VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 17.02.2005 - 5 B 03.2842 - asyl.net: M6357
https://www.asyl.net/rsdb/M6357
Leitsatz:

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Entscheidung über eine Anspruchseinbürgerung ist die letzte mündliche Verhandlung in einer Tatsacheninstanz; die Hinnahme der Mehrstaatigkeit bei anerkannten Flüchtlingen setzt gem. § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StAG den Besitz eines Reiseausweises für Flüchtlinge voraus.

 

Schlagwörter: Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Mehrstaatigkeit, Konventionsflüchtlinge, Asylberechtigte, Flüchtlingsausweis, Widerruf, Kosovo, Albaner, Serbien und Montenegro, Entlassung, Staatsangehörigkeit, Zusicherung, Ermessenseinbürgerung, Zuständigkeit, Entscheidungszeitpunkt, letzte mündliche Verhandlung
Normen: StAG § 10; StAG § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3; StAG § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 6; VwVfG § 38; StAG § 8
Auszüge:

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Entscheidung über eine Anspruchseinbürgerung ist die letzte mündliche Verhandlung in einer Tatsacheninstanz; die Hinnahme der Mehrstaatigkeit bei anerkannten Flüchtlingen setzt gem. § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StAG den Besitz eines Reiseausweises für Flüchtlinge voraus.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Berufung ist begründet; denn in dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung hat der Kläger gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit.

1. Die Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs auf Einbürgerung richtet sich nach der Rechtslage im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht, auch wenn der Kläger seinen Einbürgerungsantrag im Oktober 2000 gestellt hat. Wird mit der Verpflichtungsklage der Erlass eines Verwaltungsakts begehrt, darf die Behörde zu dessen Erlass nur verpflichtet werden, wenn sie dazu nach der geltenden Rechtslage verpflichtet bzw. befugt ist. Ändern sich die maßgeblichen Rechtsvorschriften, ist die neue Rechtslage vorbehaltlich abweichender Übergangsregelungen auch dann zu berücksichtigen, wenn sie dem Kläger nachteilig ist (BVerwG, B.v. 19.8.1996 - 1 B 82.95, InfAuslR 1996, 399 m.w.N. zur Einbürgerung).

Während des Berufungsverfahrens ist das Staatsangehörigkeitsrecht mit Wirkung zum 1. Januar 2005 durch Art. 5 des Zuwanderungsgesetzes (Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 30.7.2004, BGBl. I S. 1950) neu gefasst worden. Die für die Beurteilung des streitgegenständlichen Einbürgerungsanspruchs bisher maßgeblichen Regelungen der §§ 85 ff. AuslG finden sich nunmehr (leicht modifiziert) in §§ 10 ff. StAG. Eine besondere Übergangsregelung enthält das Gesetz nicht. Der Gesetzgeber war sich aber, wie aus Art. 5 Nr. 18 Zuwanderungsgesetz (Einfügung von § 40c StAG für bis zum 16.3.1999 gestellte Einbürgerungsanträge) deutlich wird, des intertemporalen Regelungsbedarfs für anhängige Einbürgerungsanträge bewusst. Damit verbleibt es entsprechend der Grundregel bei der Maßgeblichkeit des nunmehr geltenden Rechts.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger die Voraussetzungen für eine Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG bis auf den Fortfall seiner bisherigen Staatsangehörigkeit (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG) erfüllt. Die von der Klägerseite geltend gemachten Ausnahmen, unter denen Mehrstaatigkeit hinzunehmen ist, greifen nicht durch.

Die Ausnahmeregelung für politisch Verfolgte kommt nicht (mehr) in Betracht. § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG stellt - anders als § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AuslG - nicht auf den Status eines politisch Verfolgten oder Flüchtlings, sondern auf den - rechtmäßigen (vgl. BayVGH, U.v. 17.2.2005 - 5 BV 04.392) – Besitz u.a. eines Reiseausweises nach Art. 28 der Genfer Flüchtlingskonvention ab. Ein derartiges Dokument besitzt der Kläger nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten nicht mehr; er hat ihn entsprechend seiner Verpflichtung aus § 73 Abs. 6 i.V.m. § 72 Abs. 2 AsylVfG a.F. bei der Ausländerbehörde abgegeben, nachdem der Widerruf seiner Asylanerkennung am 13. März 2004 unanfechtbar geworden war.

