayerischen Verordnung zur Durchführung von Modellvorhaben zur Pauschalierung der Sozialhilfe - PauschVO - vom 10. Januar 2000 (BayGVBI S. 21) ist Regelungsgegenstand der Ausführungsbestimmungen, ob und gegebenenfalls inwieweit für bestimmte Bedarfe der Hilfe zum Lebensunterhalt statt einmaliger Leistungen monatliche Pauschalen gewährt werden. Diese Regelungen hat die Antragsgegnerin nicht als Rechtsverordnung oder Satzung, sondern als Verwaltungsvorschrift getroffen.

Zwar sind allein verwaltungsintern bindende und steuernde Verwaltungsvorschriften keine Rechtsvorschriften im Sinne von § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Denn ihnen fehlt die für eine Rechtsvorschrift charakteristische Außenwirkung (BVerwGE 75, 109; 94, 3 5). Aber zu den im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften gehören nach der Zweckrichtung der Normenkontrolle und dem danach gebotenen weiten Begriffsverständnis nicht nur Satzungen und Rechtsverordnungen, sondern auch solche (abstrakt-generellen) Regelungen der Exekutive, die rechtliche Außenwirkung gegenüber dem Bürger entfalten und auf diese Weise dessen subjektiv-öffentlichen Rechte unmittelbar berühren (BVerwGE 94, 335 338> zur Regelsatzfestsetzung durch Verwaltungsvorschrift).

Zutreffend hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass die formal in Verwaltungsvorschriften getroffenen Ausführungsbestimmungen der Antragsgegnerin nach ihrem Inhalt darauf gerichtet sind, im Außenverhältnis in derselben Weise in subjektive Rechte einzugreifen, wie das auch bei sonstigen Rechtsvorschriften (Rechtsverordnungen, Satzungen) im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO der Fall ist, ihnen also unmittelbare Außenwirkung auch gegenüber den Hilfeempfängern zukommt. Dies zeigt die folgende Betrachtung des einschlägigen Regelungsgefüges: Nach § 22 BSHG werden laufende Leistungen zum Lebensunterhalt außerhalb von Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen nach Regelsätzen, also pauschaliert gewährt. Für besondere Personengruppen bestimmt das Bundessozialhilfegesetz, dass weitere Leistungen pauschaliert zu erbringen sind (Mehrbedarf nach § 23 BSHG). Für die Bedarfe Kleidung, Wohnen und Schule, für die die Ausführungsbestimmungen der Antragsgegnerin von den dort benannten Ausnahmen abgesehen Pauschalen festlegen, regelt weder das Bundessozialhilfegesetz noch eine aufgrund dieses Gesetzes erlassene Rechtsverordnung selbst, dass hierfür Sozialhilfe pauschaliert zu erbringen sei. Nach § 101a BSHG soll zwar die Pauschalierung weiterer Leistungen erprobt werden, er legt aber nicht im Einzelnen fest, für welche Bedarfe Sozialhilfe nach Pauschalen zu leisten ist, sondern ermächtigt die Landesregierungen, die Träger der Sozialhilfe durch Rechtsverordnung zu ermächtigen, in Modellvorhaben Leistungen der Sozialhilfe pauschaliert zu erbringen. Aufgrund dieser bundesrechtlichen Ermächtigung hat die Bayerische Staatsregierung mit der Verordnung zur Durchführung von Modellvorhaben zur Pauschalierung der Sozialhilfe nicht selbst bestimmt, für welche Bedarfe Sozialhilfeleistungen pauschaliert zu erbringen sind, sondern die Träger der Sozialhilfe ermächtigt, in Modellvorhaben die Pauschalierung von Sozialhilfeleistungen im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt einschließlich der Kosten der Unterkunft und im Rahmen der Hilfe in besonderen Lebenslagen zu erproben, soweit das Bundessozialhilfegesetz solche Pauschalierungen nicht bereits vorsieht oder enthält (§ 1 Abs. 1 PauschVO). Nach diesen Vorgaben der bundesrechtlichen und der landesrechtlichen Ermächtigung wird die Festlegung, dass weitere Leistungen der Sozialhilfe nicht individuell bemessen, sondern pauschaliert zu erbringen sind, erst durch die Träger der Sozialhilfe, hier die Antragsgegnerin, getroffen. Das gilt für den Personenkreis, dem Sozialhilfeleistungen pauschaliert zu erbringen sind, für die Voraussetzungen (Bedarfe), unter denen Sozialhilfeleistungen pauschaliert zu erbringen sind, und für die Höhe der Pauschalbeträge. Damit sind die Ausführungsbestimmungen der Antragsgegnerin zur Pauschalierung nicht eine nur binnenrechtlich wirkende, allein diese bindende Bemessungsrichtlinie. Vielmehr kommt ihnen auf der Grundlage der bundes- und landesrechtlichen Ermächtigungen, unter Zurückdrängung des Grundsatzes der Individualisierung der Sozialhilfe für bestimmte Bedarfe Pauschalbeträge festzusetzen, Bindungswirkung auch gegenüber den Sozialhilfe begehrenden Bürgern zu.

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs ist der Normenkontrollantrag

begründet. Die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofs, dem rechtsstaatlichen Publikationsgebot könne durch an die Hilfeempfänger verteilte Merkblätter entsprochen werden, verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Im vorliegenden Verfahren ist nicht zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen allgemeine Verwaltungsvorschriften für ihre Wirksamkeit der Verkündung in einem dafür vorgesehenen Publikationsorgan auch dann bedürfen, wenn diese nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist; soweit das Bundesverwaltungsgericht zu einer unmittelbar nur verwaltungsintern bindenden und steuernden ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift, die allenfalls mittelbar eine anspruchsbegründende Außenwirkung zu begründen vermöge, dahin erkannt hat, dass sie für ihre Wirksamkeit über die Bekanntgabe an die behördlichen Adressaten hinaus keiner Veröffentlichung bedürfe (vgl. BVerwGE 104, 220 224 ff.>), ist dies auf die Ausführungsbestimmungen der Antragsgegnerin nicht zu übertragen, denen unmittelbare Außenwirkung auch gegenüber den Hilfeempfängern zukommt.

Nicht gefolgt werden kann indes der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass dem Publikationsgebot durch die den Bewilligungsbescheiden an die Hilfeempfänger beigefügten Merkblätter Genüge getan sei, die nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs den Inhalt und die Auswirkungen der Ausführungsbestimmungen sowie den Zeitraum ihrer Geltung eingehend erläuterten. Bekanntgabe der Verwaltungsvorschrift ist nur die Bekanntgabe der Regelung selbst, eine selektive, erläuternde Wiedergabe ihres Inhalts ist nicht ausreichend. Die Bekanntgabe der Verwaltungsvorschrift soll es dem Bürger gerade ermöglichen, sie nicht bereits vorinterpretiert, sondern eigenständig zu erfassen.

Der Pflicht zur Publikation von Verwaltungsvorschriften mit unmittelbarer Außenwirkung gegenüber den Betroffenen genügt auf jeden Fall die Publikation in dem für den Verwaltungsträger für die Veröffentlichung von Rechtsnormen vorgeschriebenen amtlichen Medium. Damit ist den Betroffenen die Möglichkeit gegeben, sich rechtzeitig und umfassend zu informieren. Ob auch eine andere Art und Weise der Bekanntmachung, z.B. durch eine unmittelbare Übergabe des Vorschriftentextes an die Betroffenen, ausreichend wäre, bedarf in diesem Verfahren keiner Erörterung und Entscheidung.