VG Arnsberg

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Zitieren als:
VG Arnsberg, Urteil vom 24.01.2005 - 9 K 1001/04.A - asyl.net: M6365
https://www.asyl.net/rsdb/M6365
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Kurden, Folgeantrag, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Deutsch-Kurdischer Kulturverein, Vorstandsmitglieder
Normen: GG Art. 16a; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 2 - 7; AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51
Auszüge:

Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes - AsylVfG -) keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte und auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG -) und auch nicht auf die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG.

Die Kläger sind durch ihre exilpolitischen Aktivitäten im Jahre 2003, soweit sie sich hinsichtlich der Fristeinhaltung nach § 51 Abs. 3 VwVfG zulässigerweise auf sie berufen können, nicht gefährdet.

Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer, insoweit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen ( vgl. VG Arnsberg, Urteil vom 28. Mai 2003 - 9 K 1982/01.A -; OVG NW, Urteil vom 27.Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -, s.S. 62 ff. des amtlichen Umdrucks; vorangehend: OVG NW, Urteil vom 10. April 2002 - 8 A 2745/98.A -, s.S. 16 ff. des amtlichen Umdrucks) begründen exilpolitische Aktivitäten ein beachtlich wahrscheinliches Verfolgungsrisiko nur bei solchen Kurden, die sich politisch exponiert haben, sich durch ihre Betätigung deutlich von derjenigen der breiten Masse abheben. Nur wer politische Ideen und Strategien entwickelt und zu deren Umsetzung in Worten oder Taten von Deutschland aus maßgeblichen Einfluss auf die türkische Innenpolitik und insbesondere auf seine in Deutschland lebenden Landsleute zu nehmen versucht, ist aus der maßgeblichen Sicht des türkischen Staates ein ernst zu nehmender Gegner, den es zu bekämpfen gilt. Das ist z.B. anzunehmen bei Leitern von größeren und öffentlichkeitswirksamen Demonstrationen und Protestaktionen sowie Rednern auf solchen Veranstaltungen und ferner bei Mitgliedern und Delegierten des kurdischen Exilparlaments.

Nicht beachtlich wahrscheinlich zu politischer Verfolgung führen demgegenüber exilpolitische Aktivitäten niedrigen Profils.

Nach diesen Maßstäben ist die Teilnahme der Kläger an verschiedenen Veranstaltungen, wie sie behauptet und zum Teil auch belegt worden sind, als niedrig profiliert zu bewerten. In keinem Zusammenhang wird erkennbar, dass die Kläger als inspirative Leiter von Veranstaltungen in Erscheinung getreten wären, als könne von ihnen eine geistige Beeinflussung ihrer Landsleute ausgehen, als seien sie überhaupt in der Lage, politische Ideen und Strategien zu entwickeln und umzusetzen. Gerade die Klägerin, die sich gekleidet in den sog. "kurdischen Nationalfarben" für Bildveröffentlichungen in den verschiedensten Publikationen geradezu anbietet und angeboten hat, hat im Rahmen ihrer Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung erfahren lassen, dass sie wenig geeignet ist, als Ideenträger oder Initiator wahrgenommen zu werden. Wer wie die Klägerin nicht weiß, welchem "Verein" sie als Mitglied eigentlich angehört - zur Auswahl stehen: der Verein "Ehmede Xani", der Deutsch-Kurdische Kulturverein, der Deutsch-Kurdische Freundschaftsverein (vgl. Schriftsatz vom 04.08.2004) und das "Kurdische Kulturzentrum" (Termin zur mündlichen Verhandlung) -, wer dem Verein "Ehmede Xani" angehören will, ohne zu wissen, wer oder was "Ehmede Xani" ist oder war, wer Newroz feiert, die Feier mit Kawa in Verbindung bringt, ohne zu wissen, was eigentlich gefeiert wird und wer oder was Kawa ist oder war, und wer schließlich am 15. August die Aufnahme des bewaffneten Kampfes feiert, ohne zu wissen, wer gegen wen den bewaffneten Kampf aufgenommen hat, verdeutlicht sehr nachdrücklich, dass sich sein nachgewiesenes Engagement in der Wahrnehmung untergeordneter Aufgaben erschöpft, dass seinem Agieren eine irgendwie geartete leitende Funktion nicht beizumessen ist und ein ernsthaftes Interesse türkischer Dienststellen an dem Gewicht seiner "politischen Äußerung" auch dann nicht bestehen kann, wenn er - wie die Klägerin dekorativ in Szene gesetzt - sich mit einem Wortbeitrag im Rahmen einer Fernsehberichterstattung zu Wort meldet.

Ähnliches gilt auch für den Kläger, dessen Tätigkeit als "Ersatzmitglied des Vorstandes" ebenso unbelegt geblieben ist, wie seine Kontakte zu YEK-KOM, auf welcher Vereinsschiene auch immer. Auch die Gesamtwürdigung der politischen Aktivitäten der Kläger gibt keinen Anlass zu der Annahme, dass insoweit quantitative in qualitative Gesichtspunkte umschlagen könnten. Die mit Schriftsatz vom 00.00.0000 eingebrachte Wahl der Klägerin zur stellvertretenden Vorsitzenden des Deutsch-Kurdischen Kulturvereins in Dortmund am 00.00.0000 und ihre Eintragung in das Vereinsregister beim Amtsgericht Dortmund am 00.00.0000 ermöglichen dem Gericht keine den Klägern günstigere Würdigung des damit geltend gemachten Nachfluchtgrundes. Zwar ist es nach der Rechtsprechung der Kammer in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (vgl. OVG NW, Urteil vom 27. Juni 2002 ;. 8 A 4792/99.A a.a.O., aber auch: OVG NW, Urteil vom 4. November 2003 - 15 A 5193/00.A -)

grundsätzlich denkbar, dass in das Vereinsregister eingetragene Vorstandsmitglieder von Vereinigungen, die als von der PKK dominiert oder beeinflusst gelten, der Gefahr politischer Verfolgung in der Türkei ausgesetzt sein können. Sind allerdings konkrete Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass ein Asylbewerber aus der Sicht des türkischen Staates gleichwohl nicht als exilpolitisch exponiert zu betrachten sein könnte, ist eine Gesamtwürdigung vorzunehmen (vgl. OVG NW, Urteil vom 10. April 2002 - 8, A 2745/98.A -, s.S. 20 ff. des amtlichen Umdrucks).

Anhaltspunkte dieser Art können sich etwa daraus ergeben, dass ein Asylbewerber zwar Vorstandsmitglied eines PKK-Vereins ist, aber nicht erkennbar ist, dass er dort mehr als nur untergeordnete Aufgaben zu erfüllen hat, also nur eine passiv-untergeordnete Stellung einnimmt. Entsprechende Anhaltspunkte bestehen auch bei Vereinsvorständen, deren Mitglieder auffällig häufig wechseln (vgl. OVG NW, Urteil vom 10. April 2002 - 8 A 2745/98.A a.a.O.).

So liegen die Dinge indessen hier. Wie bereits dargelegt, erschöpfen sich die Aktivitäten der Klägerin allenfalls in der Befolgung von Anregungen, Empfehlungen und Weisungen Dritter, als eigenständiger politischer Ideenträger kann die Klägerin kaum in Erscheinung treten.