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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 17.05.2004 - 1 VR 1.04 (1 C 35.03) - asyl.net: M6379
https://www.asyl.net/rsdb/M6379
Leitsatz:

Die Revisionszulassung zum Zwecke der Klärung einer grundsätzlichen assoziationsrechtlichen Rechtsfrage im Rahmen des Art. 6 ARB 1/80, besagt als solche im vorliegenden Fall noch nichts über deren Erfolgsaussicht; ob die Ausweisung sich im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig oder rechtswidrig erweisen wird, muss hier als offen angesehen werden, sodass eine von der Einschätzung der Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens unabhängige Interessenabwägung vorzunehmen ist. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Türken, Assoziationsberechtigte, Ausweisung, Straftäter, Drogendelikte, Freiheitsstrafe, Hauptsacheverfahren, Zulassung der Revision, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Abänderungsantrag, Abschiebung, Wiedereinreise, Folgenbeseitigungsanspruch, Schutz von Ehe und Familie
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 80 Abs. 7; ARB Nr. 1 /80 Art. 6; EMRK Art. 8; GG Art. 6
Auszüge:

Eine Änderung der bisher für die sofortige Vollziehung der Ausweisung maßgeblichen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs, mit denen die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt wurde, wegen veränderter Umstände nach § 80 Abs. 7 VwGO, ist nicht geboten.

Die Tatsache, dass der Senat inzwischen die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs zum Zwecke der Klärung einer grundsätzlichen assoziationsrechtlichen Rechtsfrage im Rahmen des Art. 6 ARB 1/80 zugelassen hat, besagt als solche im vorliegenden Fall noch nichts über deren Erfolgsaussicht. Vielmehr muss die Frage, ob die Ausweisung sich im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig oder rechtswidrig erweisen wird, hier als offen angesehen werden. Danach ist eine von der Einschätzung der Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens unabhängige Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. Beschluss vom 24. März 1994 - BVerwG 1 B 134.93 - InfAuslR 1994, 395). Diese ergibt unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles, dass das öffentliche Interesse an der weiteren Fernhaltung des Klägers von der Bundesrepublik Deutschland sein privates Interesse an einer sofortigen vorläufigen Rückkehr in das Bundesgebiet bis zur Entscheidung der Hauptsache auch weiterhin überwiegt. Die Nachteile bei einer sofortigen Wiedereinreise des Klägers und einer späteren Erfolglosigkeit der Revision mit der Folge einer erneuten Aufenthaltsbeendigung sowie gegebenenfalls Abschiebung des Klägers wiegen schwerer als der Nachteil für den Kläger, nicht sofort, sondern erst nach einem erfolgreichen Abschluss des Revisionsverfahrens wieder in die Bundesrepublik Deutschland einreisen zu dürfen. Das Interesse an der Fernhaltung des in schwerwiegender Weise straffällig gewordenen Klägers wird nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass er - wie er vorträgt - seit seiner Abschiebung bereits zweieinhalb Jahre straf- und drogenfrei in der Türkei lebt. Daraus allein kann, noch nicht der Schluss gezogen werden, dass er auch bei einer Rückkehr nach Deutschland straffrei bleiben wird, zumal die Lebensumstände in der Türkei nicht im Einzelnen bekannt und nachprüfbar sind.

Ein besonderes Interesse des Antragstellers an der - möglicherweise nur vorläufigen - sofortigen Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland ist derzeit vom Antragsteller weder dargetan noch zu erkennen. Es ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK aus den familiären Belangen des Antragstellers, zumal seine Kinder schon erwachsen sind und weder vorgetragen noch ersichtlich ist, warum es der aus der Türkei stammenden Ehefrau des Klägers unzumutbar sein sollte, bis zur Entscheidung über die Revision ihren Ehemann in der Türkei zu besuchen oder dort mit ihm zusammen zu leben. Als Inhaberin einer Aufenthaltsberechtigung könnte sie - worauf die Beteiligte zutreffend hinweist - zu diesem Zweck auch eine Verlängerung der Frist von sechs Monaten für die Wiedereinreise nach § 44 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 AuslG erhalten. Im Übrigen hat der Antragsteller nicht dargetan, dass und in welcher Form er während seines bisherigen Aufenthalts in der Türkei den Kontakt zu seiner Familie in Deutschland aufrechterhalten hat.