VG Aachen

Merkliste
Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 02.03.2005 - 6 K 1593/01.A - asyl.net: M6360
https://www.asyl.net/rsdb/M6360
Leitsatz:

Ärztliche Atteste sind regelmäßig nicht geignet, erlittene Verfolgung nachzuweisen.

 

Schlagwörter: Türkei, Kurden, Folgeantrag, Neue Beweismittel, Psychische Erkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung, Glaubwürdigkeit, Fachärztliche Stellungnahmen, Vergewaltigung, Sicherheitskräfte, Beweisantrag, Ablehnung, Medizinische Versorgung
Normen: GG Art. 16a; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7; AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51
Auszüge:

Ärztliche Atteste sind regelmäßig nicht geignet, erlittene Verfolgung nachzuweisen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen, § 71 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG).

Die in § 51 Abs. 2 VwVfG getroffene Entscheidung des Gesetzgebers soll ersichtlich verhindern, dass Antragsteller Verfahren in die Länge ziehen und sich alleine schon dadurch einen Zeitvorteil verschaffen, dass sie nach Art einer "Salamitaktik" Angriffs und Verteidigungsmittel nicht in einem laufenden Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren vorbringen, sondern sie bewusst zurückhalten, um mit Hilfe "aufgesparter" Angriffs- und Verteidigungsmittel nach negativem Ausgang des Erstverfahrens ein neues Verfahren einzuleiten, die Bestands oder Rechtskraft ergangener Entscheidungen zu durchbrechen und zunächst einmal zumindest eines zu erreichen: einen Zeitgewinn. Vor allem in Asylverfahren ist der mit der Einleitung eines zulässigen Folgeverfahrens zunächst einmal verbundene Zeitgewinn ein - nachvollziehbar - erstrebenswertes Ziel des Antragstellers, das jedoch der erkennbaren Intention des Gesetzgebers widerspricht. Durch die Bezugnahme in § 71 Abs. 1 AsylVfG auf die Regelung des § 51 Abs. 2 VwVfG soll nämlich - wie schon mit anderen Worten gesagt - Verfahrensverzögerungen durch "scheibchenweises" Vorbringen entscheidungserheblicher Sachverhalte aufgrund verfahrenstaktischer Überlegungen ein Riegel vorgeschoben werden. Zum Zweck der Verfahrensbeschleunigung soll der Antragsteller ersichtlich angehalten werden, entscheidungserhebliche Fakten bereits im Erstverfahren vorzutragen. Verstößt er gegen die offenkundig aus § 51 Abs. 2 VwVfG folgende bzw. von dieser Vorschrift vorausgesetzte Verpflichtung zur Verfahrensbeschleunigung, wird sein Verhalten dadurch sanktoniert, dass er mit dem vorwerfbar im Erstverfahren zurück gehaltenen Vorbringen im Folgeverfahren ausgeschlossen bleibt. Verschweigt einAntragsteller in einem Erstverfahren in vorwerfbarer Weise eine voraussichtlich entscheidungserhebliche Erkrankung und bemüht er sich auch nicht, eine ärztliche Bescheinigung über die Erkrankung zu beschaffen und in das Verfahren einzuführen, so wird nach dem dargelegten Sinn des § 51 Abs. 2 VwVfG selbstverständlich auch ein solches Verhalten sanktioniert; der Antragsteller bleibt in einem Folgeverfahren mit diesem Vorbringen ausgeschlossen.

Für die Klägerin ergibt sich daraus, dass sie sich auf die erst nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens beschafften ärztlichen Atteste im vorliegenden Folgeverfahren nicht mehr stützen kann. Zur Recht weist das Bundesamt im ablehnenden Bescheid in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Klägerin schon lange vor dem Abschluss ihres Erstverfahrens Bescheinigungen bzw. Atteste von Fachärzten betreffend eine psychische Erkrankung hätte beschaffen und vorlegen können.

Unabhängig davon ist der Asylfolgeantrag auch unzulässig, weil der von der Klägerin zur Begründung des Folgeantrages vorgetragene Sachverhalt objektiv nicht geeignet ist, nunmehr im Folgeverfahren zu einer Anerkennung der Klägerin als Asylberechtigte nach Art. 16 a GG oder zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen einer Abschiebungsschutzberechtigung nach § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes -­ AufenthG - ­zu führen.

Besteht - ­wie hier - zwischen dem im Asylfolgeantragsverfahren vorgelegten neuen Beweismittel einschließlich des mit dem Beweismittel verbundenen Asylfolgevorbringens einerseits und dem früheren, im Erstverfahren als unglaubhaft gewerteten Vortrag andererseits ein sachlogischer Zusammenhang, so kann von einem glaubhaften und substantiierten Vortrag als Voraussetzung für die Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nur die Rede sein, wenn detailliert dargelegt wird, dass und aus welchen Gründen der Vortrag im Erstverfahren entgegen der behördlichen und gerichtlichen Annahme doch zutraf (vgl. OVG NW, Beschluss vom 14. Oktober 1997 ­25 A 1384/97.A).

Davon ausgehend sind die vorgelegten Atteste und Bescheinigungen mehrerer Fachärzte allesamt nicht geeignet, einen schlüssigen und substantiierten Ansatz für die Auflösung der der Klägerin mit dem abweisenden Asylurteil vom 2. Mai 2001 vorgehaltenen Ungereimtheiten und Widersprüche zu bieten, mithin eine günstigere Entscheidung über ihr Abschiebungsschutzbegehren nach § 51 Abs. 1 AuslG herbeizuführen.

Ärztliche Einschätzungen wie die in Rede stehenden Atteste und Bescheinigungen sind schon vom Ansatz her nur in besonders gelagerten Fällen als Beweismittel geeignet, wenn es in Asylverfahren darum geht, den Wahrheitsgehalt der Verfolgungsschilderungen von Asylsuchenden zu beurteilen. Dies folgt schon aus der unterschiedlichen Aufgabenstellung des Arztes einerseits und der Behörden und Gerichte andererseits. Letztere verfehlen ihre Aufgabe, wenn sie unkritisch und ungeprüft jede Behauptung eines Antragstellers/Klägers übernehmen. Das Asylverfahrensgesetz und die Verwaltungsgerichtsordnung erlegen ihnen im öffentlichen Interesse ausdrücklich die Pflicht auf, das Vorliegen eines Asylanspruchs und von Abschiebungshindernissen von Amts wegen zu prüfen. Ganz anders ist die Stellung des Arztes zu beurteilen. Er ist zunächst einmal verpflichtet, seinem Patienten zu helfen und nach Möglichkeit zuerst einmal ein Vertrauensverhältnis herzustellen. Deshalb kann der Arzt insbesondere bei psychischen Erkrankungen, wie sie hier im Raum stehen, dem Patienten nur dann wirkungsvoll helfen, wenn er zunächst einmal die Patientenangaben als wahr unterstellt und nicht in jedem Patienten einen Simulanten sieht. Für die Beweisführung in Asylverfahren vor dem Hintergrund behaupteter und vielleicht sogar tatsächlich vorhandener psychischer Erkrankungen - ­die auf anderen als den behaupteten Ursachen beruhen mögen - ­kann ein vorgelegtes ärztliches Attest des behandelnden Arztes deshalb nur dann als taugliches Beweismittel anerkannt werden, wenn dargelegt wird, dass und wie der Arzt nachvollziehbar eine qualifizierten Feststellung dazu getroffen hat, ob der Patient simuliert oder ob er ihm seine Angabe zur Krankheit, insbesondere zur Krankheitsursache im Heimatland, tatsächlich glauben kann.