Außer Betracht muss bleiben, dass der Kläger früher den Status eines anerkannten Asylberechtigten innegehabt und damit den Reiseausweis rechtmäßig besessen hat. Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG erfüllt sind, beurteilt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof; denn den gesetzlichen Regelungen ist kein anderer zeitlicher Anknüpfungspunkt zu entnehmen. Die Überlegungen der Klägerseite, die im Aufenthaltsrecht bei Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Minderjährigkeit im Rahmen des § 23 Abs. 1 Nr. 2 AuslG für eine Vorverlagerung des Beurteilungszeitpunktes auf die Antragstellung sprechen (vgl. BVerwG, U.v. 30.4.1998 – 1 C 12.96, NVwZ-RR 1998, 677), lassen sich auf die Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG mangels vergleichbarer Schutzbedürftigkeit der Betroffenen nicht übertragen. Während sich für einen die Aufenthaltserlaubnis beantragenden Minderjährigen der Zeitablauf infolge eines behördlichen und ggf. gerichtlichen Prüfungsverfahrens nur zu seinen Lasten auswirken kann, besteht eine solche Zwangsläufigkeit für den politisch Verfolgten oder Flüchtling im Einbürgerungsverfahren keineswegs. Zudem enthält § 12 Abs. 1 StAG Hinderungsgründe für eine Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit als Ausnahmen von der gewichtigen gesetzlichen Regel der Vermeidung von Mehrstaatigkeit, die bei systematischer und teleologischer Auslegung nur greifen, wenn sie im Zeitpunkt der Entscheidung über die Einbürgerung (noch) vorliegen. Nur dann kann davon ausgegangen werden, dass dem Einbürgerungsbewerber die Aufgabe seiner bisherigen Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen möglich ist (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG).

Der von dem Kläger darüber hinaus geltend gemachte Ausnahmetatbestand des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAG für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit wegen unzumutbarer Entlassungsbedingungen ist nicht erfüllt. Das pauschale Vorbringen, für Kosovo-Albaner sei die Durchführung des Entlassungsverfahrens aus der serbischmontenegrinischen Staatsbürgerschaft generell unzumutbar, reicht hierfür nicht aus; zumal der Kläger mehrfach im Mai und Juli 2004 im Generalkonsulat vorgesprochen hat. Die mangelnde Bereitschaft albanischer Volkszugehöriger, die früheren Verfolger in Form von Entlassungsgebühren finanziell unterstützen zu wollen, begründet keine generelle Unzumutbarkeit, die Staatsangehörigkeit gerade des früheren Verfolgerstaates aufzugeben.

2. Ein Anspruch auf Einbürgerung unter Hinnahme der bisherigen Staatsangehörigkeit auf der Grundlage der Ermessensvorschrift des § 8 StAG in Verbindung mit dem Gedanken der Folgenbeseitigungslast, wie ihn das Verwaltungsgericht hilfsweise erwogen hat, ist nicht Streitgegenstand dieses Verfahrens.

Wenn der Ausländer seinen Einbürgerungsantrag nicht auf bestimmte Anspruchsgrundlagen beschränkt hat, ist allerdings Gegenstand des Verwaltungsverfahrens die Einbürgerung sowohl im Anspruchs- als auch im Ermessenswege (vgl. BVerwG, U.v. 20.4.2004 - 1 C 16.03, NVwZ 2004, 1368/1369). Im Freistaat Bayern sind jedoch nach der Verordnung über die Zuständigkeit der Staatsangehörigkeitsbehörden vom 2. Januar 2000 (GVBl. S. 6; geändert durch VO vom 31.1.2005, GVBl. S. 24) für Einbürgerungen nach § 8 StAG die Regierungen zuständig (§ 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a), während die Anspruchseinbürgerungen den Kreisverwaltungsbehörden obliegen (§ 1) und demzufolge gem. Art. 9 Abs. 1 der Gemeindeordnung (GO) in die Kompetenz der kreisfreien Gemeinden fallen.

Der - anwaltlich vertretene - Kläger hat seine Klage ausdrücklich (nur) gegen die Stadt Regensburg mit dem Ziel einer Anspruchseinbürgerung nach § 85 ff. AuslG (nunmehr §§ 10 ff. StAG) gerichtet. Entsprechend eingeschränkt ist der vom Gericht zu beurteilende Streitgegenstand; denn der Streitgegenstandsbegriff als Kern des Prozessrechtsverhältnisses enthält mit Blick auf den ausgewählten Beklagten auch ein personales Element (vgl. Rennert a.a.O. § 91 Rdnr. 20).