VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Beschluss vom 11.03.2005 - 24 L 486/05 - asyl.net: M6343
https://www.asyl.net/rsdb/M6343
Leitsatz:

Kein Abschiebungsschutz wegen familiärer Lebensgemeinschaft mit einem deutschen Kind, wenn dem Kind mangels familiärer Lebensgemeinschaft mit einem deutschen Familienangehörigen die Ausreise ins Herkunftsland des Ausländers zumutbar ist.

 

Schlagwörter: D (A), Sierra Leoner, Kameruner, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Schutz von Ehe und Familie, Duldung, Familienangehörige, Deutsche Kinder
Normen: GG Art. 6; EMRK Art. 8;
Auszüge:

Kein Abschiebungsschutz wegen familiärer Lebensgemeinschaft mit einem deutschen Kind, wenn dem Kind mangels familiärer Lebensgemeinschaft mit einem deutschen Familienangehörigen die Ausreise ins Herkunftsland des Ausländers zumutbar ist.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, §§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. 920 Abs. 2, 294 ZPO.

Ein Abschiebungshindernis in Gestalt der rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung (§ 60a Abs. 2 AufenthG) wegen des Schutzes der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1, 2 GG, Art. 8 EMRK ist nicht glaubhaft gemacht.

Dabei kann offen bleiben, ob auch die Beziehung zwischen dem Antragsteller und dem deutschen Kind seiner Lebensgefährtin - mit der er nicht verheiratet ist - eine eigene, grundrechtlichen Schutz genießende familiäre Lebensgemeinschaft bildet (verneinend in einem solchen Fall wie dem vorliegenden OVG Münster, Beschluss vom 09. Mai 2000, 17 B 622/00: Art. 6 GG schütze nur die Beziehung des Ausländers zu seinem nichtehelichen Kind und nur über dieses Kind zu dessen Mutter, nicht aber die Beziehung zu einem weiteren Kind der Mutter seines nichtehelichen Kindes).

Indes begründet Art. 6 Abs. 1 GG hier unabhängig von der Frage, ob der Antragsteller auch mit dem deutschen Kind seiner Lebensgefährtin eine familiäre Lebensgemeinschaft führt, so dass die vier Personen insgesamt eine Familie i.S.d. Grundgesetzes bilden, oder ob zwei "sich überschneidende" familiäre Lebensgemeinschaften vorhanden sind, nämlich die zwischen der Lebensgefährtin und ihren beiden Kindern einerseits und die zwischen dem Antragsteller, seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Kind andererseits, keinen Abschiebungsschutz (im Ergebnis ebenfalls ein Abschiebungshindernis verneinend OVG Münster a.a.O).

Denn aus dem Schutz der Familie folgt grundsätzlich nicht, dass die Möglichkeit zur Führung der familiären Lebensgemeinschaft gerade im Bundesgebiet gewährt werden muss. Etwas anderes gilt regelmäßig (nur) dann - jedenfalls wenn kein Fall vorliegt, in dem der Zuzug zu einem Familienmitglied begehrt wird, dessen Verbleib in Deutschland aufenthaltsrechtlich auf Dauer gesichert ist oder für den ein Anspruch auf Einräumung eines Daueraufenthaltsrechts besteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987, 2 BvR 1226/83 u.a., BVerfGE 76, 1 = NJW 1988, 626, unter C. 1. 5. b) bb) (4) der Gründe), wenn die Lebensgemeinschaft auf Grund besonderer Umstände zumutbarerweise nur im Bundesgebiet geführt werden kann (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. September 2000,18 B 1074/00, InfAuslR 2001, 157; ferner BVerfG, Beschluss vom 31. August 1999, 2 BvR 1523/99 m.w.N., InfAuslR 2000, 67; speziell zur Konstellation unterschiedlicher Staatsangehörigkeiten von Familienmitgliedern VGH Mannheim, Beschluss vom 27. Juli 1995, 13 S 3358/94, NVwZ-RR 1996, 533).

Es kommt hier mithin darauf an, ob die Lebensgemeinschaft bzw. die Lebensgemeinschaften zumutbarerweise auch in einem anderen Staat - in Betracht kommen Sierra Leone und Kamerun - geführt werden könnte(n).

Die Führung der Lebensgemeinschaft(en) im Ausland ist hier nicht deshalb von vornherein unzumutbar, weil ein Kind der Lebensgefährtin des Antragstellers die deutsche Staatsangehörigkeit hat (anders in einem Fall mit deutschen Stiefkindern VGH BaWü, Beschluss vom 29. März 2001, 13 S 2643/00, InfAuslR 2001, 283).

Denn ob aus dem Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1, 2 GG ein Abschiebungshindernis folgt, ist eine Frage der Abwägung im Einzelfall (so die st. Rspr. des BVerfG, vgl. nur Kammerbeschluss vom 30. Januar 2002, 2 BvR 231/00, InfAuslR 2002, 171, unter B. II. 1. m.w.N).

Dabei sind die familiären Belange, d.h. die familiären Bindungen im Bundesgebiet, den öffentlichen - namentlich auch einwanderungspolitschen - Belangen gegenüberzustellen. Hier ist dabei zu berücksichtigen, dass das erste Kind der Lebensgefährtin des Antragstellers zwar die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, eine Beziehung zu dem deutschen Vater aber nicht mehr besteht. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von den Fällen, in denen das Bundesverfassungsgericht in der Konstellation deutscher Elternteil (Mutter) - ausländischer Elternteil (Vater) - gemeinsames nichteheliches Kind ein Zurückdrängen einwanderungspolitischer Belange angenommen hat: In diesen Fällen hat das Bundesverfassungsgericht die Unzumutbarkeit des Verlassens der Bundesrepublik für das Kind stets nicht oder nicht allein mit dessen deutscher Staatsangehörigkeit begründet, sondern mit der Beziehung zum deutschen Elternteil. So heißt es etwa in dem Kammerbeschluss vom 10. August 1994 - 2 BvR 1542/94 -: "Besteht eine solche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Kind und kann diese Gemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden, etwa weil dem Kind deutscher Staatsangehörigkeit wegen dessen Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück." Angesichts des Alters des Kindes, das im Dezember drei Jahre alt geworden ist, ist auch nicht davon auszugehen, dass das Verlassen der Bundesrepublik und ein Leben in einem anderen Land deshalb nicht (mehr) zumutbar ist, weil das Kind bereits in der Bundesrepublik verwurzelt ist.